@lawineSehr guter Artikel von Herrn Strate von Dir verlinkt.
Hieraus wird auch die Motivlage von Rechtsanwalt Euler sehr deutlich.
Dieser ist der Verteidiger von Ulvi K. und deshalb kann dieser auch nicht "neutral" oder "objektiv" etwas zu diesem Fall beitragen. Wenn etwas in der Presse von ihm kommt, dann dient das nur dem Interesse seines Mandanten. Das ist sein Auftrag und seine Aufgabe. Ihr könnt euch also eure Aufregung und die Diskussionen um Herrn Euler diesbezüglich sparen.
Hier ein Auszug aus dem Artikel:
Der Verteidiger in der Wiederaufnahme*
von Rechtsanwalt Gerhard Strate, Hamburg
Der Verteidiger, dem ein Wiederaufnahmemandat angetragen wird, sieht sich in der Praxis mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert: Im Umgang mit dem Mandanten braucht er ein gehöriges Maß an Menschenkenntnis, im Umgang mit sich selbst Gleichmut, im Umgang mit der Justiz Beharrungsvermögen. Hat er erst einmal den Entschluß gefaßt (den er sich so schwer wie möglich machen sollte), bedarf es zu seiner Umsetzung eines unbedingten Erfolgswillens. Ungestüm ist hierbei weniger gefragt, Urteilskraft und Freude am Detail umso mehr.
a) Zum Umgang mit dem Mandanten
Wer sich das eine oder andere Mal an einer Wiederaufnahme versucht hat, wird sehr schnell die Erfahrung machen, daß es in unseren Gefängnissen sehr viele Menschen gibt, die subjektiv die Überzeugung in sich tragen, zu Unrecht oder gar unschuldig verurteilt worden zu sein. Die Zuschriften, sobald auch nur eine positiv beantwortet worden ist, vermehren sich innerhalb kürzester Zeit wie eine geometrische Reihe. Es ist eine Frage der eigenen Arbeitskraft, wieviele dieser Mandatsanfragen eines inhaltlichen Eingehens fähig und wert sind. Der Anwalt – der junge zumal – sollte sich davor hüten, voreilig eine Prüfung des angetragenen Mandats in Aussicht zu stellen. Denn das Problem fast jeder Wiederaufnahme ist deren Finanzierung. Der rechtskräftig Verurteilte hat in der Regel sein gesamtes Hab und Gut verloren und die letzten liquiden Mittel bei den Anwälten gelassen, die seine Verurteilung und schließlich auch die Rechtskraft des Urteils nicht haben verhindern können. Das finanzielle Fiasko der meisten Mandanten führt letztlich dazu, daß die Wiederaufnahme für den Anwalt in der Regel ein pro-bono-Mandat ist.[1] Ein solches Mandat kann nur geführt werden, wenn andere Mandanten im Ergebnis hierfür mitbezahlen. Schon von daher ist das Wiederaufnahmemandat zwangsläufig immer etwas Exzeptionelles. Eine Vielzahl an Zusagen einer vorbereitenden Prüfung kann ein sorgfältig arbeitender Anwalt deshalb nie einhalten. Andererseits: die Menschen, mit denen er korrespondiert oder möglicherweise auch spricht, sehen in ihm ihren Hoffnungsträger, den einzigen, der verschlossene Pforten zu öffnen und die beschädigte Ehre zu retten vermag. Ein Brief, der zu helfen verspricht, mag gutgemeint sein, ist für den Adressaten jedoch mitunter verheerend, wenn die Hilfe tatsächlich nicht gewährt werden kann. Es ist schlimmer, eine Hoffnung erst zu wecken und dann zu enttäuschen, als sie von vornherein abzuweisen.
Jeder Anwalt, der sich an eine Wiederaufnahme heranwagt, sollte deshalb als erstes überprüfen, ob überhaupt sein finanzieller und zeitlicher Spielraum ausreichend ist, um ein solches Mandat neben den laufenden Geschäften betreiben zu können. Wenn er dies meint bejahen zu können, ist Bescheidung angesagt: Lieber ein Mandat ganz als zehn Mandate halb führen.
Wie die Auswahl treffen? Zunächst muß sich jeder Verteidiger klar sein, daß unser Rechtsstaat zwar viele Mängel hat, im Ergebnis jedoch überwiegend die Richtigen trifft, auch wenn die Urteile mitunter lückenhaft, manchmal auch schludrig begründet sind und das Strafmaß gelegentlich überzogen ist. Jede andere Einschätzung wäre fatal: eine Strafjustiz, die zur Hälfte Unschuldige in die Gefängnisse schickt, gibt es nur unter den Bedingungen des Staatsterrorismus. Die Wiederaufnahme hat ihr Feld allein in dem minimalen Prozentbereich, in welchem Dummheit, Vorurteil und Hochmut sich schicksalsträchtig vermischen. Der mag immer noch groß genug sein; dennoch sollte sich der Verteidiger bei der Lektüre der Mandatsbitten eine kräftige Portion Skepsis reservieren. Jeder entwickelt hier mit der Zeit sein eigenes Herangehen: Es gibt Zuschriften, in denen das liebevolle Aneinander handschriftlicher Zeilen über zwanzig Seiten hinweg (häufig ohne Heftrand) den sicheren Eindruck vermittelt, daß ihnen weitere vierzig Seiten folgen werden, sobald der Anwalt in seiner Antwort auch nur eine geringe Regung des Interesses offenbart. Es gibt die pompösen Offerten, in welchen die Ruhmseligkeit des Advokaten schmeichelnd angesprochen wird: man habe von ihm schon viel gehört und er sei der einzige, der es packen könne. Die Honorarfrage wird fleißig ausgespart oder mit dem Hinweis auf glänzende Einnahmen aus zweifelsohne schnell abzuschließenden Exklusivverträgen im Medienbereich überspielt. Derartige Zuschriften sollten zwar gelesen, aber nur selten zum Anlaß weiteren Eingehens genommen werden. Unschuld – und darum allein geht es – trägt sich in der Regel auch „unschuldig“ vor: sachlich, manchmal gepaart mit Bitterkeit, aber immer mit Klarheit.
Unschuld? In der Praxis des normalen Strafverfahrens hat der Strafverteidiger seinen Beruf verfehlt und seine Rolle mit der des Richters verwechselt, wenn es ihm um mehr ginge als um die Abwehr des staatlichen Strafanspruchs. Dessen Abwehr ist moralisch und professionell stets schon dann gerechtfertigt, wenn die Beweise den Schuldvorwurf nicht tragen. In der Praxis des Wiederaufnahmeverfahrens verkehren sich die Rollen (auch die der Justiz – hierzu weiter unten): Ein Strafverteidiger, der nach gründlichem Studium der Akten und gewissenhafter Befragung des Mandanten nicht von dessen Unschuld überzeugt ist, jedenfalls von einem nachhaltigen „Unschuldsverdacht“ getragen wird, sollte von jeder weiteren Aktivität ablassen.
Dafür gibt es einfache und deshalb gute Gründe. Ein Wiederaufnahmegesuch verlangt stets eine Vielzahl von Recherchen. Nicht jede Fährte, die verfolgt wird, führt zum Ziel: Zeugen sind verstorben oder verweigern sich, Spuren sind verwischt oder lassen sich nicht mehr untersuchen, Akten sind vernichtet oder verschwunden, laienhaft aufgestellte Hypothesen lösen sich nach sachverständiger Beratung in nichts auf. Ein Verteidiger kann aus all diesen Sackgassen und Irrpfaden nur dann auf den Weg der Erkenntnis zurückgelangen, wenn er von der Grundüberzeugung geleitet ist, tatsächlich fündig zu werden, und von der inneren Zuversicht angetrieben wird, nach der Plage vieler vergeblicher Anläufe endlich das Beweisstück in der Hand halten zu können, das dem anzugreifenden Urteil den Garaus bereitet. Allein das einer inneren Gewißheit nahekommende Gespür dafür, daß der Verurteilte unschuldig sei, schafft für alle Mühen ein Motiv.
Dies möge nicht mißverstanden werden. Nicht die persönliche Sympathie für den Mandanten und der fahle Glaube an seine Unschuldsbeteuerungen sind die Basis erfolgreicher Ermittlungstätigkeit, sondern allein eine Unschuldsannahme, die sich aus einer intellektuellen Durchdringung des Stoffes nährt. Sie mag begleitet sein von menschlichen Erfahrungen und gelegentlich auch bekräftigt werden durch irrationale Regungen. Entscheidend ist jedoch, daß die Zweifel an der Tragfähigkeit des Urteils und die starke Vermutung eines Justizirrtums eine verstandesmäßige Grundlage haben; weiterhin muß der Mandant in der persönlichen Konfrontation mit seinem Verteidiger den fortbestehenden Verdachtsmomenten schlüssig und konstant entgegengetreten sein. Dies setzt eine Befragung durch den Verteidiger voraus, die nicht von einem Vertrauensvorschuß für den Mandanten geprägt ist, sondern eher vom Gegenteil: je mehr Mißtrauen gegen den Mandanten in der Anfangsphase des Mandats, desto größer die Erfolgschancen in der Endphase. In der Wiederaufnahme bewährt sich nur der Anwalt als guter Verteidiger, der in dem besseren Staatsanwalt sein Spiegelbild sieht.