"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams
01.11.2022 um 05:45Ich fasse kurz zusammen, was auf der Pressekonferenz gesagt wurde, die relativ typisch für amerikanische Verhältnisse war:
Zunächst danken die beteiligten Polizeiführer und der Staatsanwalt den Ermittlern für tausende Arbeitsstunden und ihren Einsatz. Dabei wird deutlich, wie sehr der Fall diese Ermittler bewegt hat.
Dann das Entscheidende: ein Verdächtiger wurde festgenommen und vor den Ermittlungsrichter gebracht, der hinreichenden Tatverdacht (probable cause) feststellte und daraufhin einen Untersuchungshaftbeschluss erliess. Das bedeutet, es gibt genug Hinweise und Indizien, anzunehmen, dass der Verdächtige die Tat begangen hat. In den USA ist das ein wichtiger Moment, da Untersuchungshaft nicht leichtfertig angeordnet werden kann.
Der Inhalt des Antrags auf Untersuchungshaft, den die Staatsanwaltschaft gestellt hat, wurde allerdings vom Gericht unter Verschluss gehalten (sealed) um die andauernden Ermittlungen nicht zu gefährden. Das ist ungewöhnlich, aber nicht unerhört. Die Arbeit der Ermittler geht weiter. Freilich wurden der Beschuldigte und seine Verteidiger vollständig informiert.
Die Ermittlungen gehen weiter mit dem Fokus, die Hauptverhandlung vorzubereiten und möglichst eine Verurteilung zu erreichen. Das bedeutet, die Ermittler und die Staatsanwaltschaft sind von der Schuld des Beschuldigten durchaus überzeugt und haben den Richter ebenfalls vom Tatverdacht - nicht von der Schuld, das ist noch nicht das Thema - überzeugt. Das wie und warum wird in Zukunft, aber nicht jetzt, öffentlich gemacht werden.
Anklagepunkte sind Mord an den beiden Mädels. Man muss dabei bedenken, dass Mord in den USA nicht so definiert wird, wie in Deutschland - aber, dass in den Augen der Staatsanwaltschaft auf jeden Fall ein vorsätzliches Tötungsdelikt vorliegt. Weitere juristische Klassifikationen sind jetzt noch nicht notwendig, die Anklagepunkte können im weiteren Verlauf des Verfahrens präzisiert und, wenn notwendig, auch noch verändert werden.
Natürlich ist die Öffentlichkeit nicht so zufrieden, so wenig zu erfahren, aber das ist ganz normal. Der Beschuldigte gilt freilich juristisch gesehen weiterhin als unschuldig, bis eines Tages eine Jury ein Urteil fällt.
Wie gesagt, als amerikanischer Strafverteidiger ist mir das Vorgehen nicht unbekannt oder erscheint ungewöhnlich. Wie geht es nun weiter?
Der Beschuldigte hat das Recht, eine "schnelle Hauptverhandlung" (speedy trial) zu verlangen - innerhalb von 70 Tagen seit der Verhaftung. Dieses Recht steht ihm zu, allerdings verzichten die allermeisten Beschuldigten in solchen schweren Vorwürfen auf dieses Recht, da auch die Verteidigung in der Regel viel mehr Zeit braucht, um eine Verteidigung vorzubereiten.
Weiterhin schreibt das Gesetz vor, dass der Fall innerhalb eines Jahres vor Gericht gebracht werden muss. Aber auch hier gibt es streng begrenzte Ausnahmen. Normalerweise allerdings darf die Untersuchungshaft nicht 6 Monate, oder gar ein Jahr überschreiten, ohne dass der Richter sehr gute Gründe dafür findet. Das ist bei komplexen Verfahren, vor allem bei Mord, durchaus möglich, ich hatte auch einmal einen Fall in dem die Untersuchungshaft 2 Jahre betrug, bis die Hauptverhandlung begann - und mit einem Freispruch endete.
Der Ermittlungsrichter hat daher einen Termin zu einem "preliminary hearing" im Januar gesetzt. An diesem Termin muss die Staatsanwaltschaft den Richter überzeugen, dass weiterhin ein dringender Tatverdacht besteht und die Untersuchungshaft gerechtfertigt ist. Weiterhin muss die Staatsanwaltschaft bis dahin der Verteidigung weitgehenden Einblick in die Untersuchung gewähren (discovery). Nicht vergessen werden darf, dass besonders entlastende Ergebnisse der Verteidigung veröffentlicht werden müssen. Bis zum Beginn der Hauptverhandlung können noch weitere solche Anhörungen festgesetzt werden. Theoretisch kann auch an diesem Termin bereits eine Hauptverhandlung festgesetzt werden.
In vielen Fällen ist das auch der Termin, an dem beide Seiten den Richter informieren, dass man sich auf ein Ergebnis verständigt hat, im Volksmund oft "plea deal" genannt: der Beschuldigte gibt bestimmte Anklagepunkte zu, die Staatsanwaltschaft lässt andere fallen, und schlägt ein bestimmtes Strafmass vor. All das wird jetzt in den kommenden Monaten betrachtet werden.
Weiterhin muss die Staatsanwaltschaft sich entscheiden, ob sie die Todesstrafe beantragen will, die in Indiana nur bei Mord mit zusätzlich erschwerenden Tatmerkmalen verhängt werden kann. Nur die Jury kann diese dann verhängen, das heisst, selbst wenn die Staatsanwaltschaft diese fordert, kann die Jury das auch ablehnen und, wenn sie den Beschuldigten schuldig findet, auch eine lebenslange Haft verhängen. Aber die Verteidigung muss frühzeitig informiert werden, ob die Staatsanwaltschaft diese fordern will, da es bestimmte Voraussetzungen für die Verteidigung erfordert. Zum Beispiel bedeutet das in meinem Bundesstaat, dass nur besonders erfahrene und ausgebildete Verteidiger bestellt werden dürfen, die sich mit solchen Verfahren auskennen.
Eine Statistik aus den vergangenen Jahren zeigt, dass von 75 Mordanklagen in Indiana , nur bei 15 die Todesstrafe gefordert wurde, allerdings in 14 Fällen dann auch von der Jury verhängt wurde. Diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft muss also sehr gut durchdacht sein und der Richter muss feststellen, dass die gesetzlich vorgeschriebenen "verschärfenden Tatbestände" (aggravating circumstances) vorliegen. Das Ganze liegt natürlich noch weit in der Zukunft, aber interessant ist, dass seit 2013 keine Jury in Indiana die Todesstrafe mehr verhängt hat. In diesem Fall also ist die Diskussion darüber noch viel zu verfrüht. https://deathpenaltyinfo.org/state-and-federal-info/state-by-state/indiana
Eine andere Frage, die gestellt wird, ist, ob die Hauptverhandlung eines Tages live übertragen werden wird. Diese Entscheidung obliegt dem Richter und wird auch erst sehr viel später getroffen werden.
Die Mühlen der Justiz haben also begonnen zu mahlen, und wie man weiss, tun sie das langsam aber gründlich. Der Fall wird also noch viele Monate im Fokus des Interesses stehen.
Zunächst danken die beteiligten Polizeiführer und der Staatsanwalt den Ermittlern für tausende Arbeitsstunden und ihren Einsatz. Dabei wird deutlich, wie sehr der Fall diese Ermittler bewegt hat.
Dann das Entscheidende: ein Verdächtiger wurde festgenommen und vor den Ermittlungsrichter gebracht, der hinreichenden Tatverdacht (probable cause) feststellte und daraufhin einen Untersuchungshaftbeschluss erliess. Das bedeutet, es gibt genug Hinweise und Indizien, anzunehmen, dass der Verdächtige die Tat begangen hat. In den USA ist das ein wichtiger Moment, da Untersuchungshaft nicht leichtfertig angeordnet werden kann.
Der Inhalt des Antrags auf Untersuchungshaft, den die Staatsanwaltschaft gestellt hat, wurde allerdings vom Gericht unter Verschluss gehalten (sealed) um die andauernden Ermittlungen nicht zu gefährden. Das ist ungewöhnlich, aber nicht unerhört. Die Arbeit der Ermittler geht weiter. Freilich wurden der Beschuldigte und seine Verteidiger vollständig informiert.
Die Ermittlungen gehen weiter mit dem Fokus, die Hauptverhandlung vorzubereiten und möglichst eine Verurteilung zu erreichen. Das bedeutet, die Ermittler und die Staatsanwaltschaft sind von der Schuld des Beschuldigten durchaus überzeugt und haben den Richter ebenfalls vom Tatverdacht - nicht von der Schuld, das ist noch nicht das Thema - überzeugt. Das wie und warum wird in Zukunft, aber nicht jetzt, öffentlich gemacht werden.
Anklagepunkte sind Mord an den beiden Mädels. Man muss dabei bedenken, dass Mord in den USA nicht so definiert wird, wie in Deutschland - aber, dass in den Augen der Staatsanwaltschaft auf jeden Fall ein vorsätzliches Tötungsdelikt vorliegt. Weitere juristische Klassifikationen sind jetzt noch nicht notwendig, die Anklagepunkte können im weiteren Verlauf des Verfahrens präzisiert und, wenn notwendig, auch noch verändert werden.
Natürlich ist die Öffentlichkeit nicht so zufrieden, so wenig zu erfahren, aber das ist ganz normal. Der Beschuldigte gilt freilich juristisch gesehen weiterhin als unschuldig, bis eines Tages eine Jury ein Urteil fällt.
Wie gesagt, als amerikanischer Strafverteidiger ist mir das Vorgehen nicht unbekannt oder erscheint ungewöhnlich. Wie geht es nun weiter?
Der Beschuldigte hat das Recht, eine "schnelle Hauptverhandlung" (speedy trial) zu verlangen - innerhalb von 70 Tagen seit der Verhaftung. Dieses Recht steht ihm zu, allerdings verzichten die allermeisten Beschuldigten in solchen schweren Vorwürfen auf dieses Recht, da auch die Verteidigung in der Regel viel mehr Zeit braucht, um eine Verteidigung vorzubereiten.
Weiterhin schreibt das Gesetz vor, dass der Fall innerhalb eines Jahres vor Gericht gebracht werden muss. Aber auch hier gibt es streng begrenzte Ausnahmen. Normalerweise allerdings darf die Untersuchungshaft nicht 6 Monate, oder gar ein Jahr überschreiten, ohne dass der Richter sehr gute Gründe dafür findet. Das ist bei komplexen Verfahren, vor allem bei Mord, durchaus möglich, ich hatte auch einmal einen Fall in dem die Untersuchungshaft 2 Jahre betrug, bis die Hauptverhandlung begann - und mit einem Freispruch endete.
Der Ermittlungsrichter hat daher einen Termin zu einem "preliminary hearing" im Januar gesetzt. An diesem Termin muss die Staatsanwaltschaft den Richter überzeugen, dass weiterhin ein dringender Tatverdacht besteht und die Untersuchungshaft gerechtfertigt ist. Weiterhin muss die Staatsanwaltschaft bis dahin der Verteidigung weitgehenden Einblick in die Untersuchung gewähren (discovery). Nicht vergessen werden darf, dass besonders entlastende Ergebnisse der Verteidigung veröffentlicht werden müssen. Bis zum Beginn der Hauptverhandlung können noch weitere solche Anhörungen festgesetzt werden. Theoretisch kann auch an diesem Termin bereits eine Hauptverhandlung festgesetzt werden.
In vielen Fällen ist das auch der Termin, an dem beide Seiten den Richter informieren, dass man sich auf ein Ergebnis verständigt hat, im Volksmund oft "plea deal" genannt: der Beschuldigte gibt bestimmte Anklagepunkte zu, die Staatsanwaltschaft lässt andere fallen, und schlägt ein bestimmtes Strafmass vor. All das wird jetzt in den kommenden Monaten betrachtet werden.
Weiterhin muss die Staatsanwaltschaft sich entscheiden, ob sie die Todesstrafe beantragen will, die in Indiana nur bei Mord mit zusätzlich erschwerenden Tatmerkmalen verhängt werden kann. Nur die Jury kann diese dann verhängen, das heisst, selbst wenn die Staatsanwaltschaft diese fordert, kann die Jury das auch ablehnen und, wenn sie den Beschuldigten schuldig findet, auch eine lebenslange Haft verhängen. Aber die Verteidigung muss frühzeitig informiert werden, ob die Staatsanwaltschaft diese fordern will, da es bestimmte Voraussetzungen für die Verteidigung erfordert. Zum Beispiel bedeutet das in meinem Bundesstaat, dass nur besonders erfahrene und ausgebildete Verteidiger bestellt werden dürfen, die sich mit solchen Verfahren auskennen.
Eine Statistik aus den vergangenen Jahren zeigt, dass von 75 Mordanklagen in Indiana , nur bei 15 die Todesstrafe gefordert wurde, allerdings in 14 Fällen dann auch von der Jury verhängt wurde. Diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft muss also sehr gut durchdacht sein und der Richter muss feststellen, dass die gesetzlich vorgeschriebenen "verschärfenden Tatbestände" (aggravating circumstances) vorliegen. Das Ganze liegt natürlich noch weit in der Zukunft, aber interessant ist, dass seit 2013 keine Jury in Indiana die Todesstrafe mehr verhängt hat. In diesem Fall also ist die Diskussion darüber noch viel zu verfrüht. https://deathpenaltyinfo.org/state-and-federal-info/state-by-state/indiana
Eine andere Frage, die gestellt wird, ist, ob die Hauptverhandlung eines Tages live übertragen werden wird. Diese Entscheidung obliegt dem Richter und wird auch erst sehr viel später getroffen werden.
Die Mühlen der Justiz haben also begonnen zu mahlen, und wie man weiss, tun sie das langsam aber gründlich. Der Fall wird also noch viele Monate im Fokus des Interesses stehen.
Delphi Murders: Indiana Police Press Conference on Arrest in Murders of Libby German, Abby Williams
Externer Inhalt
Durch das Abspielen werden Daten an Youtube übermittelt und ggf. Cookies gesetzt.
Durch das Abspielen werden Daten an Youtube übermittelt und ggf. Cookies gesetzt.