Bin da ganz bei
@Wozzeck Auch ich habe sehr große Schwierigkeiten damit, zu verstehen, warum den Eltern so oft mehr oder weniger subtil abgesprochen wird, sich berechtigte Sorgen gemacht zu haben. Ganz abgesehen davon, dass das Ende eine so unfassbar deutliche Sprache spricht, finde ich, dass im Stern-Interview mehr als deutlich wird, dass es sich eben nicht um einen gewöhnlichen Pubertätskonflikt gehandelt hat.
Step by step:
Wir haben ein 16-jähriges Mädchen, das (so scheint es) ein bislang sehr angepasstes Leben geführt hat. Dann zeigt es, binnen weniger Wochen, eine extreme Verhaltensänderung: Ein neues Umfeld, Kontaktabbruch zum alten, Verweigerung an Familienaktivitäten teilzunehmen.
Oberflächlich betrachtet ziemlicher Durchschnitt.
Aber: Bei den neuen Freunden handelt es sich nicht um etwa Gleichaltrige, im Fokus steht in erster Linie ein Mann um die 50, der von der 16-Jährigen auffallend positiv wahrgenommen wird. Dieser verteilt nicht nur Visitenkarten auf denen er sich fälschlicherweise als Psychologe ausgibt, sondern erzählt der Tochter Geschichten von Aura-Fotografie, die diese übernimmt. Zudem ist das Mädchen plötzlich im Besitz eines teuren Smartphones und weigert sich, dessen Herkunft zu erklären. Die Kommunikation mit den Eltern stellt es gänzlich ein.
In der Folge zeigt es die Eltern wegen häuslicher Gewalt an. Deren Aussage zufolge absolut unberechtigt. Das Mädchen zieht in ein betreutes Wohnen, wo es sich absolut abkapselt und weder mit Mitbewohnern noch Betreuern kommuniziert. Dafür versucht ein Gruppenmitglied das Sorgerecht für es zu bekommen. Der Lehrer, der das Kind in den Kreis eingeführt hat, bringt sich um und verschickt einen Abschiedsbrief an Medien, in denen er den Eltern nicht nur die (Mit-)Schuld an seinem Suizid gibt, sondern auch Lügen über sie verbreitet.
Ich bitte Euch, das hat alles nichts mit Spießertum, Szenen-Bashing, Gothic oder SM zu tun, sondern ist natürlich in allerhöchstem Maße beunruhigend.
Zweifellos war/ist die geifernde Berichterstattung insgesamt eine Widerlichkeit. Das bedeutet aber doch nicht automatisch, dass da eigentlich alles ganz normal war und die Reaktion der Eltern überzogen, nur weil sie mit irgendwelchen Szene-Geschichten nichts anfangen konnten.
Selbst wenn(!) eine eingeschränkte Akzeptanz oder Toleranz Teil des Konfliktes gewesen wäre (was ich so nicht herausgelesen habe), änderte dies aber auch nichts.
Vergleich:
Eltern wollen eigentlich nicht, dass ihre Tochter mit einem Ausländer zusammen ist, weil sie alle Ausländer für kriminell halten. Der neue Freund ist Marokkaner, was erstmal kritisch beäugt, aber hingenommen wird. Nach und nach zeigt sich, dass er keinen Job hat, ein dickes Auto fährt und dem Mädchen teure Geschenke macht. Die Tochter hängt nur noch mit ihm und seinen Freunden rum, kapselt sich von ihrem gesamten Umfeld ab. Die Eltern machen sich Sorgen und versuchen zu intervenieren. Ergebnislos.
Zwei Jahre später steht die Tochter auf dem Straßenstrich und ist so traumatisiert, dass sie nicht befragt werden kann (um im Bild zu bleiben). Der Mann ist nicht mehr aufzufinden. Bestimmte Medien machen eine "kriminelle Ausländer"-Krawallgeschichte draus. Die Eltern erzählen öffentlich, wie ihnen ihr Kind entglitten ist.
Wäre die Sorge der Eltern in der Rückschau unberechtigt, weil sie innerlich ja sowieso schon Vorbehalte hatten?
Abgesehen davon, dass ich sowieso den Eindruck habe, dass in dieser Gruppe diverse Ansätze verwurstet wurden und eine ganz eigene "Szene" gebildet, finde ich es seltsam, wenn die Argumentation darauf abzielt, alles, was von Zeugen erzählt wird, auf deren persönliche Befindlichkeiten runterzubrechen und zu einem "Der Torsten wird so schlecht dargestellt, weil er nicht der Norm entsprochen hat" oder einem "Die konnten doch gar nicht wissen, dass da was nicht stimmt" zu machen. Natürlich war da ganz offensichtlich ziemlich viel im Argen.
Nicht dem Durchschnitt zu entsprechen, sagt schlichtweg nichts über den Charakter eines Menschen aus, weder im Positiven noch im Negativen. Dem durch die Bank als manipulativen Anführer der Gruppe dargestellten Mann jetzt positive Zuschreibungen zu machen, weil er irgendwie "anders" war, beruht einfach auch nur auf durch nichts gestützten Vorurteilen.