@emzAch erklär doch nochmal wie das ist, dass nicht alles bewiesen sein muss, sondern schlüssig bzw. logisch.
Gerne, das bereitet hier im Forum immer wieder usern Schwierigkeiten.
Der Bundesgerichtshof legt § 261 StPO so aus:
Aus dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip folgt im Strafprozess die Verpflichtung der Gerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1060). Die Amtsaufklärungspflicht darf schon wegen der Gesetzesbindung des Richters (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung des Verfahrens geopfert werden.
Es ist unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter Ausschöpfung des verfügbaren Beweismaterials beruht.
BGH 2 StR 265/13
Was bedeutet das? Das Gericht muss, nachdem es alle Beweise gehört hat, davon überzeugt sein, dass ein Sachverhalt so ist, wie er behauptet wurde. Wenn also die Staatsanwaltschaft behauptet, dass ein Angeklagter A die Straftat S begangen hat, dann muss nach der Beweisaufnahme das Gericht persönlich davon überzeugt sein, dass das so ist. Nur dann kann der Angeklagte schuldig befunden werden. Ist das Gericht nicht davon überzeugt, zweifelt es also daran, gilt der Grundsatz
in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten.
Das heisst jetzt aber nicht, und hier wird das oft missverstanden, dass das Gericht von jedem einzelnen Beweis, der im Verfahren genannt wurde, von jedem einzelnen Indiz, von jeder einzelnen Behauptung überzeugt sein muss. Da dürfen durchaus Zweifel bestehen, solange diese nicht zu Zweifeln an der Gesamtüberzeugung führen.
Beispiel: Alfons ist angeklagt, den Ottokar, während dieser seinen Rausch ausschlief, in einem Misthaufen geworfen zu haben. Ottokar kann sich nicht mehr daran erinnern, weiss nur, dass seine brandneue Lederhose nun nach Kuhmist riecht und er deshalb Ärger mit seiner Frau bekam.
Der Dorfwirt Wastl sagt aus, dass an jenem Tag zur fraglichen Zeit Alfons den Ottokar aus seinem Wirtshaus getragen hat, nachdem es Wastl nicht gelang, den Ottokar aufzuwecken. Der Alfons habe aber Bärenkräfte und trotz einiger Mass den Ottokar noch tragen können. Beide verliessen so zusammen das Wirtshaus.
Die Zeugin Zenzi sagt aus, dass sie einen Mann in grünem Lodenmantel gesehen hat, der den Ottokar in den Misthaufen geworfen hat. Sie gibt weiter an beide, Alfons und Ottokar erkannt zu haben. Den Alfons will sie daran erkannt haben, dass er mit seiner sonoren Stimme ausrief: "Do g'hörst hie, du alter Ochs.'" Da sie den Alfons seit Kindertagen kennt, ist ihr seine Stimme auch vertraut. Sonst hat Zenzi niemanden gesehen.
Der Zeuge Zurbelshofer dagegen sagt aus, dass er gesehen hat, wie der Alfons hemdsärmelig neben dem Misthaufen stand und Strohhalme von sich abklopfte, als aus dem Misthaufen heraus der Ottokar laut fluchend auftauchte und fragte, wo er denn sei. Der Zeuge kennt Alfons ebenfalls seit Kindertagen. Sonst hat er niemanden gesehen.
Alfons, Alfons bester Freund, und Alfons Frau, die Katharina, sagen aus, dass Alfons noch nie einen Lodenmantel besessen oder getragen hat oder darin gesehen wurde. Alfons selbst kann sich an nichts weiter erinnern.
Der Zeuge Huber, dem der Misthaufen gehört, gibt an, zur fraglichen Zeit Geschrei wie von zwei "damische Burschen" neben seinem Misthaufen gehört zu haben und erkannte zweifelsfrei die Stimmen des Alfons und des Ottokars. Gesehen hat er allerdings die beiden nicht, da er in seiner Scheune stand.
Die Verteidigung macht nun geltend, dass ein Unbekannter den Ottokar in den Misthaufen befördert haben muss, dieser Unbekannte trug einen grünen Lodenmantel.
Der Amtsrichter entscheidet: Alfons ist schuldig. Der Richter ist überzeugt davon, dass Alfons den Ottokar in den Misthaufen befördert hat, weil die Aussagen der Zeugen Zurbelshofer, Huber und zum Teil auch die Aussage der Zeugin Zenzi klar darauf hinweisen, dass sie Alfons zur fraglichen Zeit am Misthaufen gesehen oder gehört haben und keine andere Person gesehen haben. Dass die Zeugin Zenzi einen grünen Lodenmantel erkannt haben will sieht der Richter als Irrtum der Zeugin an. Da aber alle anderen Zeugenaussagen ein recht übereinstimmendes und logisches Szenario erstellen, ist der Richter von der Schuld überzeugt.
20 Jahre später wird der Fall auf allmy diskutiert und einige user meinen, das königlich bayerische Amtsgericht hätte hier einen schrecklichen Justizirrtum begangen, weil doch die Zenzi einen grünen Lodenmantel gesehen haben will, den der Alfons niemals besass. Deshalb hätte der Richter, in dubio pro reo, den Alfons freisprechen müssen.
Nein. Der Richter war auch so von dem Tatablauf, den Staatsanwaltschaft behauptet hat, überzeugt. Zwar besteht hier ein Zweifel, ob die Zenzi überhaupt etwas gesehen hat, und was sie gesehen hat, aber ihre Aussage wiegt nicht die übereinstimmenden Aussagen der anderen auf, auch wenn diese den Akt des "Hineinwerfens" nicht bezeugt haben. Zeugen irren sich manchmal.
Genausowenig muss in diesem Fall jeder einzelne Schritt von Opfer und Täter nachgewiesen werden. Niemand hat gesehen, wie die beiden von der Tür des Wirtshauses bis zum 50m entfernten Misthaufen gelangten. Aber auch diese Tatsache, so bedauerlich sie ist, ist nicht genug, um wirklich Zweifel an dem Tatablauf hervorzurufen.
Auf allmy wird nun gesagt: Ja, aber wenn nun zwischen Wirtshaus und Misthaufen der Alfons den Ottokar abgelegt hatte, weil er zu schwer wurde, und ein Unbekannter dann den Ottokar in den Misthaufen befördert hätte, dann wäre der Alfons unschuldig! Und sie verlangen nun einen Beweis, dass es keinen Unbekannten im grünen Lodenmantel gab. Ohne diesen Beweis müsse der Alfons freigesprochen werden.
Aber das stimmt nicht. Nicht jede denkbare Variation, für die es keine Anhaltspunkte gibt, muss ausgeschlossen werden können. Denn dann könnte kaum noch jemand verurteilt werden.