@SCMP77 1a) nur am Rande: Populismus ist nicht nur schlecht, Populismus besteht aus zwei Teilen, einem guten und einem schlechten Teil. Der erste Teil ist das Erkennen eines in der Bevölkerung als drängend wahrgenommenen Problems, welchem die politische Mitte sich nicht hinreichend annimmt, der zweite Teil ist das Anbieten einer einfachen, vermeintlichen Lösung entsprechend eines sehr einfachen Weltbildes.
Nur der zweite Teil ist schlecht, der erste Teil hingegen ist gut und notwendig!
Was nun "Wahrung der Inneren Sicherheit", "Umgang mit Tätern", "Umgang mit Opfern" angeht, haben die Rechtspopulisten eben ein drängendes Problem in den Augen der Bevölkerung erkannt, welches von der Parteienmitte bislang nicht als Problem wahrgenommen oder anerkannt wird.
Dass die Rechtspopulisten mit ihren einfach gestrickten Lösungen da natürlich das Problem keineswegs lösen können (und auch aller Wahrscheinlichkeit nach gewillt wären, das Problem vernünftig zu lösen), das habe ich ja auch zuvor geschrieben, das ist eben der zweite, schlechte Teil am Populismus. Ändert aber nichts an der Existenz und der Dringlichkeit des Problems.
Dies aber nur am Rande, falls Diskussionsbedarf dazu besteht, sollten wir das im Politik-Forum fortsetzen.
1b) was nun andere Beispiele für dieses Problem angeht, so fallen mir spontan Folgende ein, die allerdings sich eher mit dem Umgang mit Opfern und Angehörigen von Opfern durch die Politik und nicht durch die Justiz beschäftigen. Beispiele aus der Justiz gibt es natürlich auch, die haben aber zumeist nicht die entsprechende öffentliche Resonanz und daher gibt es weniger öffentlich weit bekannte Beispiele:
- das Loveparade Unglück: damals wurde von offizieller Stelle anfangs behauptet, die Opfer hätten unter Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden. Diese Behauptung stellte sich sehr bald als völlig an den Haaren herbeigezogen heraus. Konsequenzen für diese Lüge musste trotzdem niemand tragen.
- die "Armlänge Abstand", mit der Frau Reker implizit den Opfern der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht vorwarf, "selbst schuld" gewesen zu sein, weil sie sich (wörtliches Zitat von Frau Reker) "nicht klug verhalten" hätten!
- der Umgang mit den Angehörigen der Opfer des Terroranschlages in Berlin. Keine Staatstrauer, keine Kondolenzschreiben an die Angehörigen durch die Regierung, angeblich, weil aus Datenschutzgründen dafür die Adressen fehlten, dafür Gebührenbescheide der Gerichtsmedizin für den Totenschein innerhalb weniger Tage den Angehörigen zugeschickt, mit maximalem Privatzahler-Multiplikator 3,5!
2) zum restlichen Text zunächst ein paar Grundbemerkungen:
- Wir haben das Gewaltmonopol des Staates. Ein gutes, richtiges und wichtiges Konstrukt!
Es ist eine Einschränkung der Rechte der Bürger, sich nicht zwecks Selbstverteidigung beliebig bewaffnen zu dürfen und keine Selbstjustiz ausüben zu dürfen. ABER: dem steht eine Verpflichtung des Staates gegenüber, dieses Gewaltmonopol auch zum Schutze der Bürger auszuüben.
Simpel ausgedrückt: das Gewaltmonopol des Staates beinhaltet ein Recht des Bürgers auf Schutz vor Straftaten und Straftätern und einen Anspruch des Opfers einer Straftat auf Unterstützung durch den Staat. - Bestrafung sollten in erster Linie der Prävention dienen, der Generalprävention durch Abschreckung und der Spezialprävention durch Unschädlichmachung (zB. Wegsperren) des Täters. Dem Opfer hilft die Bestrafung des Täters nur wenig. Das Opfer mag etwas Genugtuung empfinden, bei einem Tötungsdelikt aber ist nicht einmal dies möglich. Daher sollte es an der Stelle auch nicht um das Opfer gehen, sondern darum, wie man die vom Täter ausgehende Gefahr minimieren oder ausschalten kann!
- Bei einem Tötungsdelikt hat das Opfer keine Möglichkeit mehr, seine Sicht der Dinge darzustellen, sich gegen Verdächtigungen und Vorwürfe zu verteidigen! Hier ist der Staat in der ganz besonderen Pflicht, das Opfer zu schützen! Der Täter hat naturgemäß ein Interesse daran, seine Sicht der Dinge als Wahrheit darzustellen und sich selbst ins bestmögliche, das Opfer ins schlechtestmögliche Licht zu rücken. Dies sollte grundsätzlich bei der Betrachtung von unbewiesenen Aussagen eines Tatverdächtigen über sein Opfer berücksichtigt werden und daher sollte solchen Behauptungen keine Bühne geboten werden oder zumindest mit einer betonten Distanz und deutlichem Hinweis auf die Interessenslage des Tatverdächtigen widergegeben werden.
3) Was die Informationen durch den Staatsanwalt angeht: er hätte natürlich schweigen können. Er hätte aber auch die Informationspflicht vollständig erfüllen können: der Angeklagte behauptete ja, das Opfer am Vorabend des Mordes getroffen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei jedoch bereits das Bewegungsprofil des Opfers bis kurz vor ihrem Verschwinden vollständig erfasst und es war den Ermittlern sofort klar, dass das eine Lüge des Angeklagten war.
Also hätte der OStA auch sagen können: "In der Zeugenvernehmung behauptete der Angeklagte, sich mit dem Opfer am Vorabend ihres Verschwindens zu einvernehmlichem Sex getroffen zu haben. Dies kann gemäß den Erkenntnissen der Ermittler nicht der Wahrheit entsprechen. Wir haben daher Grund zur Annahme, dass es sich um die Notlüge eines Täters handelt!" So formuliert wären die Rechte des Opfers gewahrt worden, die notwendige Distanz zum Tatverdächtigen gewahrt worden und trotzdem der Informationspflicht Genüge getan worden.
Übrigens hätte der OStA mit einer solchen Formulierung auch die Eltern des Angeklagten besser geschützt: wäre von Anfang an klar gewesen, dass der Angeklagte sich durch eine Behauptung im Widerspruch zum Wissen der Ermittler verraten hätte, hätte der Verdacht gegen die Eltern, dass diese ihn mit internem Wissen der Ermittler ausgestattet hätten, weit weniger an Fahrt gewonnen!