Trudel UlmenTraurige Gewissheit nach 16 Jahren
Von Wolfgang Kaes
MAYEN/bonn.
Die vermisste Rheinbacher Arzthelferin Trudel Ulmen ist 1996 einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen.
Trudel Thomas Lenerz ringt um Fassung. Er kämpft gegen die Tränen, während ihn seine neben ihm auf dem Sofa sitzende Frau liebevoll im Arm hält. Der 46-Jährige hat soeben erfahren, dass seine geliebte Schwester Trudel vor 16 Jahren einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.
Jemand, wer auch immer, hat das Leben der damals 41-Jährigen mit Gewalt beendet. Drei Mitglieder der Bonner Kripo, darunter ein eigens für solche Momente psychologisch geschulter Kollege, sind am Montagmittag in die rheinland-pfälzische Eifelstadt Mayen gereist, um Thomas Lenerz die traurige Botschaft persönlich zu übermitteln.
Anschließend wurden die ältere, kranke Schwester Lore sowie die 84-jährige Mutter informiert. "Ich bin jetzt nur froh, dass die lange Zeit der quälenden Ungewissheit ein Ende hat", sagt der Bruder. "Und dafür bin ich dem General-Anzeiger und der Bonner Kripo unendlich dankbar."
Dass seine Schwester noch am Leben sein könnte, daran glaubte Thomas Lenerz schon lange nicht mehr. Auch wenn seine Mutter 16 Jahre lang täglich eine Kerze für Trudel anzündete. Auch die Gerüchte, die nach Trudel Ulmens spurlosem Verschwinden am 21. März 1996 in ihrem Wohnort Rheinbach kursierten, hat er nie glauben wollen. Sie sei mit einem reichen Geschäftsmann ins Ausland durchgebrannt, hieß es. Und wie das mit Gerüchten so ist: Oft genug erzählt, werden sie schließlich zur Wahrheit.
Nachdem der General-Anzeiger erstmals am 9. Januar 2012 über den mysteriösen Fall berichtet hatte, nahm die Bonner Polizei die Ermittlungen wieder auf und stellte bald fest, dass Trudel Ulmens Papiere in den vergangenen 16 Jahren weltweit bei keiner einzigen diplomatischen oder konsularischen Vertretung Deutschlands verlängert worden waren. Mehr als 30 Zeugen aus dem privaten und beruflichen Umfeld wurden seither befragt oder vernommen.
Aber erst ein DNA-Abgleich mit der bundesweiten Datei unbekannter Toter brachte nun Gewissheit: Der genetische Fingerabdruck der Rheinbacher Arzthelferin ist identisch mit jenem einer bislang unbekannten weiblichen Leiche, die ein Radfahrer am 18. Juli 1996 in einem Waldstück an der Landesstraße 247 zwischen den Bad Honnefer Ortsteilen Rottbitze und Stockhausen zufällig entdeckt hatte, ganz in der Nähe der Autobahn 3, Abfahrt Bad Honnef/Linz.
Die halb vergrabene Leiche war zu diesem Zeitpunkt bereits stark verwest. Also ist nicht auszuschließen, dass Trudel Ulmen schon in jenen Märztagen 1996 ums Leben gekommen ist.
Nach dem Auffinden der Leiche konzentrierten sich die Ermittlungen der Bonner Kripo auf die Kleidung. Die Tote trug lediglich eine langärmlige, dunkle Bluse mit großen, hellen Punkten sowie eine orangerote Jogginghose. Beim Hersteller der Hose in Norditalien war zu erfahren, dass sie zu einer seltenen Kollektion von Unikaten gehörte, die in der Saison 1992/93 weltweit nur in 27 Exemplaren gefertigt worden war.
Weitere Ermittlungen ergaben, dass davon drei Exemplare den Weg in eine Bad Godesberger Boutique gefunden hatten und dort Mitte 1995 auch verkauft wurden - eine davon in der Kleidergröße des im Aegidienberger Wald gefundenen Exemplars. Zu jener Zeit - vom 2. Januar 1995 bis zum Tag ihres Verschwindens am 21. März 1996 - arbeitete Trudel Ulmen nicht weit entfernt als Halbtagskraft im Medizinischen Archiv der Reha-Klinik Godeshöhe an der Waldstraße.
Doch Hinweise auf die Identität der unbekannten Toten brachte auch die Gewissheit um die Herkunft der Jogginghose damals nicht - ebenso wenig wie das Einschalten der bundesweiten Medien, die Präsentation des Bad Honnefer Falls in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" im Jahr 1996 oder die Amtshilfe des FBI: Washingtoner Experten der amerikanischen Bundespolizei hatten den Schädel vermessen und so das Gesicht der Unbekannten rekonstruiert. Die Ähnlichkeit zu Trudel Ulmen ist allerdings aus heutiger Sicht nicht gerade frappierend. Die umfangreichen Ermittlungen der damaligen Mordkommission führten zu keinem Ergebnis, sämtliche verfolgten Spuren verliefen schließlich im Sande. Zu diesem Zeitpunkt war der Vermisstenfall Trudel Ulmen bereits seit Monaten kein Fall mehr und zu den Akten gelegt.
Insgesamt war - aus heutiger Sicht - nur vier Tage lang ermittelt worden, und dazwischen lag ein Wochenende. Der 21. März 1996 war ein Donnerstag. Da erschien Trudel Ulmen überraschend nicht zur Arbeit. Am Freitag, 22. März, nahm die Polizei Kontakt zu der Reha-Klinik auf. Das ist in der dort noch existierenden Personalakte vermerkt. Am Montag, 25. März, teilte die Polizei jedoch dem Arbeitgeber schon mit, dass Trudel Ulmen freiwillig ins Ausland verschwunden sei. Daraufhin wurde die sofortige Kündigung ausgesprochen, der sogar der Betriebsrat zustimmte.
Die Kripo stützte sich damals ohne Argwohn auf die Aussage des damaligen Ehemanns: Der will am Sonntag, 24. März, einen Anruf seiner Frau erhalten haben: Sie sei wohlauf, sie habe ihn freiwillig verlassen, sie befinde sich mit einem Liebhaber im Ausland, sie sei finanziell abgesichert. Wörtlich: "Sie bedankte sich für die letzten Ehejahre und entschuldigte sich für die letzten drei Tage."
Das wörtliche Zitat ist so auch in dem bereits im Oktober 1996 vom Ehemann eingereichten Scheidungsantrag wiedergegeben. Eltern und Geschwister, zu denen Trudel Ulmen stets ein enges und harmonisches Verhältnis unterhielt, warteten hingegen stets vergeblich auf ein Lebenszeichen. "Ihren über alles geliebten Vater, der damals schon unter einem Gehirntumor litt und todkrank war, hätte die Trudel doch niemals im Stich gelassen", versichert ihr Bruder Thomas Lenerz.
Nach Abschluss aller kriminalistischen und rechtsmedizinischen Untersuchungen wurde die "unbekannte Tote" erst im Jahre 1999 in Bad Honnef in einem sogenannten Kammergrab bestattet. Die Familie Lenerz will Trudel Ulmen nun nach Mayen überführen und in ihrer Heimatstadt bestatten lassen.
Derweil konzentrieren sich die Ermittlungen der Bonner Mordkommission auf den noch unbekannten Täter, der Trudel Ulmens Leben ausgelöscht hat.
Chronologie des Falls Trudel Ulmen
29. Januar 1955: Gertrud Gabriele Lenerz wird in Mayen geboren und wächst in der Kleinstadt in der Eifel als mittleres von drei Kindern eines Lokführers auf. Nach sehr gutem Realschulabschluss absolviert sie eine Ausbildung zur Arzthelferin.
9. Juli 1976: Vor dem Standesamt in Mayen heiratet Trudel Lenerz ihren langjährigen, gleichaltrigen Jugendfreund und nimmt dessen Nachnamen Ulmen an. Ihr Mann hat zuvor als Zeitsoldat eine Ausbildung zum staatlich geprüften Masseur und medizinischen Bademeister beim Bundeswehr-Zentralkrankenhaus in Koblenz absolviert. Das Paar zieht nach Rheinbach, als sich dort eine gemeinsame berufliche Perspektive ergibt: die Übernahme des Martinsbads. Trudel Ulmen kümmert sich um Büro und Buchführung, ihr Mann um die therapeutischen Anwendungen.
Dezember 1979: Das Ehepaar kauft und bezieht ein Einfamilienhaus am Rheinbacher KAB-Ring.
2. Januar 1995: Trudel Ulmen tritt eine Stelle als Halbtagskraft im Medizinischen Archiv des Neurologischen Rehabilitationszentrums Godeshöhe an der Waldstraße in Bad Godesberg an. Das Martinsbad hat das Paar in der ersten Hälfte der 90er Jahre aufgegeben.
21. März 1996: Trudel Ulmen erscheint zur Überraschung ihrer Vorgesetzten nicht an ihrem Arbeitsplatz in Bad Godesberg. Seither gilt sie als verschollen.
18. Juli 1996: In einem Waldstück zwischen den Bad Honnefer Ortschaften Rottbitze und Stockhausen nahe der A3 findet ein Radfahrer die schon stark verweste Leiche einer Frau. Ihre Identität kann trotz umfangreicher Ermittlungen der Polizei nicht festgestellt werden.
Oktober 1996: Trudel Ulmens Mann reicht beim Amtsgericht Rheinbach die Scheidung ein. Im Folgejahr wird die Ehe in Abwesenheit der Frau geschieden. Sie gilt nun als "unbekannt verzogen".
15. Dezember 2011: Im General-Anzeiger erscheint eine Bekanntmachung des Amtsgerichts Rheinbach. Darin wird Trudel Ulmen aufgefordert, sich bis zum 28. Februar 2012 in Zimmer 207 des Amtsgerichts einzufinden, weil sie sonst für tot erklärt wird.
9. Januar 2012: Im General-Anzeiger erscheint der erste von mehreren redaktionellen Berichten über den mysteriösen Rheinbacher Fall aus Anlass der amtlichen Bekanntmachung des Gerichts. Daraufhin nimmt die Bonner Kriminalpolizei nach 16-jähriger Pause die Ermittlungen wieder auf.
16. April 2012: Drei Mitglieder der Bonner Kripo reisen nach Mayen, um die Familie Lenerz über das 1996 begangene Gewaltverbrechen an Trudel Ulmen zu informieren.
Artikel vom 17.04.2012
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Quelle:
http://www.general-anzeiger-bonn.de/lokales/region/Traurige-Gewissheit-nach-16-Jahren-article738824.html