Mordfall Julia K. aus Pulkau (NÖ)
03.03.2014 um 13:02Vermisste sind wie "Stachel im Fleisch"
Chef der Fahndung blickt für Buch auf spektakuläre Abgängigenfälle zurück.
Auch die Vorlage für den gestrigen "Tatort" mit Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser unter dem Titel "Abgründe" hat einst auf dem Schreibtisch von Christian Mader begonnen: Die Entführung von Natascha Kampusch. "Wenn ein Kind verschwindet, ist Feuer am Dach", sagt der langjährige Leiter der Abgängigenfahndung Wien: "Und wenn du es über Nacht nicht findest, musst du damit rechnen, dass es nicht mehr lebt."
Natascha Kampusch konnte sich nach acht Jahren selbst befreien, ihr Entführer ist tot, ein in dem Fall ermittelnder Kriminalbeamter (im "Tatort" eine Beamtin) hat angeblich Selbstmord begangen, aber Fahnder und Buchautor Mader warten trotzdem noch immer, dass irgend etwas Neues auftaucht: "Bei mir bleibt etwas offen."
3200 Vermisstenmeldungen gibt es pro Jahr allein in Wien, 80 Prozent sind entwichene Heimzöglinge, in Maders Zeit blieben zwei bis drei Fälle ungeklärt. Zum Beispiel Mirko. Der sitzt dem Polizisten "wie ein Stachel im Fleisch". Sechs Tage vor seinem 18. Geburtstag verschwand das Computer-Genie Mirko Spase aus seiner Schule. Er hinterließ einen Abschiedsbrief auf einer Diskette mit dem Titel "gameover" samt selbst gezeichnetem Strichmännchen von sich selbst, das mit einem Rucksack voller Steine von der Reichsbrücke springt. Aber obwohl umfangreiche Nachforschungen nicht die geringste Spur brachten, glaubt Mader bis heute nicht, dass Mirko Selbstmord begangen hat. Er sollte ein erfolgreicher Sohn sein, vielleicht ist ihm die Last zu schwer geworden. "Und wenn man weiß, wie, dann ist Untertauchen tatsächlich kein Problem", schreibt Mader in seinem Buch "Vermisst".
Es zeichnet darin zwei Dutzend Vermisstenfälle nach. Prominente wie die Tochter von Josef Fritzl, die als abgängig galt, aber vom Vater im Keller gefangen gehalten wurde;
Julia Kührer, deren Leiche erst nach Jahren entdeckt wurde (und laut Mader vielleicht schon früher hätte gefunden werden können);
Ingrid und Philipp, die vom Vater nach Paraguay entführt wurden und erst nach neun Jahren der Ungewissheit ihrer Mutter wieder "auftauchten"; die Identifizierung von Leichen und der Abgleich mit vermissten Passagieren nach dem Absturz der Lauda-Air-Maschine 1991 in Thailand; aber auch unbekannte wie Lisa, die mit zwei Jahren vor den Augen ihres Vaters auf dem Stephansplatz verschwand.
Manche Fälle nimmt man mit ins Bett, sagt Mader. Überhaupt als allein erziehender Vater von drei Söhnen. Man denkt an die Bilder von ermordeten Kindern, die man schon gesehen hat: "Ich weiß, was Menschen ertragen müssen."
Klischees
Als Abgängigenfahnder sei man Seelsorger, Psychologe und Kriminalist, in dieser Reihenfolge. "Man muss sich Zeit nehmen, muss sich in die verschwundene Person hineinversetzen. War der früher schon einmal weg oder ist der immer brav daheim gesessen?" Manchmal werden Klischees wahr, da taucht einer nach 20 Jahren wieder auf, der war tatsächlich bei der Fremdenlegion.
Oft müsse man "aus dem Bauch heraus" ermitteln, sagt Mader, dem bei all der – durchaus wertvollen – Technik heutzutage ein wenig "das G’spür" abgeht. Ob bei Kampusch und Fritzl Fehler gemacht wurden, ob man früher irgendwo hätte "nachschauen" müssen? "In Vermisstenfällen habe ich ja nichts in der Hand, keine Leiche, ich kann ja nicht auf bloßen Verdacht wo reingehen und eine Hausdurchsuchung machen", sagt Mader. Aber man habe aus solchen Fällen gelernt: Es gibt spezielle Schulungen für die Beamten aus den Bundesländern, die erste Anlaufstelle für Vermisstenmeldungen sind; und die Checklisten sind laut Mader exakter geworden, "damit man ja nichts vergisst".
Im Visier der Fahnder
Buch: "Vermisst", Spektakuläre Fälle im Visier der Fahnder, 240 Seiten, 19,95 Euro, Amalthea Verlag. Autor Christian Mader gibt darin auch persönliche Einblicke, wie er an einzelne Fälle herangegangen ist und was er oft Jahre danach noch erfahren hat.
Autor: Christian Mader begann mit 17 Jahren bei der Polizei. Zur Fahndungsgruppe kam er durch den legendären Hofrat Ernst Geiger. Ein Kind wurde vom Vater entführt, der Referent für Abgängigkeiten war krank, Geiger sagte: "Übernehmen Sie!" Heute ist Mader Drogenexperte.
http://kurier.at/chronik/wien/vermisste-sind-wie-stachel-im-fleisch/54.000.454
Chef der Fahndung blickt für Buch auf spektakuläre Abgängigenfälle zurück.
Auch die Vorlage für den gestrigen "Tatort" mit Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser unter dem Titel "Abgründe" hat einst auf dem Schreibtisch von Christian Mader begonnen: Die Entführung von Natascha Kampusch. "Wenn ein Kind verschwindet, ist Feuer am Dach", sagt der langjährige Leiter der Abgängigenfahndung Wien: "Und wenn du es über Nacht nicht findest, musst du damit rechnen, dass es nicht mehr lebt."
Natascha Kampusch konnte sich nach acht Jahren selbst befreien, ihr Entführer ist tot, ein in dem Fall ermittelnder Kriminalbeamter (im "Tatort" eine Beamtin) hat angeblich Selbstmord begangen, aber Fahnder und Buchautor Mader warten trotzdem noch immer, dass irgend etwas Neues auftaucht: "Bei mir bleibt etwas offen."
3200 Vermisstenmeldungen gibt es pro Jahr allein in Wien, 80 Prozent sind entwichene Heimzöglinge, in Maders Zeit blieben zwei bis drei Fälle ungeklärt. Zum Beispiel Mirko. Der sitzt dem Polizisten "wie ein Stachel im Fleisch". Sechs Tage vor seinem 18. Geburtstag verschwand das Computer-Genie Mirko Spase aus seiner Schule. Er hinterließ einen Abschiedsbrief auf einer Diskette mit dem Titel "gameover" samt selbst gezeichnetem Strichmännchen von sich selbst, das mit einem Rucksack voller Steine von der Reichsbrücke springt. Aber obwohl umfangreiche Nachforschungen nicht die geringste Spur brachten, glaubt Mader bis heute nicht, dass Mirko Selbstmord begangen hat. Er sollte ein erfolgreicher Sohn sein, vielleicht ist ihm die Last zu schwer geworden. "Und wenn man weiß, wie, dann ist Untertauchen tatsächlich kein Problem", schreibt Mader in seinem Buch "Vermisst".
Es zeichnet darin zwei Dutzend Vermisstenfälle nach. Prominente wie die Tochter von Josef Fritzl, die als abgängig galt, aber vom Vater im Keller gefangen gehalten wurde;
Julia Kührer, deren Leiche erst nach Jahren entdeckt wurde (und laut Mader vielleicht schon früher hätte gefunden werden können);
Ingrid und Philipp, die vom Vater nach Paraguay entführt wurden und erst nach neun Jahren der Ungewissheit ihrer Mutter wieder "auftauchten"; die Identifizierung von Leichen und der Abgleich mit vermissten Passagieren nach dem Absturz der Lauda-Air-Maschine 1991 in Thailand; aber auch unbekannte wie Lisa, die mit zwei Jahren vor den Augen ihres Vaters auf dem Stephansplatz verschwand.
Manche Fälle nimmt man mit ins Bett, sagt Mader. Überhaupt als allein erziehender Vater von drei Söhnen. Man denkt an die Bilder von ermordeten Kindern, die man schon gesehen hat: "Ich weiß, was Menschen ertragen müssen."
Klischees
Als Abgängigenfahnder sei man Seelsorger, Psychologe und Kriminalist, in dieser Reihenfolge. "Man muss sich Zeit nehmen, muss sich in die verschwundene Person hineinversetzen. War der früher schon einmal weg oder ist der immer brav daheim gesessen?" Manchmal werden Klischees wahr, da taucht einer nach 20 Jahren wieder auf, der war tatsächlich bei der Fremdenlegion.
Oft müsse man "aus dem Bauch heraus" ermitteln, sagt Mader, dem bei all der – durchaus wertvollen – Technik heutzutage ein wenig "das G’spür" abgeht. Ob bei Kampusch und Fritzl Fehler gemacht wurden, ob man früher irgendwo hätte "nachschauen" müssen? "In Vermisstenfällen habe ich ja nichts in der Hand, keine Leiche, ich kann ja nicht auf bloßen Verdacht wo reingehen und eine Hausdurchsuchung machen", sagt Mader. Aber man habe aus solchen Fällen gelernt: Es gibt spezielle Schulungen für die Beamten aus den Bundesländern, die erste Anlaufstelle für Vermisstenmeldungen sind; und die Checklisten sind laut Mader exakter geworden, "damit man ja nichts vergisst".
Im Visier der Fahnder
Buch: "Vermisst", Spektakuläre Fälle im Visier der Fahnder, 240 Seiten, 19,95 Euro, Amalthea Verlag. Autor Christian Mader gibt darin auch persönliche Einblicke, wie er an einzelne Fälle herangegangen ist und was er oft Jahre danach noch erfahren hat.
Autor: Christian Mader begann mit 17 Jahren bei der Polizei. Zur Fahndungsgruppe kam er durch den legendären Hofrat Ernst Geiger. Ein Kind wurde vom Vater entführt, der Referent für Abgängigkeiten war krank, Geiger sagte: "Übernehmen Sie!" Heute ist Mader Drogenexperte.
http://kurier.at/chronik/wien/vermisste-sind-wie-stachel-im-fleisch/54.000.454