frauZimt schrieb am 21.06.2020:Bemerkenswert, dass sie sich in Untersuchungshaft befindet. Sie hat doch bestimmt einen festen Wohnsitz. Verdunkelungsgefahr,- Zeugenbeeinflussung werden nicht die Gründe sein. Ich habe auch nicht gelesen, dass sie psychisch labil ist und man einen Suizidversuch befürchtet. Dann würde sie sich jetzt wohl auch eher in einer forensisch-psychiatrischen Einrichtung befinden.
Also ist die U-Haft eine Präventivmaßnahme gegen Wiederholungstaten?
Vielleicht kennt sich ein User mit dem Thema U-Haft aus?
Ich habe eben noch gelesen, dass für die Entscheidung U-Haft ja oder nein auch eine Rolle spielt, ob der TV sozial eingebunden ist- also Familie und Freunde hat. Wer ohne da steht, hat von der Seite keinen Grund zu bleiben (keine sozialen Verpflichtungen) und begibt sich eher auf die Flucht.
Das ist richtig. Es ist im Übrigen falsch, zu glauben die Schwere einer Tat hat per se etwas mit der Verhängung von Untersuchungshaft zu tun. Diese Ansicht ist zwar weit verbreitet und daran ist die Praxis des Staates, bei bestimmten Straftaten nahezu immer einen Haftbefehl zu beantragen nicht unschuldig, aber das Bundesverfassungsgericht hat dem, zumindest in der Theorie, bereits 1965 einen Riegel vorgeschoben. Es schrieb damals:
(Damals war der heutige Absatz 3 des § 112 der Absatz 4)
Der neu eingeführte § 112 Abs. 4 StPO müßte dagegen rechtsstaatliche Bedenken erwecken, wenn er dahin auszulegen wäre, daß bei dringendem Verdacht eines der hier bezeichneten Verbrechen gegen das Leben die Untersuchungshaft ohne weiteres, d.h. ohne Prüfung weiterer Voraussetzungen, verhängt werden dürfte. Eine solche Auslegung wäre mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Es kann schon zweifelhaft sein, ob sie dem Wortlaut der Bestimmung entspricht; denn dieser legt es nahe, der Vorschrift nur subsidiäre Geltung beizumessen, sie also nur anzuwenden, wenn zuvor das Vorliegen eines Haftgrundes nach Absatz 2 geprüft und verneint worden ist. Aber auch wenn man dieser Auslegung nicht folgt, fordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, daß der Richter auch bei Anwendung des § 112 Abs. 4 StPO den Zweck der Untersuchungshaft nie aus dem Auge verliert. Weder die Schwere der Verbrechen wider das Leben noch die Schwere der (noch nicht festgestellten) Schuld rechtfertigen für sich allein die Verhaftung des Beschuldigten; noch weniger ist die Rücksicht auf eine mehr oder minder deutlich feststellbare "Erregung der Bevölkerung" ausreichend, die es unerträglich finde, wenn ein "Mörder" frei umhergehe. Es müssen vielmehr auch hier stets Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, daß ohne Festnahme des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte.
Der zwar nicht mit "bestimmten Tatsachen" belegbare, aber nach den Umständen des Falles doch nicht auszuschließende Fluchtverdacht oder Verdunkelungsverdacht kann u.U. bereits ausreichen. Ebenso könnte die ernstliche Befürchtung, daß der Beschuldigte weitere Verbrechen ähnlicher Art begeht, für den Erlaß eines Haftbefehls genügen. § 112 Abs. 4 StPO ist in engem Zusammenhang mit Absatz 2 zu sehen; er läßt sich dann damit rechtfertigen, daß mit Rücksicht auf die Schwere der hier bezeichneten Straftaten die strengen Voraussetzungen der Haftgründe des Absatzes 2 gelockert werden sollen, um die Gefahr auszuschließen, daß gerade besonders gefährliche Täter sich der Bestrafung entziehen.
BVerfGE 19, 342 vom 15.12.1965 Hervorhebungen von mir
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv019342.htmlIn der Praxis zeigt sich allerdings schon, dass man bei den Haftrichtern eine gewisse "Lockerung der Voraussetzungen der U-Haft," die das Gericht hier anspricht, sehen kann.
Was bedeutet das nun für diesen Fall? Ich vermute, man begründet die U-Haft schon mit einer Fluchtgefahr, angesichts der Tatsache, dass bei einer Verurteilung das private, berufliche und soziale Leben der Beschuldigten wohl endgültig in Trümmern liegen würde.
Ob das nun angesichts der Meinung des Bundesverfassungsgerichts so richtig ist, ist vielleicht ein Thema für eine Promotion einer angehenden Juristin, aber hier im Thread wohl eher OT. Tatsache ist, die Beschuldige ist in Haft.