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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

678 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Celle, Strafrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

25.06.2023 um 03:50
Zitat von AndanteAndante schrieb:Man darf auch nicht vergessen: Beim Bundesverfassungsgericht gibt es, wie bei jedem obersten Bundesgericht, viele wissenschaftliche Mitarbeiter, also meist jüngere Juristen verschiedenster Fachgebiete aus den Bundesländern, wissenschaftlich sehr interessiert, aber altersbedingt noch ohne allergrößte Praxiserfahrung. Diese sind aber natürlich für die hauptamtliche Richter eine große Hilfe, betreiben Literatur- und Rechtsprechungsrecherche, auch im Hinblick auf Europäischen Gerichtshof und Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, sind beim Brainstorming dabei, schreiben Voten, bringen frische Basiserfahrung mit.
Oh ja, ich würde sagen, ohne dieses Heer an Mitarbeiterinnen wären einige Richter überfordert. Und das ist ein ganz toller Karriereschritt für die jungen Juristen. In den USA ist es inzwischen so, dass sehr viele der höchsten Richter ihre Karriere einmal als ein solcher wissenschaftlicher Mitarbeiter begonnen haben. Einige wurden dann viele Jahre später Nachfolger ihrer ehemaligen Chefs. Das ist spannend.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

30.10.2023 um 21:40
Nicht nur für mich als Jurist interessant: Morgen entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob ein Angeklagter, der freigesprochen wurde für dieselbe Tat zum 2. Mal angeklagt werden darf.
Tragisch: Hans von Möhlmann ist im Sommer 2022 verstorben.

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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

30.10.2023 um 23:38
Nur zur Ergänzung: Es geht ausschließlich um Angeklagte, denen unverjährbare Taten wie Mord und Völkermord vorgeworfen wurden.

Keineswegs kann wieder jeder freigesprochene Hühnerdieb oder Körperverletzer, auch kein Vergewaltiger oder Steuerhinterzieher neu angeklagt werden, dass sieht die gesetzliche Regelung, um die es geht und über die das Bundesverfassungsgericht entscheidet, von Anfang an gar nicht vor.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

30.10.2023 um 23:42
Zitat von AndanteAndante schrieb:Nur zur Ergänzung: Es geht ausschließlich um Angeklagte, denen unverjährbare Taten wie Mord und Völkermord vorgeworfen wurden.
Korrekt. Es geht ausschließlich um unverjährbare Straftaten.
Besonders interessant in diesem Kontext sind Fälle, in denen es bisher keine Anklage gab, weil nicht klar ist, ob die Indizienkette für eine Verurteilung reicht.
Morgen könnte ein Meilenstein in der deutschen Rechtsgeschichte geschaffen werden.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

30.10.2023 um 23:47
Zitat von EichenstarkEichenstark schrieb:Besonders interessant in diesem Kontext sind Fälle, in denen es bisher keine Anklage gab, weil nicht klar ist, ob die Indizienkette für eine Verurteilung reicht.
Würde ich nicht so sehen. Mord verjährt nicht, also kann da auch nach Jahrzehnten auch noch Anklage erhoben werden, wenn es neue Beweise gibt.

Worum es hier geht, sind Fälle, in denen Leute angeklagt und dann rechtskräftig vom Vorwurf des Mordes freigesprochen wurden, wo aber dann irgendwann später neue Beweise auftauchen, die eine Täterschaft des Freigesprochenen nahelegen. Da ist dann die Frage, ob trotz des rechtskräftigen Freispruchs der Prozess noch mal neu aufgerollt werden kann.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

30.10.2023 um 23:52
Zitat von AndanteAndante schrieb:Würde ich nicht so sehen. Mord verjährt nicht, also kann da auch nach Jahrzehnten auch noch Anklage erhoben werden, wenn es neue Beweise gibt.
Eben nicht. Zum Beispiel nur kurz Rebecca Reusch genannt. Aus genau diesem Grund gab es bisher keine Anklage, da bei einem Freispruch keine 2. Anklage möglich wäre.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

30.10.2023 um 23:55
Zitat von EichenstarkEichenstark schrieb:Morgen könnte ein Meilenstein in der deutschen Rechtsgeschichte geschaffen werden.
Gewiss, wobei das aber nur ganz, ganz wenige Fälle betreffen wird. Das ergibt sich schon aus folgenden Umständen:

a) Wieviele Gerichtsverfahren wegen Mordes und Völkermordes gibt es jährlich in der BRD?
b) Wie viele davon enden mit einem rechtskräftigen Freispruch des Angeklagten?
c) Bei wie vielen dieser Freisprüche tauchen irgendwann wirklich zugkräftige Beweise auf, die
d) eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen?

Man sieht, so ein Fall wird alle Jubeljahre mal vorkommen. Im Fall Frederike von Möhlmann freilich ist er vorgekommen. Wie ich schon mal schrieb: Massensachen werden so was aber nicht.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 00:12
Zitat von EichenstarkEichenstark schrieb:Eben nicht. Zum Beispiel nur kurz Rebecca Reusch genannt. Aus genau diesem Grund gab es bisher keine Anklage, da bei einem Freispruch keine 2. Anklage möglich wäre.
Im Fsll Reusch es gab bisher keine Anklage, weil dafür die Beweise nicht ausreichen. Und ohne ausreichende Beweise darf die StA nicht anklagen.

Mit Freispruch ist nicht gemeint, Freispruch durch die Staatsanwaltschaft. Die StA kann nicht freisprechen, die kann nur das Verfahren einstellen bzw. von einer Anklage absehen, wie sie es bisher im Fall Reusch tat.

Freisprechen kann, aber erst nach erfolgter Anklage durch die StA, nur das Gericht.

Dazu noch mal: Das Bundesverfassungsgericht wird, grob gesagt, morgen zu der Frage entscheiden, ob jemand, der schon mal wegen Mordes vom Gericht freigesprochen wurde, deswegen noch ein zweites Mal angeklagt werden kann.

Im Fall Reusch gab es nicht mal eine erste Anklage wegen Mordes, erst recht keinen Freispruch vom Gericht, deswegen ist dieser Fall hier nicht einschlägig.


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31.10.2023 um 10:20
Entschieden: Neuregelung verfassungswidrig, kein neuer Strafprozess im Fall Möllemann. Schade finde ich.

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/bundesverfassungsgericht-kippt-reform-zur-wiederaufnahme-von-strafverfahren-a-eb891c55-81e8-454a-9363-773f283f8f3e?d=1698743810&sara_ref=re-so-app-sh


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 12:00
Es gab nach der heutigen Pressemitteilung 2 abweichende Meinungen („dissenting votes“) zu Teilen der Begründung der Senatsmehrheit.

Einig war man sich aber darin, dass für die Neuregelung des § 265 Nr. 5 StPO ein echtes Rückwirkungsverbot gilt, also die Vorschrift ohnehin nicht auf Fälle angewendet werden kann, in denen die Rechtskraft des Freispruchs schon VOR Inkrafttreten der Neuregelung eingetretenist. Der Fall Möhlmann ist so ein Fall, damit war die Sache bereits gelaufen.

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-094.html

Nun ist also der Prozess an das Landgericht Verden zurückverwiesen worden. Dieses wird das Verfahren vermutlich zügig einstellen, und das war´s. Vater Möhlmann musste wenigstens nicht mehr erleben, dass sein jahrelanger Kampf am Ende vergebens war.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 12:23
Hier die sehr ausführliche Pressemitteilung des BVerfG:

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-094.html

Das BVerfG hat nun klar Stellung bezogen und die Sache auch für die Zukunft geklärt. Die Wiederaufnahme bei neuen Beweismitteln etc. zu Ungunsten eines Freigesprochenen ist grundsätzlich nicht möglich.


Es soll Freigesprochene/Verurteilte vor weiterer Strafverfolgung schützen.
§ 362 Nr. 1–4 StPO sind nach wie vor Grundgesetzkonform.

Auch das Rückwirkungsverbot wurde erneut bestätigt. Grundsätzlich gilt für rechtskräftige Entscheidungen das „echte“ Rückwirkungsverbot.

Das BVerfG hat auch grundsätzlich mit der schlechteren Beweislage nach einer meist langen Zeit befasst (was natürlich grundsätzlich ein Problem der Nichtverjährbarkeit bei Mord darstellt), auch hat es auch von Opferseite das Ganze betrachtet.

Ich begrüße daher diese Entscheidung, die Gründe der Pressemitteilung, welche zur Verfassungswidrigkeit führen, sind gut nachvollziehbar.



Abgesehen davon wurde die Diskussion auch teilweise sehr scheinheilig geführt, es wurde häufig auf die Wiederaufnahme zu Gunsten eines Verurteilten verwiesen.

Die Experten, die das anführten, wissen in Wirklichkeit ganz genau, dass das in Wirklichkeit fast nur auf dem Papier existiert. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass Unschuldige einen Anwalt – wie z.B. Frau Rick im Badewannenunfall-Fall – finden, der sich jahrelang pro Bono arbeiten, und sich durch die vielen Niederlage nicht beirren lässt.


Glücklicherweise hat nun das BVerfG alles entsprechend abgewogen und hat sich nicht durch solche „Experten“ beeinflussen lassen.

Zusammenfassend ist die Sichtweise des Justizministeriums von damals bestätigt worden. Die Politiker wollten dann trotzdem das Gesetz kurz vor Der Wahl durchdrücken. Dass das kurz vor der Wahl erfolgte, erzeugt schon ein gewisses Geschmäckle.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 12:35
Zitat von LentoLento schrieb:Ich begrüße daher diese Entscheidung, die Gründe der Pressemitteilung, welche zur Verfassungswidrigkeit führen, sind gut nachvollziehbar.
Ja. Dem kann man sich anschließen. Danke dir (und Andante) für die Verlinkung. Die Gründe , die ja auch hier schon diskutiert wurden, die zur Verfassungswidrigkeit führen sind in der Pressemitteilung schön ausgeführt.
Und ich halte die Mehrheitsmeinung auch für überzeugender, als die Position der beiden Richter mit abweichender Ansicht.
Wobei diese für den hier diskutierten Fall ja ebenfalls die Verfassungswidrigkeit aufgrund des Rückwirkungsverbots feststellen. Bezüglich des Falles Möhlmann ist die abweichende Meinung daher eh nicht von Belang.
Zitat von LentoLento schrieb:Zusammenfassend ist die Sichtweise des Justizministeriums von damals bestätigt worden. Die Politiker wollten dann trotzdem das Gesetz kurz vor Der Wahl durchdrücken. Dass das kurz vor der Wahl erfolgte, erzeugt schon ein gewisses Geschmäckle.
Ja. Die damalige Justizminsterin Lambrecht hat tatsächlich keinen guten Eindruck hinterlassen. Sie hat bei zwei wichtigen Punkten (dieser Fall, und der Aufstufung von sexuellen Missbrauch zum Verbrechen) komplett auf die Bild und deren Populismus gehört, anstatt auf die Stimmen derer, die sich damit auskennen.
Der erste Fehlgriff wurde nun korrigiert. Hoffen wir, dass es bald auch mit dem zweiten passiert.


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31.10.2023 um 13:22
Zitat von LentoLento schrieb:Glücklicherweise hat nun das BVerfG alles entsprechend abgewogen und hat sich nicht durch solche „Experten“ beeinflussen lassen.
Ach, so viele Juristen, so viele Meinungen….

Ich halte nach wie vor die Entscheidung des OLG Celle, die ja Grundlage für das Verfahren beim BVerG war und die nun gekippt wurde, für sehr nachvollziehbar begründet. Aber irgendwann muss ja mal das letzte Wort gesprochen sein und eine Entscheidung herbeigeführt werden, an die sich alle zu halten haben, und das ist nun passiert. Insofern: alles in Ordnung.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 15:25
Ich steĺle fest, dass ich mit meiner Auffassung genau richtig lag. Als Jurist konnte ich mir nicht vorstellen, dass das BVerfG diesen hunderte Jahre alten Grundsatz eines Rechtstaates kippen würde, der, auch wenn es einigen schwerfäĺt zu glauben, dem Schutz Unschuldiger dient.

Im Einzelfall hier hätte ich dem Mõrder eine Strafe gewünscht, aber nicht zu diesem hohen Preis. Er wird eine gerechte Strafe vor einem hõheren Gericht erhaĺten


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 15:40
Zitat von AndanteAndante schrieb:Ich halte nach wie vor die Entscheidung des OLG Celle, die ja Grundlage für das Verfahren beim BVerG war und die nun gekippt wurde, für sehr nachvollziehbar begründet.
Urteile/Beschlüsse erscheinen in den meisten Fällen nachvollziehbar begründet. Ob es aber vollumfänglich ausreichend betrachtet wurde, das ist dann eine andere Frage.


Bei näherem Vergleich sieht man jedoch, dass das BVerfG schon mehr Aspekte berücksichtigt hat als das OLG Celle.

Für mich hatte der Beschluss des OLG auch einen schweren Denkfehler. Es meinte, dass die hohen Hürden der Wiederaufnahme Freigesprochene vor Strafverfolgung schützen würden. Da steckt ein schwerer Denkfehler hinter, denn diese hohen Hürden betreffen eben erst die Wiederaufnahme, Strafverfolgung (also auch Hausdurchsuchungen etc.) hätte da erstmal ganz unabhängig von den Hürden stattgefunden, wenn das Gesetz Bestand gehabt hätte. Und soweit ich es sehe, war genau diese Betrachtung mit ein Grund das Gesetz als nicht grundrechtskonform anzusehen. Durch diesen schweren Denkfehler hatte schon offensichtlich das OLG die Rechte von Freigesprochenen nicht ausreichend berücksichtigt.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 16:01
Ich habe das Urteil und die Begründung heute im Radio gehört
Dazu habe ich eine Frage in die Runde.

Ausgangslage:
Ein Mordverdächtiger wurde vor Gericht freigesprochen.
Jahre später liegen aber neue Beweise vor und die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass
er in einem neuen Prozess überführt werden könnte. Aber die Hände sind ihr gebunden.
Der damals Freigesprochene darf nicht erneut angeklagt werden.

Ich würde für konsequent halten, wenn die Presse über den neuesten Stand nicht informiert werden dürfte.
Ein "Er war es wohl doch" dürfte dann auch nicht an die Öffentlichkeit gelangen.

Andererseits würde diese Mitteilung andere schützen, die von ihrem Umfeld verdächtigt werden
Nach dem Motto: Der war es wohl nicht, dann war es doch jemand aus der Familie...

Und der vorletzte Punkt:
Der Mordfall ist nicht abgeschlossen. Die Angehörigen haben ein Recht, informiert zu werden.
Haben sie das? Oder läuft die Infoprmation eher unter der Hand?

Eine theoretische Möglichkeit (aber die muss ja mitgedacht werden)
Es gab nach dem Freispruch des Täters einen weiteren Prozess gegen einen anderen, der mit der Tat nichts zu tun hatte.
Und dieser wurde verurteilt , sitzt zu Unrecht im Gefängnis (anstelle des Täters)
Dieser unschuldig Verurteilte kann dich nur rehabilitiert und entschädigt werden, wenn die neuen Beweise vor Gericht erörtert werden.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 16:20
Die Argumentation mit Vorrang des Rechtsfriedens unter allen Umständen wäre ja noch nachvollziehbar, wenn sie stringent wäre.

Bekanntlich sieht aber § 265 StPO in seinen Nummern 1 bis 4 die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen durchaus bei bestimmten Konstellationen vor. Die Neuregelung der Nr. 5 wäre unter diesem Aspekt lediglich eine weitere Konstellation, die zu denen dazukäme, wo eine Durchbrechung der Rechtskraft eines Freispruchs bereits vorgesehen ist. Art. 103 (3) GG gilt insofern also gerade nicht absolut.

Vielleicht geht das BVerfG in der kompletten Entscheidungsbegründung darauf noch näher ein.
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Ich würde für konsequent halten, wenn die Presse über den neuesten Stand nicht informiert werden dürfte.
Ein "Er war es wohl doch" dürfte dann auch nicht an die Öffentlichkeit gelangen.
Ich denke, da die StA sowieso nicht erneut anklagen dürfte, hat die Öffentlichkeit daran auch kein Interesse zu haben, so dass die StA insoweit auch keine Informationsverpflichtung hat. Wieso auch, sie kann ja eh nichts mehr tun, weiter ermitteln, wie stichhaltig oder auch nicht stichhaltig neu aufgetauchte Beweise wären etc. darf sie nicht mehr.

Was die Ermittlungsbehörden aber nicht verhindern können, ist, dass Opferangehörige, die ja Akteneinsicht haben, hingehen und der Presse erzählen, wie der Stand ist. So was es im Fall Möhlmann ja auch. Es war der Vater, der die Öffentlichkeit eingespannt hat, um eine Gesetzesergänzung zu erreichen.

Man kann Opferangehörigen die Akteneinsicht auch kaum versagen, denn der Fall ist ja nicht abgeschlossen bzw. aufgeklärt. Wenn es der Freigesprochene nicht war, muss ja jemand anders der Täter sein, und der wird ja weiter gesucht.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 16:38
Zitat von AndanteAndante schrieb:Bekanntlich sieht aber § 265 StPO in seinen Nummern 1 bis 4 die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen durchaus bei bestimmten Konstellationen vor. Die Neuregelung der Nr. 5 wäre unter diesem Aspekt lediglich eine weitere Konstellation, die zu denen dazukäme, wo eine Durchbrechung der Rechtskraft eines Freispruchs bereits vorgesehen ist. Art. 103 (3) GG gilt insofern also gerade nicht absolut.

Vielleicht geht das BVerfG in der kompletten Entscheidungsbegründung darauf noch näher ein.
Darauf ist das BVerfG in seiner mündlichen Begründung zu Beginn zumindest kurz eingegangen. Die bereits bestehenden Wiederaufnahmegründe zuungunsten des Angeklagten sind schon im Grundsatz anders, als der jetzt für verfassungswidrig erklärte Wiederaufnahmegrund.

Die Nr. 1-3 normieren Gründe, bei denen das Strafverfahren nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen abgelaufen ist. Dem Angeklagten steht insofern kein Vertrauensschutz zu, als dass ein nicht rechtsstaatlich geführtes Verfahren keinen Anspruch auf Bestands-/Rechtskräftigkeit haben kann/darf und damit nicht durch Art. 103 II GG geschützt ist.

Bei der Nr. 4, also einem glaubwürdigen Geständnis des Freigesprochenen, ist derjenige nun einmal selbst dafür verantwortlich. Dieser Wiederaufnahmegrund ist vom Freigesprochenen selbst abhängig, sodass es allein in seinen Verantwortungsbereich fällt, ob dieser gegeben ist oder eben nicht.

Die für verfassungswidrige erklärte Nr. 5 ist aber nun einmal vollständig anders, da hier die Strafverfolgungsbehörden regelmäßig einen neuen Versuch wagen könnten, sollten neue Beweismittel vorliegen. Zumal es auch nicht wie in Nr. 1 nur bei bestimmten Beweismitteln möglich gewesen wäre. Somit liegt dieser Wiederaufnahmegrund weder im Verantwortungsbereich des Freigesprochenen noch stellt er einen Schutz für ein rechtsstaatliches Verfahren dar. Die Intention ist eine völlig andere und somit zurecht, wie das BVerfG ausführte, nicht vergleichbar mit den bereits bestehenden Gründen.
Zumal ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot mehr als offensichtlich ist und sich darauf auch die Einstimmigkeit der Entscheidung bezieht.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 16:42
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Eine theoretische Möglichkeit (aber die muss ja mitgedacht werden)
Es gab nach dem Freispruch des Täters einen weiteren Prozess gegen einen anderen, der mit der Tat nichts zu tun hatte.
Und dieser wurde verurteilt , sitzt zu Unrecht im Gefängnis (anstelle des Täters)
Dieser unschuldig Verurteilte kann dich nur rehabilitiert und entschädigt werden, wenn die neuen Beweise vor Gericht erörtert werden.
Der unschuldig Verurteilte müsste dann ein Wiederaufnahmeverfahren zu seinen Gunsten anstrengen, in dem die neuen Beweismittel definitiv verwertet werden dürfen. Sie dürfen nur eben nicht als Grundlage für einen neuen Prozess gegen den bereits Freigesprochenen verwendet werden. Das sind dann aber eben zwei Verfahren, einmal die Wiederaufnahme und das Verfahren gegen den Freigesprochenen, dass dann aber nun einmal nicht mehr geführt werden darf.

Im Zivilprozess gegen Ismet H. ist das Gericht ja auch von seiner Täterschaft ausgegangen, obwohl ein Freispruch erfolgte. Aber es handelte sich nun einmal um zwei verschiedene Verfahren.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 16:57
@Juris019
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Bei der Nr. 4, also einem glaubwürdigen Geständnis des Freigesprochenen, ist derjenige nun einmal selbst dafür verantwortlich. Dieser Wiederaufnahmegrund ist vom Freigesprochenen selbst abhängig, sodass es allein in seinen Verantwortungsbereich fällt, ob dieser gegeben ist oder eben nicht.
Noch ergänzend aus der Pressemitteilung I 1c):
Die Aufhebung eines Freispruchs nach einem glaubwürdigen Geständnis verfolgt den Zweck, ein Verhalten zu verhindern, das die Autorität des rechtsstaatlichen Strafverfahrens infrage stellen würde.
Der Freigesprochene soll sich mit einem Fehlurteil nicht brüsten können.

Ich denke, diese Auffassung des BVerfG trifft es besser, denn dadurch wird dieser Punkt etwas für die Fälle entschäft, wenn ein Freigesprochener nur deshalb ein Geständnis ablegt, weil die Grfahr greifbar wurde, dass ein anderer (Unschuldiger) für seine Tat büßen muss. Denn ein solches Geständnis nur aus diesem Grund würde die Autorität des rechtsstaatlichen Strafverfahrens nicht infrage stellen. Bisher ist dieser Punkt nicht zufriedenstellend geklärt, in entsprechenden Fällen wurde die Wiederaufnahme deshalb abgelehnt, weil der Geständige vorher von den Ermittlern/StA nicht ausreichend aufgeklärt wurde.

Es ist daher offensichtlich, dass die vorhandenen Wiederaufnahmemöglichkeiten (§ 265 StPO 1-4) wirklich ganz anderen Zwecken dient und damit mit dem neuen Punkt 5 nicht im geringsten vergleichbar sind.


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