ThoFra schrieb:Soweit ich weiß, ist Vorraussetzung für ein Wiederaufnahme-Verfahren doch, dass 'neue' Beweise/Zeugen/Erkenntnisse auftauchen, die in dem/den bisherigen Verfahren (noch) nicht berücksichtigt wurden, oder?
Müssten eigentlich die Anwälte hier im Forum @Rick_Blaine oder @Andante beantworten können.
Ja, die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Strafverfahrens wird auch in Österreich u.a. von "neuen Tatsachen oder Beweismitteln" abhängig gemacht, die "geeignet erscheinen, eine Freisprechung zu begründen." § 353 StPO
https://www.jusline.at/gesetz/stpo/paragraf/353Die österreichische Rechtsprechung unterscheidet sich da vom Prinzip her nicht von der deutschen.
Mir ist allerdings in diesem Fall noch so viel unklar, dass ich mir keine Meinung bilden kann. Man müsste wirklich den Akt kennen und freilich auch das Urteil, um zu sehen, was dem Gericht nun wie vorgelegen hat.
Bisher glaube ich zu verstehen, dass wir es mit mindestens drei involvierten Personen zu tun haben: dem Verurteilten, einem Zeugen C.F. und einem Taxerer als Zeugen. Dazu kommt noch eine Zeugin, die den Verurteilten zur Tatzeit woanders gesehen haben will. Und schliesslich ist von zwei verschiedenen Wohnungen die Rede, in welchen entscheidende Spuren, unter anderen die besagten Schuhe, gefunden worden sein sollen, aber schon bei diesem Punkt wird alles so extrem unklar, dass ich hier nicht weiterkomme.
An sich erscheint die Fragestellung hier gar nicht so kompliziert (sie ist es aber, wie ich weiter unten zeigen werde): es gibt anscheinend zwei verschiedene Paar Schuhe, glücklicherweise so verschieden, nämlich schwarz/silbern und weiss, dass man eigentlich davon ausgehen sollte, dass das klar dargestellt werden kann: An welchen Schuhen wurde nun Blut des Opfers gefunden und an welchen nicht, und wem gehören die jeweiligen Schuhe?
Nun wird es aber wieder sehr unklar: es stehen zwei Behauptungen im Raum, einmal dass ein bestimmtes Paar Schuhe in einer Waschmaschine gefunden wurden, aber schon wieder ist nicht genau klar, in welcher Wohnung. Und das andere Paar wurde angeblich vom Haupttatzeugen getragen.
Hier ist nun soviel unklar, dass man nicht mehr weiter weiss: wie wurden die Blutspuren und an welchen Schuhen gefunden, analysiert und erkannt? Dann gibt es wohl noch ein drittes Paar Schuhe, die der Freundin des Verurteilten gehören sollen und auf Beweisfotos zu sehen sein sollen, wieder aber bleibt alles Genaue im Dunklen.
Schliesslich soll es dann noch ein Geständnis des Verurteilten geben, dass er Gewalt gegen das Opfer angewendet haben soll. Das soll aber wieder zurückgezogen worden sein, und der Verurteilte gibt an, sich an den Tatabend nicht zu erinnern, wegen seiner Trunkenheit.
Es taucht auch am Rande auf, dass die restliche Kleidung des Verurteilten am Tatabend nicht mit der Beschreibung der Kleidung durch Zeugen übereinstimmen soll.
Fein, ein riesiges Durcheinander. Es ist normalerweise nun Aufgabe der ermittelnden Kriminalbeamten und damit der Staatsanwaltschaft, das Durcheinander in eine stimmige Präsentation zu fassen, die es den Geschworenen ermöglichen soll, ein vernünftiges Urteil zu fällen. Die haben wir aber hier nicht vorliegen, so dass wir, die geneigten allmy-Ermittler kein sinnvolles Ergebnis finden können.
Nun kann ich aus meiner langjährigen Tätigkeit als Strafverteidiger sagen, wenn auch nicht in Österreich, dass ich mir nicht so recht vorstellen kann, dass den Geschworenen so ein Durcheinander präsentiert wurde und sie sich ganz und gar selbst überlassen wurden, und dazu noch in der Lage waren, ein Urteil zu fällen. Nein, da dürfte eindeutig mehr sein.
Schliesslich weise ich noch auf einen Punkt hin, der besonders hier im Forum oft nicht verstanden wird: Das
Nichtvorhandensein einer Tatspur heisst noch lange nicht, dass ein Täter nicht doch am Tatort anwesend war und die Tat begangen hat.
In diesem Fall hier: nach den mir vorliegenden Darstellungen sollen sowohl der Zeuge CF und der Verurteilte direkt bei der Tat anwesend am Tatort gewesen sein. Selbst wenn wir einmal annehmen, dass sich Blut des Opfers tatsächlich nur an den Schuhen des Zeugen fand, nicht aber an den Schuhen des vermeintlichen Täters bedeutet das keineswegs automatisch, dass der Zeuge der Täter und der Verurteilte unschuldig sein muss. Es mag ein Indiz in diese Richtung sein, aber kein klarer Beweis. Mindestens muss man diese Indizien in einen Zusammenhang mit anderen stellen, z.B. den Aussagen der beiden Tatzeugen usw. Dabei ist freilich auch deren Glaubwürdigkeit zu berücksichtigen usw. Konkret gesagt, als Beispiel, nicht mehr(!): wenn zwei direkt neben dem Opfer stehen, und einer von beiden weist Blutspuren auf, der andere nicht, muss man versuchen, die weiteren Tatumstände zu betrachten. Theoretisch kann es durchaus sein, dass Opferblut auf der Kleidung des Zeugen zu finden ist, der aber die Tat nicht begangen hat, und der Verurteilte eventuelles Opferblut an seiner Kleidung beseitigt hat (Waschmaschine) oder eben aus einem Tatumstand kein Opferblut an seine Kleidung gelangt ist. Wie gesagt, das ist nur ein Beispiel, ich habe keine Ahnung, ob das hier so ist. Aber zur Klärung all dieser Fragen müsste man eben die kompletten Ermittlungsschritte und Ermittlungsergebnisse kennen.
Kann es sein, dass hier die Ermittler Dinge durcheinander gebracht haben, z.B. die verschiedenen Schuhe? Sicherlich, aber es muss nicht sein. Kann es sein, dass die Geschworenen den Überblick verloren haben weil ihnen die Indizien verwirrend präsentiert wurden? Sicherlich, aber es muss nicht so sein. Usw. Wir können das nur beurteilen, wenn wir wirklich detailliert den Akt und den Verhandlungsverlauf kennen würden. Kann es sein, dass die ermittelten Fakten in ihrer Gesamtheit keine schlüssige Antwort auf die Schuldfrage ergeben? Freilich. Das ist dann der Moment, und erst dann, wenn man im Zweifel für den Angeklagten entscheiden muss.