Falls noch nicht bekannt, scheinen neue Aussagen von Horn zu sein:
https://www.focus.de/politik/sicherheitsreport/kaltbluetige-tat-in-bayern-deutschlands-top-profiler-an-diesem-kaltbluetigen-mord-verzweifelt-selbst-er_id_10954831.htmlnur den entsprechende Ausschnitt (hoffentlich darf man das so reinkopieren?, sonst löschen
.... Dann hält der Polizist kurz inne. Er wirkt plötzlich nachdenklich. Seine Stimme verändert sich.
Es geht um berufliche Niederlagen. Um Fälle, die selbst ihn überfordern. Um Täter, die möglicherweise schlauer sind als er oder psychologisch einen Schritt voraus. Um Phänomene, die ihn auch noch Jahre später umtreiben – und frustrieren.
„Ja“, sagt Alexander Horn, „da gibt es einen Fall.“
Seit 22 Jahren sucht er den Mörder eines holländischen Paars
Man kann förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn rattert. Wie die Bilder im Kopf vorbeirauschen: Opfer, Tatort, Zeugen, Beweisstücke. Nur eines fehlt: der Täter. Er ist unsichtbar. Unauffindbar. Seit 22 Jahren. Ein weißer Fleck in der Akte – und in Horns beruflicher Bilanz.
Fernseh-Sheriff Schimanski hätte in solch einer Situation geflucht: „Scheiße!“ Profiler Horn sagt: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf.“
Es geht um einen Doppelmord. Im Süden Bayerns wurde ein holländisches Ehepaar kaltblütig erschossen. Das war im Sommer 1997. Harry und Truus Langendonk machten gerade Campingurlaub. Sie stellten ihr Wohnmobil in der Nähe des Ortes Litzelwalchen bei Traunstein ab, auf einer Wiese am Waldrand.
Die Rentner (61 und 63 Jahre alt) machten es sich bei einer Tasse Kaffee auf ihren Campingstühlen bequem und genossen die Nachmittagssonne.
Kurz darauf waren sie tot.
Von hinten erschossen, Kehlen durchgeschnitten, verbrannt
Ein Mann hatte von hinten auf die beiden geschossen und ihnen die Kehlen durchschnitten. Er zerrte die Leichen und die Stühle ins Wohnmobil und fuhr zwei Stunden später damit los.
Nach rund 300 Kilometern – der Tank war fast leer – bog der Täter nahe Nürnberg auf einen Waldweg ein, zündete das Fahrzeug an und flüchtete mit Bargeld und Wertgegenständen seiner Opfer. Mit einem Taxi ließ er sich zurück in die Nähe von Traunstein fahren. Dort verliert sich seine Spur.
Wer war dieser Mann – und wo ist er?
Das fragt sich Alexander Horn bis heute.
Phantombild des mutmaßlichen Täters: Haare über die Ohren
Doch bei der Suche nach Antworten ist er keinen Schritt weitergekommen. Keinen einzigen. Dabei hatte ihn die Kripo Traunstein schon kurz nach der mysteriösen Tat um Unterstützung gebeten. Der Experte für besonders knifflige Fälle war quasi von Anfang an dabei.
Zwar sammelten die Fahnder bereits kurz nach dem Doppelmord wichtige Indizien zum Tathergang, die auch für Horns Einschätzung wichtig waren. So konnten sie anhand der gefundenen Projektile und Hülsen die Tatwaffe bestimmen - eine Tokarew-Pistole, Kaliber 7.62.
Darüber hinaus gab der Nürnberger Taxifahrer eine relativ genaue Beschreibung des mutmaßlichen Täters ab: etwa 30 Jahre alt, 1,80 bis 1,85 Meter groß, schlank, nackenlange Haare, die über die Ohren reichen, bayerischer oder österreichischer Dialekt. Ein Phantombild wurde angefertigt.
Phantombild des mutmaßlichen Mörders zur Tatzeit 1997.
dpa/Polizei Phantombild des mutmaßlichen Mörders zur Tatzeit 1997.
Auch später versuchten die Ermittler alles, um das grausame Verbrechen aufzuklären.
Jeden Stein haben sie zigfach umgedreht, jedes Detail wieder und wieder beleuchtet. Regelmäßig wurden die Medien eingeschaltet und der Fall im Fernsehen vorgestellt, etwa in „Aktenzeichen XY … ungelöst“.
Doch nichts führte zum Ziel: zum Täter.
Profiler Horn: Ein Verbrechen "jenseits aller Vernunft"
Kriminalanalytiker Alexander Horn gibt zu, dass der Fall ihm Kopfzerbrechen bereitet wie kein zweiter. „Vielleicht“, sagt er, „habe ich ihn nicht vollständig verstanden.“ Bis jetzt wisse er nicht wirklich, „was dort genau geschehen ist“, welche „Geschichte hinter der Tat steckt“.
Horn: „In unserem Beruf haben wir es manchmal mit Verhaltensweisen zu tun, die jenseits aller Vernunft liegen.“ Das sei „leider Gottes“ auch bei diesem Mord so.
Mit welchem Vernichtungswillen der Täter vorgegangen ist, welche Risiken er beim Abtransport der Leichen auf sich nahm, warum er die Rentner überhaupt tötete – für Horn gibt es keine plausiblen Erklärungen. „Egal, wie man es dreht und wendet – es macht eigentlich keinen Sinn.“
Analyse-Experte glaubt, dass der Täter einen Ortsbezug hatte
Eines steht für den Ersten Kriminalhauptkommissar allerdings fest: „Ich glaube, dass der Täter einen wie auch immer gearteten Bezug zum Tatort in Litzelwalchen hatte.“ Schließlich setzte der Mörder alles daran, seine Opfer sehr weit wegzuschaffen. „Er wollte die größtmögliche Distanz zum Tatort herstellen“, so Horn.
FOCUS Online: „Ist der Mörder besonders intelligent?“
Horn: „Er ist wahrscheinlich weder besonders intelligent noch besonders dumm. Eher irgendwas dazwischen.“ Dem Mann sei es schlicht und ergreifend – auch mit einer Portion Glück – gelungen, dass es keine Zeugen für die Tat gebe. „Das hat für ihn alles gepasst.“
Ermittler haben alles versucht und jede Variante durchgespielt
Alexander Horn und seine Kollegen von der „Operativen Fallanalyse“ haben die unterschiedlichsten Hypothesen aufgestellt, Naheliegendes und Abseitiges in Betracht gezogen. „Ich habe die Sache auch schon einem komplett neuen Team gegeben, das sich zuvor noch nie damit beschäftigt hatte." Ziel sei gewesen, eine neutrale Sicht auf die Ermittlungsergebnisse zu bekommen und neue Denkansätze zu erhalten.
Horn: „Es ist immer wichtig, sich selbst infrage zu stellen. Irgendwann hat man alle Varianten durchgespielt und dreht sich im Kreis.“
Der Langendonk-Mord lässt den Profiler nicht los. Um sich mit dem Fall zu beschäftigen, muss er ihn nicht auf Wiedervorlage stellen. Er muss nicht in Asservatenkammern steigen oder die alten Akten wälzen. „Ich habe das meiste im Kopf“, sagt Horn. „Auch nach 22 Jahren finde ich noch den Tatort und weiß genau, welche Spuren sich wo befanden.“
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Polizist gibt Arbeit erst auf, "wenn der Täter gefasst ist"
Manchmal fährt Alexander Horn mit dem Dienstwagen durchs bayerische Voralpenland. Wälder und Wiesen fliegen an ihm vorbei, und unweigerlich denkt er an die holländischen Camper, deren Leben in einer solchen Idylle jäh endete. „Es beschäftigt mich immer noch sehr“, sagt er, „und es wird erst aufhören, wenn der Täter gefasst ist.“
FOCUS Online: „Glauben Sie noch daran?“
Horn: „Ja.“
Im Lauf der Jahre änderten sich die Lebensverhältnisse der Menschen, sagt der Kriminalbeamte. Beziehungen gingen auseinander, Vertrauensverhältnisse würden zerbrechen. „Ich könnte mir vorstellen, dass es im Umfeld des Täters jemanden gibt, der etwas weiß oder eine Vermutung hat, sich aber bislang nicht gemeldet hat.“