@whizzler whizzler schrieb:wie ihr merkt fällt es mir schwer den Gedankengang in Worte zu fassen und hoffe dass ihr mir alle dennoch folgen könnt, und es evtl besser formulieren könnt.
...und das ist doch spannend. Ich glaube nicht, dass dir Begrifflichkeiten fehlen, sondern dass du intuitiv auf etwas reagierst, das diesem Fall innewohnt. Die Verstrickungen in so einer Beziehungsdynamik sind vertrackt und lediglich erahnbar. Man kann es sehr schlecht fassen. Man kann es daher schlichtweg wirklich schlecht in Worte fassen.
whizzler schrieb:Ist denn diese Einwirkung so präsent, dass ich auch damit umzugehen lerne dass mein peiniger mit und vor mir weitere misshandelt?
Ja, definitiv. Um es mal ganz salopp auszudrücken: In einer Situation, in der man tatsächlich oder vermeintlich um sein Überleben kämpfen muss, kann man sich Empathie nicht leisten. Das ist beispielsweise auch der Grund, warum bei einer Massenpanik oder Flugzeugunfällen Menschen einfach über andere steigen, sie überrennen, oder liegenlassen, statt ihnen zu helfen.
Darüber hinaus ist bei anhaltender Gewalt, die einem Opfer widerfährt, Affektivität (also emotionale Regungen, Mitgefühl etc.) eines der ersten Dinge, die innerpsychisch "abgeschaltet" bzw. gedämpft werden, da andernfalls ein psychisches Überleben angesichts gleichbleibend starker Gefühlsreaktionen auf die Gewalt unmöglich würde (man würde den "Verstand verlieren", "wahnsinnig" werden). Daher wirken derartige Opfer bei erster Ansicht zunächst oftmals "abgestumpft" oder "leer". Die Emotionalität wurde dabei bis zu einem Höchstmaß eingedämmt (daher das Wort "Depression": depressere = niederdrücken). Demzufolge ist auch das Empathieempfinden oft nur eingeschränkt möglich, da Empathie bedeutet, sich emotional in eine andere Person einFÜHLEN zu können. Das Opfer würde durch Empathie mit einem anderen Opfer i.d.R. seine EIGENE Gefühlslage umso stärker spüren - nur: das würde es nicht verkraften.
Interessanterweise passiert in einer solchen Dreieckskonstellation dann an dieser Stelle etwas sehr Pervertiertes, Verdrehtes, wie im Vid zu meinem o.g. Link gut herausgearbeitet ist, nämlich, dass das erste Opfer Eifersucht gegenüber dem zweiten Opfer entwickelt. Eifersucht ist die Aggression (also das nach außen Richten) einer Emotion. Statt also die eigenen Gefühle oder die eines anderen zu verinnerlichen (Empathie), werden eigene, vielleicht zerstörerische Gefühle nach außen gerichtet - und das in einer pathologischen Art und Weise. Dem zweiten Opfer wird nun die Aufmerksamkeit geneidet, das es vom Täter erhält. Daran ist eine vorherige sadistische Manipulation gut zu erkennen:Die Gewalt, die mir angetan wird, ist nichts anderes als ein Zeichen meines Misshandlers, wie bedeutsam ich für ihn bin.
Andererseits ermöglicht die Aggression gegenüber dem zweiten Opfer, Kontrolle über die eigene, nicht aushaltbare Emotionalität auszuüben. Das erste Opfer erhält nun, da es ein zweites Opfer gibt, die Möglichkeit, Kontrolle zu erhalten, die es zuvor nicht hatte (Ohn-Macht).
In dieser Konstellation ist wichtig zu beachten, dass wir über unbewusste psychische Motivationen sprechen. Im letztgenannten Fall wäre es demnach so, dass das erste Opfer das Zweite nicht "mutwillig" foltert um es zu foltern, sondern das Foltern dem Zweck der psychischen Selbsterhaltung und Stabilisierung dient.
whizzler schrieb:Für mich würde das heißen, dass nicht primär mein eigener blick auf mich, sondern auf den Täter durch diese "Erfahrungen" entrealisiert würden, denn ginge es um mein Schicksal und würde ich davon ausgehen, dass keiner mir helfen kann, habe ich doch in den weitern Opfern, sehr wohl "MITleidende" und nicht "an-meiner-stelle leidende.
Du gehst in dieser Überlegung davon aus, dass es dem Opfer möglich ist, das Geschehen realistisch einzuschätzen. Das ist in solchen Konstellationen aber i.d.R. auf Grund der massiven vorherigen Manipulation nicht möglich. Das ist ja gerade das "Kranke": Es findet etwas überaus Irrationales statt, das mit keiner gewöhnlichen, menschlichen oder erfahrungsbasierten Wertigkeit in Passung zu bringen ist. Der Blick des Opfers auf den Täter ist ebenso krankhaft verzerrt, wie die Einschätzung der eigenen Situation. Ein solches Opfer würde bei Folterung eines weiteren Opfers womöglich lediglich verinnerlichen, wie groß die Macht des Täters ist und dass sich diese auch gegen einen selbst richten könnte.
Natürlich kann diese Sichtweise kippen. Im o.g. Vid tat es das auch. Da kam das erste Opfer an den Punkt, mit dem zweiten Opfer zu sympathisieren, was schließlich zum Ausbruch beider aus der Situation führte. ABER: Das erste Opfer sympathisierte nicht mit dem zweiten Opfer, weil es ihm leid tat, sondern weil es sich vom Täter verstoßen und missachtet fühlte. Salopp gesagt: Eifersucht. Das zweite Opfer erhielt aus Sicht des ersten Opfers zu viel Aufmerksamkeit. Es war dem Täter wichtiger.