"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams
24.11.2022 um 10:48
Ja gerne. Wir haben es hier mit dem Strafrecht des Bundesstaates Indiana zu tun, das wie das gesamte amerikanische Strafrecht bei Mord und Totschlag sich vom deutschen Strafrecht sehr unterscheidet, aber doch teilweise ähnlich ist.
Zunächst einmal der Begriff "Mord." In Deutschland gibt es, wie vermutlich bekannt, zwei Straftatbestände für eine vorsätzliche Tötung, das sind Totschlag (§ 212 StGB) und Mord (§ 211 StGB). Beide setzen eine vorsätzliche Handlung voraus, das bedeutet nicht, dass die Tat geplant war, aber dass der Täter den sog. Taterfolg, also den Tod des Opfers "wollte." Das schliesst ein billigendes Inkaufnehmen des Taterfolges ein (dolus eventualis). Unterschieden davon wird eine "fahrlässige" Tötung, wo der Täter den Tod nicht wollte, aber sich des Risikos, dass seine Handlung zum Tod führen könnte hätte bewusst sein müssen.
Der Mord qualifiziert den Totschlag durch mindestens ein zusätzliches Merkmal, zum Beispiel, dass der Täter mit der Tötung des Opfers eine andere Straftat verdecken wollte, z.B. eine vorausgegangene Vergewaltigung.
In Indiana finden wir ähnliche Dinge: Zunächst einmal gibt es den Grundtatbestand der widerrechtlichen Tötung des Opfers durch den Täter, mit Vorsatz. Das wäre in Deutschland Totschlag, wird aber in den USA "Murder" genannt. Davon spricht der Artikel hier als "Grundtatbestand." Wichtigste Voraussetzung für diesen Tatbestand ist neben der eigentlichen Tötungshandlung und dem erfolgten Tod also der Vorsatz, das "knowing and willing." Der Täter muss den Tod gewollt haben und gewusst haben, dass seine Handlung zum Tod führen würde.
In Indiana umfasst der Mordparagraph auch das, was in Deutschland "Totschlag im Affekt" genannt wird, wenn der Täter also die Tötung in einem Gemütszustand verursacht hat, dem eine Art Provokation vorausgeht, in der Regel durch das Opfer. Klassisches Beispiel im Jurastudium ist der Ehemann, der seine Frau im Bett mit ihrem Liebhaber vorfindet und diese oder diesen oder beide dann aus Wut tötet.
Interessant ist in Indiana, dass es der Staat ist, der beweisen muss, dass die Tötung nicht im Affekt geschah - das ist eine sehr wichtige Beweislastumkehr. Meist ist es der Angeklagte, der beweisen muss, im Affekt gehandelt zu haben, hier in Indiana ist das umgekehrt. Und daraus ergibt sich nun der nächste Punkt:
Wichtig sind diese Unterschiede in erster Linie für das Strafmass. Die Tötung bleibt rechtswidrig, aber je nach den Umständen unterscheidet sich das Strafmass.
Dann gibt es Indiana auch das, was dem deutschen "Mord" nahekommt: Wenn die Tötung unter bestimmten Umständen geschah, zum Beispiel im Zusammenhang mit einer weiteren Straftat. Davon werden einige aufgezählt, unter anderem Entführung bzw. Freiheitsberaubung - kidnapping.
Das ist also im Prinzip das, was in Deutschland entweder als "Verdeckungsabsicht" oder als "niedrige Beweggründe" festgestellt werden kann.
Egal welche Tat hier zugrundegelegt wird, kann man bei dieser Anklage in der Regel davon ausgehen, dass die Tat eben nicht im Affekt geschah.
Ausserdem wird das Strafmass in der Regel noch einmal erhöht, normalerweise zum Maximum, entweder lebenslange Freiheitsstrafe oder, falls in dem Staat vorhanden, die Todesstrafe.
Und da sind wir wieder bei der Ähnlichkeit zum deutschen System: Der Mord wird höher bestraft als der Totschlag.
Hier in diesem Fall kann man davon ausgehen, dass die zugrundeliegende weitere Straftat mindestens das "kidnapping" ist, wenn der Staat beweisen kann, dass der Täter die beiden Mädels mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt genötigt hat mit ihm zu gehen. Ausserdem kann auch eine Vergewaltigung oder so etwas als zugrundeliegende Straftat gelten. Hier wird jedenfalls dem Beschuldigten eine solche Straftat vorgeworfen.
Zur zweiten Frage:
Es gibt in Indiana genau wie auch in Deutschland die Straftatbestände der Mittäterschaft und der Beihilfe. Der Unterschied zwischen beiden ist selbst für Juristen manchmal schwierig zu begreifen, ist aber wieder sehr wichtig für das Strafmass.
In dem theoretischen Szenario, dass es zwei Täter waren, aber einer die Mädels gezwungen hat, mitzugehen, und der andere sie getötet hat, liegt vermutlich eine Mittäterschaft vor: der eine Täter ist so eng mit der Tat, also dem Mord, verbunden, dass er genau wie der Mörder bestraft wird, selbst wenn er selbst nicht geschossen oder zugestochen oder sonstwas hat, was den Tod verursachte.
Der Helfer dagegen hat einen minderwichtigen Tatbeitrag geleistet, der es erlaubt, ihn geringer zu bestrafen. In so einem Fall kommt es dann also sehr auf die Details an, vor allem auf direkte Spuren, und wieder auf den Vorsatz.
Beispiel: Theodor und Toni überfallen eine Bank. Beide wollen den Taterfolg, also das Geld rauben. Ohne dass Theodor es weiss, hat Toni aber eine geladene Pistole dabei, und erschiesst einen Bankangestellten. Theodor wollte auf keinen Fall, dass ein Mensch zu Schaden kommt. Hier kann Theodor versuchen, sich aus dem Mord herauszuargumentieren.
In den USA gibt es aber auch noch die sog. "felony murder rule." Nach der kann bei bestimmten Straftatbeständen der Mittäter auch dann wie der Täter bestraft werden, wenn er selbst den Taterfolg so nicht wollte, also z.B. den Tod des Opfers, aber wegen der Umstände der Tat damit hätte rechnen müssen, dass es dazu kommen könnte. Beispiel wieder wie oben: wenn Theodor wusste, dass Toni eine geladene Pistole mitführt, musste er damit rechnen, dass dieser damit jemanden in der Bank erschiesst. Also gleiche Strafe, obwohl nur Toni geschossen hat.
Dies dürfte bei dem theoretischen Beispiel hier auch greifen: wenn sich Spuren ergeben würden, dass nicht nur RA, sondern noch ein zweiter Täter die Tat begangen haben, dann ist nach den Umständen zu erwarten, dass RA auch dann wegen Mordes verurteilt würde, wenn an den Mädels nur Spuren des zweiten Täters zu finden sind, solange seine Tatbeteiligung generell nachweisbar ist.
Ein wenig lang, aber ich hoffe verständlich erklärt.
Auf weitere spezifische Dinge, die es im deutschen Strafrecht gibt, wie z.B. Körperverletzung mit Todesfolge und ähnliches gehe ich jetzt mal nicht ein, auch das gibt es in den USA, aber im Strafmass macht es keinen so grossen Unterschied.