Kohlhaas schrieb:Nehmen wir mal an, ein Tatverdächtiger wird erst 40 oder 50 Jahre nach einer Tat ermittelt und gefasst, das war zB bei einigen NS-Kriegsverbrecher-Verfahren der Fall:
Ich denke, der Vergleich mit NS-Verbrechen ist hier fehl am Platz. Die Bestrafung erfolgte erst so spät, weil die deutsche Justiz sehr viele NS-Richter tätig waren, dadurch unterblieb einen zeitnahe Aufbereitung der Fälle. Erst Änderungen der Rechtsprechung (in mehreren Stufen) ermöglichte die späten Prozesse, das ist aber normalerweise eine reine Ausnahme.
Der Staat muss immer darauf achten dass er nicht Unrecht schafft. Und das macht er, wenn er einen Unschuldigen verurteilt oder schon allein in diesem Fall ist die U-Haft schon Unrecht gewesen. Also 1 Jahr in Haft, wo man noch weniger Rechte hat als in Strafhaft. Das ist auch UNRECHT, von wegen alles Paletti. Und Du hattest selber geschrieben, dass das nie ungeschehen gemacht werden kann. Es ist und bleibt UNRECHT.
Und bei diesem Thema wird auch häufig der Begriff „unerträglich“ genannt.
Und da muss man sich fragen, was ist das. Ist nicht schon einen U-Haft von 1 Jahr unerträglich, weil man sie nie und nimmer rückgängig machen kann? Der Staat hat allein schon mit der U-Haft Unrecht weiteres Unrecht in die Welt gesetzt.
Ist das nicht in Wirklichkeit auch schon unerträglich, aber wir es einfach nicht so mehr so empfinden, weil, wir uns dran gewöhnt haben und weil das leider manchmal unvermeidbar ist? Und finden wir das vielleicht nicht ganz so schrecklich (unerträglich), weil man insgeheim glaubt, es hat den richtigen getroffen? Haben wir vielleicht schon lange das rechte Maß verloren das zu beurteilen? Wer war den schon mal in dieser Lage?
Vielleicht sollte man sich das mal wieder etwas deutlicher vor Augen führen.
Wenn ein wirklicher Täter nicht verurteilt wird, was ist eigentlich dann? Die Tat wird durch die Strafe nicht ungeschehen gemacht, Unrecht schafft man damit nicht aus der Welt.
Wichtig ist erstmal, dass man durch Urteil und Bestrafung wird weiteres Unrecht verhindert, das durch den Täter entstehen kann.
Bei einem sehr alten Fall ist aber ausgerechnet dieser Grund so gut wie vom Tisch, entweder die sind schon längst erfolgt (dann ist es schon meist dafür bestraft worden) oder es war ein einmaliges aber durchaus sehr schwerwiegendes Verbrechen.
So, dann bleibt nur noch die Sühne und zum Problem, wie kann man das abwägen, was ist dann „unerträglicher“?
So und hier werden sich die Geister scheiden, dem einen liegt mehr daran, dass der Staat nicht Unrecht schafft und der wird lieber 10 Verbrecher laufen lassen, damit kein Unschuldiger verurteilt wird, der andere mag der Sühne-Gedanke über alles gehen, und er wird lieber 10 Unschuldige verurteilt sehen, statt das einen davon kommt (überspitzt formuliert).
Im Übrigen: Auch die Anklagebehörde hat viele Jahre nach einer Tat ja Schwierigkeiten, für ihren Verdacht ausreichend Beweis zu führen. Deshalb wird aber nicht auf Cold-Case-Units verzichtet.
Und noch mal: Der Fall Frederike ist deshalb so besonders, weil eben - im Gegensatz zu sonstigen Fällen, wo bereits ein Verfahren stattfand und ein rechtskräftiger Freispruch erfolgte - ganz neue Beweise aufgetaucht sind.
Das Problem ist hier, dass im Fall Möhlmann klar erscheint. Aber die Gesetzesänderung wird Auswirkungen haben, die auch zu mehr unrechtmäßiger U-Haft führen wird. Und weil in Wirklichkeit so wenige Fälle dadurch zufriedenstelleder gelöst werden, dürfte das Unrecht, dass dann zusätzlcih in die Welt gesetzt wird höher sein, der Versuch der Kompensation des anderren Unrechts wahrscheinlich überwiegen.
Du hast Recht, einen Anklage für einen StA ist nach einer solch langen Zeit sehr schwierig, aber auch für die Verteidigung wird es mindestens genauso schwierig. Und da die Mittel der Verteidigung auch deutlich begrenzter sind, als die des Staates wird das Ungleichgewicht mit der Zeit größer.
Der Aschaffenburger Fall ist doch fast schon ein Schulbeispiel für, wie eine übermütig gewordene Ermittler/StA kaum mehr zu bremsen waren. Man darf nicht vergessen, der Angeklagte hatte sogar ein fast 100%iges Alibi! Daher wurde 40 Jahre vorher gegen ihn nicht weiter ermittelt und es wurde auch 40 Jahre vorher von seinem Gebiss kein Abdruck genommen obgleich er das damals angeboten haben soll. Und trotzdem hat man das Gutachten erst im Verfahren überprüft, das nenne ich jetzt definitiv IRRE, ja, natürlich gibt es eben doch diese „irren“ StA, die wider jeder Vorsicht dann ein Prozess wagen. Und als die Gutachterin befragt wurde, hatte das Gericht erst noch diese für glaubwürdig gehalten und hatte den Antrag auf ein neues Gutachten der Verteidigun abgelehnt!
Wie häufig diese Fälle sind, das weiß ich nicht, das weiß niemand, aber sie wird es geben. Sie werden selten bekannt werden, weil es ein extrem seltener der Fall ist, dass ein Gutachten durch Laien widerlegt werden können.
Wenn man immer nur den Fall Möhlmann heranzieht, macht man es sich zu einfach. Da ist scheinbar alles klar, aber wegen dieser wenigen Fälle solche einen Eingriff zu tun, des Folgen man überhaupt nicht im Geringsten abschätzen kann, sollte es es opportun sein es zu unterlassen, auch wenn es unpopulistisch ist. Ob es nun verfassungswidrig ist oder nicht, diese Frage ist genaugenommen zweitrangig, denn ob einen Gesetz sinnvoll ist oder nicht, darüber sagt die Verfassungsmäßigkeit nichts aus.