schluesselbund schrieb:Wo das jetzt zutreffen soll ergibt sich mir nicht unbedingt. Ich halte deine These und die daraus resultierende Meinung/Überlegungen für zutreffend. Und stimme dieser voll un ganz zu.
Nun ja, das Problem ist halt, dass, wenn Katrin erst um 18:45 das Haus des Freundes verließ, sie es kaum noch pünktlich nach Hause hätte schaffen können, selbst mit vereinbarter Fahrgelegenheit. Und wenn sie um 19:30 immer noch am Bushäuschen stand, wird die Hypothese, dass sie sich mit jemandem verabredet hatte, auch nicht gerade wahrscheinlicher.
Unmöglich natürlich nicht. Die Zeiten müssen nicht genau stimmen. Weder ihr Freund, noch die Bekannten aus der Pizzeria, noch der sportliche Fahrer, erst recht nicht die Frau, die den Weg nicht wusste, dürften genau auf die Uhr geschaut haben oder sich die Uhrzeit gar exakt gemerkt haben. Bei der Frau zweifeln ja ohnehin einige an, ob sie überhaupt in Bergen ihre Beobachtung gemacht hatte, sie hatte sich ja selbst heillos verfranzt.
Es deutet allerdings einiges darauf hin, dass Katrin auch nach 19 Uhr noch am Bushäuschen stand, in diese Richtung gehen all die Aussagen. Pünktlich hätte sie es also nicht mehr nach Hause geschafft, ob sie nun per Anhalter oder per Bekannten heimkommen wollte. Aber dass sie am Bushäuschen auf jemanden wartete, ist damit noch nicht widerlegt.
Ich stelle mir den Ablauf so vor: Ist nur eine Hypothese, aber ich meine, so KÖNNTE es gewesen sein:
Katrin streitet heftig mit dem Freund, sie will gehen, weiß aber nicht, wie sie heimkommen soll. Der Freund bietet ihr an, ein Taxi zu bezahlen. Das will Katrin aber in dieser Situation auf keinen Fall, sie will ihm nichts schuldig sein, sich nicht bei ihm bedanken müssen. Nicht nach diesem Streit, nicht an diesem Abend.
Nun versendet sie, wahrscheinlich schon vor 18 Uhr, diverse SMS an Freunde. Aber sie bekommt nur Absagen oder gar keine Antworten. Die Freunde begründen dies meist mit den Straßenverhältnissen. Katrin ist schwer getroffen. Schon der Streit mit ihrem Freund hat sie mitgenommen, jetzt wird sie auch noch von ihren Freunden im Stich gelassen. Wie kann das sein, wo sie doch gemeint hat, sie sei so beliebt und so begehrt? Ist sie es doch nicht? Sind alle Freundschaften nur oberflächlich? Mag sie niemand wirklich? Dass die Absagen tatsächlich wegen der verhehrenden Straßenverhältnisse, nicht wegen Katrin als Person erfolgten, kann oder will Katrin, die keine Fahr- und wenig Lebenserfahrung hat, nicht begreifen.
Im Hintergrund triumphiert schon ihr Freund heimlich. Katrin wollte die Puppen tanzen lassen, demonstrieren, dass sie auch ohne ihn zurechtkommt, und nun holt sie sich eine Absage nach der nächsten ab.
Ab jetzt beginnt Katrin zu telefonieren. Bei einem persönlichen Gespräch kann man schließlich nicht so barsch absagen wie bei einer SMS. Aber auch damit bleibt sie zunächst erfolglos.
"Irgendwen muss es doch geben, der mich gerne heimfährt", denkt sie sich. Da fällt ihr ein Typ ein, nennen wir ihn "Manfred", den sie eigentlich ziemlich sch... findet und der auch allgemein als etwas seltsam gilt, der sie aber schon seit langer Zeit verehrt. Bisher hat er sich immer Abfuhren eingeholt, sie hat ihn recht rüde abgeblockt, sich auch schon einmal in Anwesenheit anderer über ihn lustig gemacht.
"Manfred würde mich bestimmt heimfahren!", denkt sie sich. Sie ruft Manfred an, säuselt nette Worte ins Telefon - und natürlich, Manfred erklärt sich sofort bereit. Sie verabreden sich kurz vor 19 Uhr am Bushäuschen.
Manfred schwebt für eine halbe Stunde auf Wolke Sieben. Was für eine schöne Neujahrsüberraschung! Katrin spricht auf einmal ganz lieb mit ihm, sie zieht ihn allen anderen vor, wenn es darum geht, sie aus einer Notlage zu retten. Wenn es darum geht, durch die eisige Nacht zu fahren, tut Katrin das mit ihm lieber als mit irgendwelchen anderen Kerlen! Sie vertraut ihm! Anscheinend hat sie ihre Meinung ihm gegenüber grundlegend geändert!
Die wahren Hintergründe erkennt Manfred, der eher von schlichter Gemütsart ist, nicht. Vielleicht hätte sie auch kein intelligenterer Mann, der verliebt ist, begriffen.
Manfred verspätet sich ein paar Minuten wegen der Straßenverhältnisse. Katrin ist wegen des Streits mit dem Freund schlechter Laune, sie ärgert sich zudem über die Verspätung, sie ist total durchgefroren.
Von all dem ahnt Manfred, der mit ganz anderen Gefühlen nach Bergen fährt, nichts.
Auf dem Heimweg bemüht sich Katrin immerhin, im Auto ein bisschen nett gegenüber ihrem "Retter" zu sein, auch wenn es ihr sehr schwerfällt.
Manfred interpretiert diese ihm ungewohnte Freundlichkeit wieder völlig falsch. Er hält an, will mit ihr über die Liebe sprechen und ein bisschen Zärtlichkeiten austauschen, worauf er, wie er glaubt, durch seine Rettungstat nicht nur gutes Recht hat, sondern seinem Empfinden nach sendet Katrin diesbezüglich auch eindeutige Signale aus. Außerdem ist er kein Mann von langem Zögern.
Als Katrin dieses Verhaltens und dieser tumben Annäherungsversuche gewahr wird, platzt aller Frust des Abends aus ihr heraus. Sie weist ihn ab, beleidigt ihn, demütigt ihn.
Nun begreift Manfred: Katrin will gar nichts von ihm. Er sollte ihr nur als Chauffeur dienen.
Dienen! Sein Traum, die Seifenblase platzt jäh. Er begreift weiterhin: Das neue Jahr beginnt genauso schlecht, wie das alte begonnen und aufgehört hat. Er ahnt: Jedes seiner künftigen Jahre wird schlecht beginnen und schlecht aufhören. Nun ist es an Manfred, bei dem der ganze Frust herausplatzt...