@monstra herzlichen Dank für den Link auf den Bericht und den Hinweis darauf, dass dort auch die Fälle Hans Jürgen Rose und Mario Bichtemann behandelt werden!
In der Tat waren gerade diese Abschnitte höchst interessant, denn leider ist es ja so, dass diese beiden Vorfälle nur in besser recherchierten Artikeln überhaupt Erwähnung finden und dort dann auch nur rudimentär erläutert werden. Dieser Bericht bringt viel Licht ins Dunkel dieser beiden Fälle!
Ich will mal versuchen, die wesentlichen Informationen in eigenen Worten wiederzugeben:
Hans Jürgen RoseHans Jürgen Rose war ein Diplom-Ingenieur aus Roßlau. Wie so viele DDR-Bürger hatte auch er nach der Wende seine Arbeitsstelle verloren, war zum Zeitpunkt seines Todes arbeitslos. Zudem hatte er sich kurze Zeit zuvor von seiner Lebenspartnerin getrennt.
Am 7.12.1997 kurz nach Mitternacht um 1:05 Uhr verursachte er mit seinem PKW in der Innenstadt von Dessau nahe einem Cafe einen kleinen Unfall beim Parken. Zeugen riefen die Polizei, die beiden Beamten machten einen Atemalkoholtest bei Herrn Rose, welcher 1.98 Promille ergab. Daher wurde Herr Rose zu einem Blutalkoholtest auf das Revier Wolfgangstrasse 25 mitgenommen. Zwei Blutentnahmen führten zu Werten von 2,33 bzw. 2,29 Promille. Folgerichtig wurde Herrn Rose der Führerschein abgenommen. Danach wurde um etwa 3 Uhr entlassen.
Nur acht Minuten nach seiner Entlassung wurde er von zwei anderen Polizisten erneut aufgegriffen, den Entzug der Fahrerlaubnis hatte er entweder nicht verstanden oder ignoriert, jedenfalls war erneut in sein Auto gestiegen und auf der B184, der Straße, die Dessau und Roßlau verbindet, noch im Stadtgebiet Roßlau durch seine alkoholbedingt unsichere Fahrweise erneut aufgefallen.
Er wurde erneut aufs Revier gebracht und zur Anzeige wegen Fahren unter Alkoholeinfluß nun noch eine Anzeige wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis aufgenommen. Auf einen erneuten Blutalkoholtest wurde verzichtet, da der vorangehende ja nur wenige Minuten zurücklag. Ihm wurden die Autoschlüssel abgenommen, um eine weitere Trunkenheitsfahrt zu verhindern, dann wurde er um 3:35 Uhr entlassen. Für die nasskalte Nacht war Hans Jürgen Rose zwar unzureichend, zu dünn bekleidet, aber es wurde ihm der Weg zum Bahnhof gezeigt, der nur 450m, also wenige Gehminuten entfernt liegt und es wurde ihm nahegelegt, von dort ein Taxi nach Roßlau zu nehmen (er hatte genug Geld dafür dabei) bzw. auf den Morgenzug in der geheizten Bahnhofshalle zu warten.
Ein von der Polizei unabhängiger Zeuge, ein Wachmann, sah, wie Hans Jürgen Rose das Polizeigebäude verliess und in die ihm gedeutete Richtung zum Bahnhof losging.
Um 5:06 rief ein Bewohner des Mehrfamilienhauses (8-stöckiger Plattenbau) Wolfgangstrasse 15, 200m von dem Polizeigebäude und auf dem Weg zwischen Polizei und Bahnhof gelegen, die Polizei, weil sich eine offenbar hilflose Person vor dem Eingang befand. Es waren die beiden Beamten, die Hans Jürgen Rose das erste Mal festgenommen hatten, die zuerst eintrafen. Hans Jürgen Rose war zwar erheblich verletzt, der Zeuge bemerkte frische Wunden im Gesicht und es lief Blut aus seinem Mund, er lebte zu diesem Zeitpunkt aber noch und war ansprechbar. Auf die Frage des Zeugen, der ihn zuerst fand, ob er einen Verkehrsunfall gehabt habe oder überfallen worden sei, verneinte er jeweils.
Hans Jürgen Rose wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo er dann aber um 9:25 Uhr verstarb.
Den Abschnitt zu den Verletzungen des Hans Jürgen Rose zitiere ich mal direkt vollständig:
Bei der am 10. und am 11.12.1997 im Institut für Rechtsmedizin in Halle
durchgeführten Obduktion der Leiche des Herrn Rose wurden zahlreiche Zeichen
stumpfer Gewalteinwirkungen, insbesondere auf dem Rücken und an den unteren
Gliedmaßen, festgestellt. So fanden sich u.a. zahlreiche quergestellte streifenförmig
streng parallel angeordnete Hautunterblutungen des Rückens, ferner zahlreiche
Unterblutungen am Rücken sowie an den Ober- und Unterschenkeln, die teils tief bis
in die Muskulatur reichten. Es fanden sich zudem eine große taschenförmige
Abhebung der Muskulatur, die sich vom 1. Lendenwirbelkörper bis zur
Steißbeinspitze erstreckte, darüber hinaus Brüche und Abbrüche der Wirbelsäule mit
Eröffnung des Wirbelkanals, ferner Brüche des Brustbeins und einiger Rippen vorn
und hinten. Lunge und Herz wiesen Berstungen auf, Zwerchfellkuppel und die Nieren
zeigten Zerreißungen und ebenfalls Berstungen.
Als Todesursache stellte die Rechtsmedizinerin in ihrem Sektionsprotokoll vom
19.12.1997 eine Lungenfettembolie infolge zahlreicher Quetschungen von
Unterhautfettgewebe und Muskulatur sowie mehrfacher Knochenbrüche fest.
In dem ergänzenden Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin Halle vom
18.06.1998 heißt es u.a., die Mehrzahl der Verletzungen spreche dafür, dass das
Opfer einer körperlichen Misshandlung ausgesetzt gewesen sei. Schläge und Tritte
kämen in Betracht. Eine Sonderstellung nähmen die Verletzungen im Rücken- und
im Gesäßbereich ein. Die dort festzustellende schwere Gewalteinwirkung entspreche
derjenigen, die bei einem Sturz aus großer Höhe zu erwarten wäre.
Die Verletzungen, mit denen Hans Jürgen Rose aufgefunden wurde, lassen es nicht einmal möglich erscheinen, dass er zB. nach einem Verkehrsunfall den Weg von der Straße über den dazwischenliegenden Grünstreifen bis zum Hauseingang, an dem er aufgefunden wurde, also über 8m Entfernung, aus eigener Kraft hätte sich bewegen können, noch viel weniger, dass er mit diesen Verletzungen aus dem Polizeirevier heraus bis zum Auffindeort 200m entfernt hätte zurücklegen können. Zudem gibt es ja einen unabhängigen Zeugen, der Hans Jürgen Rose beim zweiten Verlassen des Revier gehend sah, das hätte er mit diesen Verletzungen nicht können.
Zudem wurde an den Schuhen des Hans Jürgen Rose trockener Staub gefunden sowie Schleifspuren. Die Nacht vom 6. auf den 7.12 war nasskalt, es lag Schneematch. Wäre Hans Jürgen Rose selbst an den Auffindeort auf der Straße gegangen, hätte es keinen trockenen Staub an seinen Schuhen geben dürfen.
Daher gibt es nur zwei mögliche Varianten, wie er an den Auffindeort gekommen sein kann: a) aus dem Haus Wolfgangstr 15 oder b) mit einem Auto vom Tatort aus dorthin gebracht und dort abgelegt
Hinsichtlich der Variante b könnte die Aussage eines Zeugen relevant sein, der um 4:25 Uhr vor dem Haus ein Auto halten und Türen klappen gehört hatte, aber nicht rausgesehen hatte und daher nichts Näheres dazu sagen konnte.
Hinsichtlich der Variante a ist relevant, dass im Haus gerade Bauarbeiten stattfanden und daher Baustaub im Treppenhaus lag. Eine Untersuchung der Baustäube fand unglücklicherweise erst vier Tage später statt. Es wurde keine Übereinstimmung mit dem Staub an den Schuhen festgestellt, aber es wäre möglich, dass zwischendurch schon mal im Treppenhaus gefeudelt wurde und die vier Tage später genommenen Staubproben schon von anderen Baumassnahmen stammten und daher nicht übereinstimmten mit dem Staub am 7.12...
Zudem relevant für die Variante a ist, dass ein Bewohner am Morgen des 7.12 ein Treppenhausfenster im 6. Stock des Gebäudes offenstehend vorfand. Er schloss das Fenster, ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen. Erst als er einige Tage später von dem Fund des Hans Jürgen Rose vor dem Haus hörte, meldete er dies der Polizei, die das Fenster bzw. Fenstergriff und Fensterbank untersuchten, es wurde keine Spuren von Hans Jürgen Rose dort gefunden, was jedoch nicht viel aussagt, weil die Spuren einige Tage später natürlich auch bereits überdeckt, weggewischt oder sonstwie verschwunden gewesen können.
Auch noch relevant im Kontext der Variante a ist, dass das Türschloss der Eingangstür des Hauses Wolfgangstr 15 in einer Stellung ein Aufdrücken der Tür von aussen erlaubte und in dieser Stellung vorgefunden wurde. Mit einfachen Worten, jeder konnte ohne Schlüssel und ohne von einem Bewohner eingelassen zu werden, in das Treppenhaus des Hauses gelangen.
Es wurden mehrere Theorien verfolgt:
- Verkehrsunfall: das Verletzungsbild legte einen Verkehrsunfall nahe, der behandelnde Arzt, der Hans Jürgen Rose noch lebend untersucht hatte, hat dies zunächst auch vermutet. Dagegen sprechen jedoch gleich eine ganze Reihe von Fakten: Herr Rose hat selbst sowohl gegenüber dem Zeugen, der ihn fand als auch gegenüber den Polizisten, die als erstes bei ihm waren, auf Nachfrage, ob er einen Verkehrsunfall gehabt habe, dies verneint. Die Verletzungen des Herrn Rose machten ihn unfähig, sich fortzubewegen, durch die Verletzungen war er querschnittsgelähmt, daher kann er unmöglich aus eigener Kraft sich die mindestens 8m von der Strasse bis zum Auffindeort bewegt haben. Der Staub unter den Schuhen von Herrn Rose macht es sehr unwahrscheinlich, dass er sich zuvor auf der Straße bewegt hat, dort hätte der Schneematsch den Staub weggewaschen. Die Polizei hat unmittelbar nach Abtransport des Hans Jürgen Rose ins Krankenhaus die Straße nach möglichen Unfallspuren, zB. nach Glas, abgebrochenen Kunststoffteilen o.ä. abgesucht und nichts gefunden. Erst in erheblicher Entfernung (20m) an einer Baustellenabsperrung wurden solche Spuren gefunden, vermutlich stehen die aber in keinem Zusammenhang.
- Raubüberfall: dies wurde ausgeschlossen, weil bei Hans Jürgen Rose seine Brieftasche mit 900 DM Inhalt gefunden wurde
- Suizid: das offene Fenster im 6. Stock könnte theoretisch darauf hindeuten, dass er sich dort herausgestürzt haben könnte. Zunächst deutete noch stärker auf eine solche Theorie hin, dass seine Mutter einen Brief erhielt, den Hans Jürgen Rose wenige Tage vor seinem Tod geschrieben hatte und als Abschiedsbrief gedeutet werden konnte. Ein Bekannter konnte jedoch aufklären, dass Herr Rose nicht etwa Suizidgedanken damit ausdrücken wollte, sondern im Gegenteil nach Arbeitsplatzverlust und gescheiterter Beziehung einen neuen Anfang machen wollte. Am 9.12 hätte er ein Vorstellungsgespräch in Hamburg gehabt. Er wollte sich mit dem Brief also nicht von seinem Leben, sondern von seinem Heimatort verabschieden.
- Verprügelt im Treppenhaus: denkbar wäre, dass Hans Jürgen Rose auf dem ihm gewiesenen Weg vom Polizeirevier zum Bahnhof das beleuchtete und beheizte Treppenhaus sah und angesichts seiner dünnen Bekleidung sich dort aufwärmen und statt im Bahnhof lieber dort auf den Frühzug warten wollte. Da die Tür auf Druck zu öffnen war, könnte er reingegangen und zB. an einen Heizkörper zum Schlafen gelegt haben. Ein Hausbewohner oder ein Gast eines Hausbewohners könnte ihn dann irrig für einen Obdachlosen oder gar einen Einbrecher gehalten haben und ihn aus dem Haus geprügelt und die Treppe vor dem Haus runtergeschubst haben. Das würde jedoch nicht alle Verletzungen erklären.
- Fenstersturz als Unfall oder erzwungen: denkbar wäre ebenso, dass Herr Rose ins Treppenhaus gelangt ist und bis zum 6. Stock gestiegen (bzw. mit dem Fahrstuhl gefahren) ist und dort entweder alkoholbedingt versehentlich aus dem Fenster gestürzt ist bzw. von einem Dritten durch Gewalt, Prügel gezwungen oder wehrunfähig gemacht aus dem Fenster geworfen wurde
- Überfall auf offener Straße: auch könnte Hans Jürgen Rose natürlich auf offener Strasse auf dem Weg vom Polizeirevier zum Bahnhof überfallen und verprügelt worden sein. Dagegen spricht erneut der Staub unter seinen Schuhen, er muss sich zuletzt nicht auf offener Straße bewegt haben. Und dagegen spricht, dass dies nicht alle Verletzungen erklärt
- Gewalt durch Polizeibeamte: beim zweiten Verlassen des Reviers um 3:35 Uhr war Hans Jürgen Rose zumindest weitgehend noch unverletzt, die todesursächlichen Verletzungen hatte er zumindest noch nicht, sonst hätte er das Revier nicht, wie vom polizeiunabhängigen Zeugen angegeben, aufrecht gehend verlassen können. Natürlich kann damit nicht ausgeschlossen werden, dass er noch ein weiteres, drittes Mal auf das Revier gebracht wurde oder dass er an einem anderen Ort als dem Revier von Polizisten verprügelt wurde. Auch wäre es theoretisch denkbar, dass ein Teil des Verletzungen, nämlich die streifenförmigen Hautunterblutungen am Rücken, durch einen Schlagstock o.ä. hervorgerufen wurden. Es wäre also prinzipiell denkbar, dass er auf dem Revier verprügelt wurde, aber die todesursächlichen Verletzungen erst später in einem anderen Kontext sich zugezogen hat. Irritierend in diesem Kontext sind insbesondere zwei Dinge: a) die Polizisten, die Hans Jürgen Rose das erste Mal aufgegriffen hatten nach dem kleinen Verkehrsunfall, waren die gleichen, die als erste bei ihm waren, als der Auffindezeuge die Polizei rief. Trotzdem erkannten sie ihn morgens nicht, bzw. behaupteten, ihn nicht zu kennen. b) im Pausenraum des Reviers hörte ein Polizist um etwa 4:30 Uhr einen anderen in einem Gespräch mit einem Dritten sagen "Dem habe ich noch eine richtige verpasst." oder "Der wollte mir doch da ein paar auf die Fresse hauen, da hab' ich ihm aber eine eingezogen". Obwohl die Zahl der Polizisten in der Dienststelle klein ist, konnte nie geklärt werden, wer da mit wem gesprochen hat und worauf sich da bezog. Ob da ein Bezug zu Hans Jürgen Rose besteht, ist unklar (ich halte einen anderen Bezug, siehe unten, für sehr viel wahrscheinlicher)
Meine Einschätzung:
- ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Hans Jürgen Rose auf dem Revier tatsächlich Prügel bezogen hat. Angesichts dessen, dass er mit mehr als 2 Promille Alkohol unterwegs war, schon einen Unfall verursacht hatte, die Fahrerlaubnis ihm entzogen war und er trotzdem sich unmittelbar nach Entlassung direkt wieder hinters Steuer gesetzt hatte, hätte ich da nicht einmal Mitleid mit ihm, wenn ein Polizist geglaubt hätte, ihm nun die Vernunft mit dem Schlagstock einprügeln zu müssen... Auch wenn das natürlich unzulässig wäre. Es wäre aber auch irrelevant, weil das nicht die todesursächlichen Verletzungen hervorgerufen hätte
- ich halte einen Suizid nicht so absolut für ausgeschlossen. Hans Jürgen Rose könnte zu irgendeinem Zeitpunkt doch soviel Klarheit bekommen haben, dass der Verlust seines Führerscheins seine Pläne für einen Neuanfang in Hamburg zumindest gefährdete, wenn nicht gar unmöglich machten (die Stelle, für die er sich am 9.12 vorstellen sollte, setzte eine Fahrerlaubnis voraus). Dies dürfte ihm bewusst gewesen sein, denn die Zeugen des Einparkunfalls hatte er versucht, vom Rufen der Polizei abzuhalten mit den Worten "Nicht die Polizei. Das wäre mein Tod!" Es ist also keineswegs auszuschliessen, dass ihm nach Verlassen des Reviers auf dem Weg zum Bahnhof klar wurde, dass er seine Neuanfangpläne soeben zerstört hatte und ihm alkoholbenebelten Gehirn kann das einen plötzlichen Entschluss zum Suizid bewirkt haben. Noch eher, wenn er vielleicht gerade vorher wirklich (siehe oben) von einem Polizisten beschimpft und geprügelt wurde.
- im Bericht eher am Rande und als nicht zusammenhängend benannt, aber meiner Ansicht nach durchaus relevant: in der gleichen Nacht gab es weitere Vorfälle in unmittelbarer Umgebung. In den späten Abendstunden des 6.12 kam es in der Bahnhofshalle zu einer Schlägerei mit etwa einem Dutzend Teilnehmern. Im Zuge dessen wurde eine Person auch mit einem Messer verletzt. Die Polizei konnte fünf Teilnehmer der Auseinandersetzung festnehmen, es handelte sich um fünf Kurden. Diese wurden erkennungsdienstlich behandelt, Anzeigen wurden geschrieben, in den frühen Morgenstunden des 7.12 wurden sie einzeln wieder entlassen. Die Hintergründe der Schlägerei konnten nicht aufgeklärt werden, die übrigen Teilnehmer, insbesondere auch der Täter, der das Messer geführt hatte, konnten nicht identifiziert werden! Zudem wurde ebenfalls in den frühen Morgenstunden des 7.12 in der Ferdinand-von-Schill-Str vor dem Puppentheater, also nur rund 300m Fussweg vom Auffindeort des Hans Jürgen Rose, ebenfalls in hilfloser Lage und alkoholisiert der Thomas G gefunden. Auch er wies Verletzungen im Gesicht auf, konnte sich an nichts erinnern. Möglich natürlich, dass er sich die Verletzungen selbst zugezogen hat, als er im alkoholisierten Zustand stürzte, möglich aber auch, dass er auch Opfer eines Überfalls wurde, verprügelt wurde, wenn auch deutlich weniger als Hans Jürgen Rose...
Meine favorisierte Theorie:
Ich halte es für durchaus möglich, dass in dieser Nacht einer, oder wahrscheinlich eher eine Gruppe von Tätern unterwegs war, die auf Krawall aus war.
In dem Kontext möchte ich erinnern an den Mord an Alberto Adriano im Stadtpark Dessau im Juni 2000. Dort waren drei Neonazis aus Wolfen und Finsterwalde nach Dessau gefahren, mit dem einfachen erklärten Ziel, irgendjemanden (einen "Dunkelhäutigen, Juden oder Behinderten") zum Verprügeln zu finden... Ohne Grund, ohne Anlass, nur einfach aus Freude an Gewalt!
Ich halte es keineswegs für ausgeschlossen, dass auch hier eine Gruppe von Personen sich zusammenfand, mit dem einfachen Ziel des Krawalls, mit dem Wunsch nach Gewalt... In der Bahnhofshalle haben die eine Schlägerei mit den Kurden angezettelt, einen "Gegner" auch mit einem Messer verletzt, doch "leider" kam die Polizei dazwischen. Also haben sie nach anderen Opfern gesucht. Zunächst haben sie einen alkoholisierten in der Ferdinand von Schill Strasse verprügelt, aber das war langweilig, weil der gleich stürzte und hilflos liegenblieb. Also weiter. In der Wolfgangstrasse fanden sie den Hans Jürgen Rose, der da im Eingangsbereich des Hauses am Heizkörper lag und schlief. Den hielten sie für einen Obdachlosen und daher "Minderwertigen" und den haben sie erstmal wachgeprügelt, vielleicht hatten sie auch Baseballschläger dabei und die Striemen auf dem Rücken von Herrn Rose stammen daher. Dann kam einer auf die Idee, mit dem Herrn Rose im Aufzug hochzufahren. Und dort haben sie ihn dann aus dem Fenster geworfen....
Für mich klingt dies zumindest wahrscheinlicher als eine Verschwörung in der Polizei...
Mario Bichtemann
Mario Bichtemann war ein Bürger in Dessau. Möglicherweise war er wohnsitzlos, auch wenn er wohl eine Meldeadresse hatte. Am 29.10.2002 wurde er vermutlich am Vormittag von unbekannten Personen verprügelt und dabei schwer verletzt. Jedenfalls machten zwei Zeuginnen um Mittag in einem Spirituosengeschäft in der Innenstadt von Dessau die Beobachtung, dass Herr Bichtemann nicht nur Gleichgewichtsstörungen hatte, die möglicherweise auf seine Alkoholisierung zurückzuführen waren, sondern auch im Gesicht verletzt war. Am Nachmittag machte Herr Bichtemann im Stadtpark die Bekanntschaft mit zwei Jugendlichen Njazi Sa. und Peter N., denen er erzählte, er sei am Bahnhof von unbekannten Personen verprügelt worden. Gleiches sagte er auch dem Wirt des "Teehäuschens", einer Gaststätte im Stadtpark, die er zusammen mit seinen zwei neuen Bekannten um etwa 20 Uhr aufsuchte. Dem Wirt fielen die Verletzungen auf und er nahm ihn noch beiseite und fragte ihn, ob seine beiden Begleiter ihn verprügelt hätten, was er aber verneinte.
Gegen 21 Uhr dann nahm ein Autofahrer und seine Beifahrerin in der Antoinettenstr., der Straße, die Stadtpark und Bahnhof verbindet, auf Höhe des Geschäfts "Sarah Young", also nahe dem Stadtpark, eine am Boden liegende Person und zwei dabeistehende Personen wahr. Davon beunruhigt fuhren sie wenige Minuten später erneut an dieser Stelle vorbei und sahen nun die eine Person am Boden liegend alleine. Sie hielten an und sprachen die Person an, da diese nicht reagierte, riefen sie um 21:19 die Polizei.
Die eintreffenden Polizisten nahmen die Verletzungen des Mario Bichtemann nicht wahr, da er hilflos war und sie ihn (aus im Bericht nicht näher erläuterten Gründen) nicht nach Hause bringen konnten, nahmen sie ihn jedoch zur Ausnüchterung auf das Revier mit. Um 22 Uhr wurde er von dem Mediziner Andreas Bl. (gleicher Mediziner, der auch in den anderen beiden Fällen tätig war), eingangsuntersucht, der ihn für gewahrsamstauglich befand und die Verletzungen an Gesicht, Händen und Thorax als "alt" einstufte. immerhin empfahl er eine regelmäßige Kontrolle, da er ein Erbrechen des Alkoholisierten mit der Gefahr eines anschliessenden Erstickens am Erbrochenen für möglich hielt.
Mario Bichtemann wurde in Zelle Nr. 5 (der gleichen, in der später Oury Jalloh starb) untergebracht und schlief dort die Nacht hindurch. Um 23:00, 00:15, 01:45, 3:10, 4:15 fanden Kontrollen statt. Um 5:15 Uhr entschied der Dienstgruppenleiter, dass Mario Bichtemann zu entlassen sei, der Beamte, der ihn wecken sollte, kam jedoch unverrichteterdinge zurück, er war nicht zu wecken, also wurde er schlafen gelassen. Um 10:00 und um 12:20 wurden weitere Kontrollen durchgeführt, auch dort schlief er und war nicht zu wecken. Der Beamte, der die Kontrolle um 12:20 durchführte, bemerkte eine "Blutspur am linken Ohr zum Mund" und war auch beunruhigt, weil der Herr Bichtemann nicht zu wecken sei. Eine telefonische Nachfrage beim Arzt ergab, dass keine Beruhigungsmittel o.ä. gegeben worden waren und sollte er weiter nicht ansprechbar sein, sollte man den Rettungswagen verständigen. Um 14:00 wurde dann der RTW verständigt, weil Mario Bichtemann weiterhin nicht ansprechbar war.
Der Notarzt stellte dann den Tod fest.
Zu den Verletzungen zitiere ich wieder den Text aus dem Bericht:
Die Sektionsdiagnose des Instituts für Rechtsmedizin Halle weist eine epidurale
Blutung und Hirnquetschung bei Schädeldachbruch als Todesursache aus. Stumpfe
Gewalteinwirkung gegen den Kopf habe zu einem Schädeldachbruch sowie zu einer
Blutung oberhalb der harten Hirnhaut mit ausgedehnter Hirnquetschung geführt,
wobei die Gewalteinwirkung oberhalb der sogenannten Hutkrempenlinie erfolgt sei.
Deshalb sei die Gewalteinwirkung nicht durch einen Sturz zu erklären. Anderenfalls
hätte sich die typische Sturzverletzung unterhalb der Hutkrempenlinie befinden
müssen. Das Verletzungsbild spreche vielmehr für eine Schlageinwirkung. Auch das
Gesamtbild der größtenteils frischen Verletzungen sei durch ein einzelnes
Sturzgeschehen nicht zu erklären.
Die medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden ist sodann auf der
Grundlage histologischer Untersuchungen von Proben der behaarten Kopfhaut der
Leiche des Herrn Bichtemann zu dem Ergebnis gelangt, dass frischere Einblutungen
in das Unterhautfettgewebe nach stumpfer Gewalteinwirkung auf das Schädeldach,
offenbar ohne sichtbare Durchtrennung der Kopfschwarte, vorgelegen hätten. Das
Verletzungsalter sei zwischen 1,5 bis 2 Stunden bis zu 3,5 Tagen einzuordnen. Die
erhobenen Befunde wiesen darauf hin, dass die Kopfschwartenverletzung eher in den
Abendstunden des 29.10.2002, um 21.00 Uhr, als wenige Stunden vor Todeseintritt
entstanden sei. Im Rahmen der Untersuchungen wurde auch festgestellt, dass der
Verstorbene regelmäßig ein Blutgerinnungshemmendes Mittel (Falithrom) einnahm.
In seinem weiteren Gutachten vom 28.07.2003 gelangt das Institut für Rechtsmedizin
Halle unter Zugrundelegung der Aussagen von Polizeibeamten sowie des
vorgenannten medizinischen Gutachtens als Anknüpfungstatsachen zu dem
Ergebnis, dass der Hauptteil der epiduralen Blutung erst wenige Stunden vor dem
Kreislaufstillstand (Todeseintritt) erfolgt sei. Die Blutungen hätten über einen
allmählichen Anstieg des Hirndrucks zum Todeseintritt geführt. Gerade epidurale
Blutungen zeichneten sich durch ein symptomfreies Intervall von zumeist 3 bis 24
Stunden aus bzw. könnten in diesem Zeitraum andere Symptome, z.B. eine
Alkoholisierung, im Vordergrund stehen. Danach komme es infolge der
Hirndrucksteigerung zu Symptomen wie Unruhe, Übelkeit, Erbrechen und
Schläfrigkeit, letztlich zu tiefer Bewusstlosigkeit mit schnarchender Atmung (die auch
bei Mario Bichtemann im Laufe der Nachtfestgestellt worden ist, jedoch offensichtlich
mit friedlichem Schlafen verwechselt wurde).
Die beiden Personen, die bei dem hilflos auf dem Gehweg liegenden Mario Bichtemann von den Zeugen gesehen wurden, wurden identifiziert als die beiden Jugendlichen, mit denen er am Nachmittag zuvor Bekanntschaft gemacht hatte. Es stellte sich heraus, dass die beiden dem Herrn Bichtemann seine Brieftasche mit Bargeld und Geldkarte entwendet hatten, und mit Hilfe eines Dritten, Abdel Rahmann Al. die Geldkarte eingesetzt hatten. Sie gaben an, dass Herr Bichtemann alkoholbedingt hingefallen sei und sie nur die Chance genutzt hatten, dem Wehrlosen seine Brieftasche zu entwenden. Da die todesursächlichen Verletzungen sicher nicht von den beiden stammten (denn die hatte Herr Bichtemann schon mittags, bevor er die beiden überhaupt kennenlernte, und dem Wirt hatte er ja auch gesagt, dass nicht die beiden ihn verprügelt hätten) und auch die Zeugen nicht gesehen hatten, dass die beiden etwa Herrn Bichtemann geprügelt hätten, wurden sie nur wegen Diebstahl und unterlassener Hilfeleistung angeklagt und nach Jugendstrafrecht dafür verurteilt.
Es kann als ziemlich gesichert gelten, dass die todesursächlichen Verletzungen des Herrn Bichtemann bereits lange vor Ingewahrsamnahme ihm zugefügt wurden, es ist nicht glaubhaft, dass so viele unterschiedliche, voneinander unabhängige Zeugen hier Teil einer Verschwörung sind.
Gleichzeitig jedoch vermag ich dem Bericht überhaupt nicht zu folgen, wenn dort die falsche Einschätzung des Mediziners Andreas Bl. und die eher lässigen Kontrollen durch die Beamten als für den Tod ohne Belang bezeichnet werden.
Wenn sogar medizinischen Laien wie Spirituosenverkäuferinnen oder einem Gastwirt der Zustand einer Person auffällig und besorgniserregend erscheint, dann sollte man doch meinen, dass ein Arzt, der mit der Untersuchung der Person beauftragt wird, umso genauer hinschaut und die Sache nicht einfach locker flockig mit "ist besoffen", "Verletzungen sind sicher schon alt und unwichtig" abtut. Und wenn stündliche Kontrollen erfolgen sollen und dann in acht Stunden zwischen geplantem Entlassungstermin und schlussendlichem Rufen des RTW nur zwei Kontrollen stattfinden und wenn ein Beamter eine Blutspur an Uhr und Mund sieht und es dann noch 1,5 Stunden dauert, bis ein RTW gerufen wird, dann ist das schon mehr als nur fahrlässig.
Mein FazitEinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Fällen und dem Tod von Oury Jalloh sehe ich nicht (mehr). In diesem Sinne hat mich die Information aus dem Bericht überzeugt. Umso weniger halte ich einen "Mord" im Fall Oury Jalloh für wahrscheinlich.
Im Fall Bichtemann bin ich zudem weitestgehend überzeugt, dass die Polizisten nichts mit den Verletzungen zu tun hatten, die zum Tode führten, halte das Verhalten der Beteiligten, insbesondere des Arztes jedoch für ausgesprochen fahrlässig.
Auch im Fall Rose halte ich einen Polizisten als Täter für sehr unwahrscheinlich, kann mir aber sehr viele verschiedene Varianten vorstellen, was dort möglicherweise passiert ist. Ob es richtig war, den Herrn Rose in seinem Zustand (mehr als 2 Promille, für das Wetter unzureichend bekleidet) einfach rauszuschicken mit dem Hinweis, wo er ein Taxi finden könne, darüber kann man geteilter Meinung sein.
Ich persönlich bin ja der Meinung, dass jemand, der im derart besoffenen Zustand auffällig wird (und das war ja schon nach der ersten Trunkenheitsfahrt der Fall), zwingend bis zur Ausnüchterung in Gewahrsam bleiben sollte, aber das ist wohl eine Minderheitsmeinung, die meisten halten das ja im Thread für eine Menschenrechtsverletzung... Im Fall Rose jedenfalls hätte es ihm wahrscheinlich das Leben gerettet...