Der "Vermisstenfall" Maike Thiel
08.07.2014 um 19:59Ein "geradezu teuflischer Mordplan" für Maike, 17
Die Leiche fehlt seit 1997. Eine junge Frau, hochschwanger, verschwand damals. In Neuruppin fällt nun das Urteil gegen die mutmaßlichen Mörder. Die Ermittler glauben: Es war Maikes Ex-Freund.
Von Claudia Becker
Maike Thiel verschwand 1997. Sie war hochschwanger. Nun wird in Neuruppin ein Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder geführt
Charleen wäre in diesem Sommer 17 Jahre alt geworden. So alt, wie ihre Mutter Maike war, als sie sie erwartete. Ein Teenager war die werdende Mutter noch. Aber sie freute sich auf Charleen. Sie ging regelmäßig zur Vorsorge. Am 3. Juli 1997 war sie zum letzten Mal bei einer Untersuchung im Hennigsdorfer Krankenhaus. Am 12. August war Geburtstermin.
Auch Maikes Eltern, anfangs nicht gerade von der Schwangerschaft ihrer minderjährigen Tochter begeistert, fanden es irgendwann schön, Großeltern zu werden. Sie hatten in ihrem Einfamilienhaus in Leegebruch nördlich von Berlin ein Kinderzimmer mit Babybett und Wickelkommode eingerichtet. Sie wollten alles dafür tun, damit Charleen eine schöne Kindheit hat und Maike ihre geplante Ausbildung zur Altenpflegerin absolvieren konnte.
Doch das Babybett blieb leer. Maikes Zimmer auch.
Am 3. Juli 1997, gegen zehn Uhr morgens, an der Bushaltestelle vor dem Hennigsdorfer Krankenhaus, wurde die hochschwangere junge Frau mit den wilden roten Locken zum letzten Mal gesehen. Danach verlor sich ihre Spur. Bis heute.
Erdrosselt vom Ex-Freund?
Im Landgericht Neuruppin: Zwei Männer und eine Frau sind angeklagt
Was ist mit Maike Thiel geschehen? Die Eltern, Geschwister und Freunde leben seit 17 Jahren mit der Ungewissheit.
Die Ermittler gehen davon aus, dass Maike ermordet wurde: Von ihrem Ex-Freund und Vater des ungeborenen Kindes. Michael Sch., 35, so die Überzeugung der Staatsanwaltschaft Neuruppin, wo der Fall seit mehr als 14 Monaten verhandelt wird, hätte sich von seiner Mutter Christine, 61, anstiften lassen. Sie hätte verhindern wollen, dass ihr Sohn Unterhalt zahlen muss. Um dem Sohn einen Komplizen zu verschaffen, hätte sie den heute 80-jährigen Manfred S. für umgerechnet 1800 Euro angeheuert, damit er Maike erdrosselt.
Ein "geradezu teuflischer Mordplan", wie Staatsanwalt Philip Schumacher sagt.
Am diesem Mittwoch will das Landgericht Neuruppin sein Urteil sprechen. Weil Manfred S., mittlerweile 80 Jahre alt, als nicht verhandlungsfähig gilt, muss er sich nicht vor Gericht verantworten. Christine Sch. droht wegen Anstiftung zum Mord lebenslange Haft.
Michael Sch., der zum Tatzeitpunkt erst 18 Jahre alt und damit ein Heranwachsender war, soll nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden. Die Staatsanwaltschaft hat für ihn eine Freiheitsstrafe von achteinhalb Jahren beantragt.
Die Beweise fehlen
Die Verteidiger von Christine und Michael Sch. sind davon überzeugt, dass ihre Mandanten freizusprechen sind. In ihren Plädoyers verwiesen sie nicht nur auf Ermittlungspannen, sondern auch auf die Tatsache, dass die Beweise fehlen. Sie fordern nicht nur einen Freispruch, sondern sogar eine Entschädigung für das Unrecht, das den Angeklagten durch die monatelange Untersuchungshaft zugefügt wurde.
In der Tat gibt es für das Mordszenario lediglich Indizien. Aber es gibt keine handfesten Beweise. Noch nicht einmal eine Leiche.
Schon bald nach Maikes Verschwinden 1997 war Michael Sch. ins Visier der Kripo geraten. Er wollte das Baby nicht. Er wollte, dass Maike abtreibt. Maike machte einen Termin. Aber dann, im Krankenhaus, überlegte sie es sich anders. Als sie es Michael sagte, machte er Schluss. Aber wurde er zum Mörder?
Die Ermittler konnten ihm nichts nachweisen. Auch ein Privatdetektiv blieb erfolglos. Er hatte das Ehepaar Thiel davon überzeugt, auf eigene Kosten in Hennigsdorf eine Straße aufreißen zu lassen. Hier, so die Vermutung des Privatdetektivs, könnte Sch., der dort auf einer Tiefbaustelle gearbeitet hatte, Maikes Leiche vergraben haben. Doch die Suche blieb ohne Erfolg.
"Aktenzeichen XY" berichtete
Erst 2012 kam Licht ins Dunkel, zumindest ein Schimmer. "Aktenzeichen XY" hatte den Fall aufgegriffen, die Kripo begann wieder zu ermitteln. Und plötzlich gab es eine überraschende Zeugenaussage. Eine Ex-Freundin von Michael Sch. behauptete, ein Geheimnis zu lüften, das sie 15 Jahre lang mit sich herumtragen würde.
Ein düsteres Geheimnis, das ihr Michael Sch., der mittlerweile Sozialarbeiter war, kurz nach der Tat anvertraut hätte: Er hätte die hochschwangere Maike Thiel unter einem Vorwand in sein Auto gelockt, in dem auch Manfred S. saß. Er wäre mit ihr an einen ungestörten Ort gefahren. Dort hätte sein Komplize die Frau von hinten erdrosselt.
Tatsächlich soll sich Michael Sch. bei Maike wieder häufiger gemeldet haben, je näher der Geburtstermin heranrückte. Und Maike soll gehofft haben, dass es vielleicht doch wieder was wird mit den beiden. Bei ihrem letzten Untersuchungstermin sagte sie der Ärztin, dass sie mit ihrem Freund an die Ostsee fahren möchte. Hatte Michael ihr einen gemeinsamen Ausflug in Aussicht gestellt?
Der Totenschädel im Gerichtssaal
So viele Fragen. So viel Schweigen. Rechtsanwalt Horst Fischer, der die Eltern von Maike Thiel vertritt, veranlasste das zu einer bizarren Aktion. Bei einem Verhandlungstermin im Februar holte er plötzlich einen Totenschädel aus einem Karton, hielt ihn dem Angeklagten vors Gesicht und brüllte: "Ist das der Kopf von Maike Thiel? Wir werden sie auf jeden Fall finden."
Später erklärte er der "Bild", dass er auf diese Weise Michael S. zu einem Geständnis bringen wollte.
Michael Sch. gestand nicht. Und auch seine Mutter schweigt. Am Montag hatte Maike Thiels Schwester noch einmal eindringlich den Angeklagten gebeten, endlich zu reden. Vergeblich. Maike Thiels Angehörigen bleibt die Ungewissheit. Ihr Wunsch, Maike begraben zu können, einen Ort zu haben, an dem sie trauern können, bleibt unerfüllt.
Daran wird auch kein Urteil etwas ändern.
http://www.welt.de/vermischtes/article129933690/Ein-geradezu-teuflischer-Mordplan-fuer-Maike-17.html
Die Leiche fehlt seit 1997. Eine junge Frau, hochschwanger, verschwand damals. In Neuruppin fällt nun das Urteil gegen die mutmaßlichen Mörder. Die Ermittler glauben: Es war Maikes Ex-Freund.
Von Claudia Becker
Maike Thiel verschwand 1997. Sie war hochschwanger. Nun wird in Neuruppin ein Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder geführt
Charleen wäre in diesem Sommer 17 Jahre alt geworden. So alt, wie ihre Mutter Maike war, als sie sie erwartete. Ein Teenager war die werdende Mutter noch. Aber sie freute sich auf Charleen. Sie ging regelmäßig zur Vorsorge. Am 3. Juli 1997 war sie zum letzten Mal bei einer Untersuchung im Hennigsdorfer Krankenhaus. Am 12. August war Geburtstermin.
Auch Maikes Eltern, anfangs nicht gerade von der Schwangerschaft ihrer minderjährigen Tochter begeistert, fanden es irgendwann schön, Großeltern zu werden. Sie hatten in ihrem Einfamilienhaus in Leegebruch nördlich von Berlin ein Kinderzimmer mit Babybett und Wickelkommode eingerichtet. Sie wollten alles dafür tun, damit Charleen eine schöne Kindheit hat und Maike ihre geplante Ausbildung zur Altenpflegerin absolvieren konnte.
Doch das Babybett blieb leer. Maikes Zimmer auch.
Am 3. Juli 1997, gegen zehn Uhr morgens, an der Bushaltestelle vor dem Hennigsdorfer Krankenhaus, wurde die hochschwangere junge Frau mit den wilden roten Locken zum letzten Mal gesehen. Danach verlor sich ihre Spur. Bis heute.
Erdrosselt vom Ex-Freund?
Im Landgericht Neuruppin: Zwei Männer und eine Frau sind angeklagt
Was ist mit Maike Thiel geschehen? Die Eltern, Geschwister und Freunde leben seit 17 Jahren mit der Ungewissheit.
Die Ermittler gehen davon aus, dass Maike ermordet wurde: Von ihrem Ex-Freund und Vater des ungeborenen Kindes. Michael Sch., 35, so die Überzeugung der Staatsanwaltschaft Neuruppin, wo der Fall seit mehr als 14 Monaten verhandelt wird, hätte sich von seiner Mutter Christine, 61, anstiften lassen. Sie hätte verhindern wollen, dass ihr Sohn Unterhalt zahlen muss. Um dem Sohn einen Komplizen zu verschaffen, hätte sie den heute 80-jährigen Manfred S. für umgerechnet 1800 Euro angeheuert, damit er Maike erdrosselt.
Ein "geradezu teuflischer Mordplan", wie Staatsanwalt Philip Schumacher sagt.
Am diesem Mittwoch will das Landgericht Neuruppin sein Urteil sprechen. Weil Manfred S., mittlerweile 80 Jahre alt, als nicht verhandlungsfähig gilt, muss er sich nicht vor Gericht verantworten. Christine Sch. droht wegen Anstiftung zum Mord lebenslange Haft.
Michael Sch., der zum Tatzeitpunkt erst 18 Jahre alt und damit ein Heranwachsender war, soll nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden. Die Staatsanwaltschaft hat für ihn eine Freiheitsstrafe von achteinhalb Jahren beantragt.
Die Beweise fehlen
Die Verteidiger von Christine und Michael Sch. sind davon überzeugt, dass ihre Mandanten freizusprechen sind. In ihren Plädoyers verwiesen sie nicht nur auf Ermittlungspannen, sondern auch auf die Tatsache, dass die Beweise fehlen. Sie fordern nicht nur einen Freispruch, sondern sogar eine Entschädigung für das Unrecht, das den Angeklagten durch die monatelange Untersuchungshaft zugefügt wurde.
In der Tat gibt es für das Mordszenario lediglich Indizien. Aber es gibt keine handfesten Beweise. Noch nicht einmal eine Leiche.
Schon bald nach Maikes Verschwinden 1997 war Michael Sch. ins Visier der Kripo geraten. Er wollte das Baby nicht. Er wollte, dass Maike abtreibt. Maike machte einen Termin. Aber dann, im Krankenhaus, überlegte sie es sich anders. Als sie es Michael sagte, machte er Schluss. Aber wurde er zum Mörder?
Die Ermittler konnten ihm nichts nachweisen. Auch ein Privatdetektiv blieb erfolglos. Er hatte das Ehepaar Thiel davon überzeugt, auf eigene Kosten in Hennigsdorf eine Straße aufreißen zu lassen. Hier, so die Vermutung des Privatdetektivs, könnte Sch., der dort auf einer Tiefbaustelle gearbeitet hatte, Maikes Leiche vergraben haben. Doch die Suche blieb ohne Erfolg.
"Aktenzeichen XY" berichtete
Erst 2012 kam Licht ins Dunkel, zumindest ein Schimmer. "Aktenzeichen XY" hatte den Fall aufgegriffen, die Kripo begann wieder zu ermitteln. Und plötzlich gab es eine überraschende Zeugenaussage. Eine Ex-Freundin von Michael Sch. behauptete, ein Geheimnis zu lüften, das sie 15 Jahre lang mit sich herumtragen würde.
Ein düsteres Geheimnis, das ihr Michael Sch., der mittlerweile Sozialarbeiter war, kurz nach der Tat anvertraut hätte: Er hätte die hochschwangere Maike Thiel unter einem Vorwand in sein Auto gelockt, in dem auch Manfred S. saß. Er wäre mit ihr an einen ungestörten Ort gefahren. Dort hätte sein Komplize die Frau von hinten erdrosselt.
Tatsächlich soll sich Michael Sch. bei Maike wieder häufiger gemeldet haben, je näher der Geburtstermin heranrückte. Und Maike soll gehofft haben, dass es vielleicht doch wieder was wird mit den beiden. Bei ihrem letzten Untersuchungstermin sagte sie der Ärztin, dass sie mit ihrem Freund an die Ostsee fahren möchte. Hatte Michael ihr einen gemeinsamen Ausflug in Aussicht gestellt?
Der Totenschädel im Gerichtssaal
So viele Fragen. So viel Schweigen. Rechtsanwalt Horst Fischer, der die Eltern von Maike Thiel vertritt, veranlasste das zu einer bizarren Aktion. Bei einem Verhandlungstermin im Februar holte er plötzlich einen Totenschädel aus einem Karton, hielt ihn dem Angeklagten vors Gesicht und brüllte: "Ist das der Kopf von Maike Thiel? Wir werden sie auf jeden Fall finden."
Später erklärte er der "Bild", dass er auf diese Weise Michael S. zu einem Geständnis bringen wollte.
Michael Sch. gestand nicht. Und auch seine Mutter schweigt. Am Montag hatte Maike Thiels Schwester noch einmal eindringlich den Angeklagten gebeten, endlich zu reden. Vergeblich. Maike Thiels Angehörigen bleibt die Ungewissheit. Ihr Wunsch, Maike begraben zu können, einen Ort zu haben, an dem sie trauern können, bleibt unerfüllt.
Daran wird auch kein Urteil etwas ändern.
http://www.welt.de/vermischtes/article129933690/Ein-geradezu-teuflischer-Mordplan-fuer-Maike-17.html