So, wieder mal ein ereignisreicher Tag und gut, dass ich meine Grossmutter nicht verwettet habe.
:) Ich versuche erst mal die Fragen zu beantworten:
@Hesse18Beim eher seltenen Verfahren ohne Jury sind die Abläufe ein wenig anders, aber substantiell gleich, das gilt auch für die Urteilsfindung. Im Juryverfahren wird der Jury ein Fragebogen vorgelegt, mit ganz spezifischen Formulierungen. Diese werden vorher von den Anwälten beider Seiten vorgeschlagen und vom Richter festgesetzt. Inzwischen gibt es eine allgemein akzeptierte Sammlung von "Jury Instructions" in welchen Standardformulierungen zu finden sind.
Darin ist dann aufgeführt welche Elemente die Anklage beweisen muss, um den Straftatbestand bewiesen zu haben. Jeder Juror kann dann sozusagen diese Instruktionen als Checkliste benutzen und abhaken, was die Anklage bewiesen hat. Nur wenn überall Haken sind, ist der Angeklagte schuldig zu finden.
Die Standardinstruktion kann dann auf Vorschlag der beiden Seiten spezifisch an den vorliegenden Fall angepasst verändert werden. Wenn sich die Seiten nicht einigen können, entscheidet der Richter. Jury Instruktionen sind oft ein Revisionsgrund, daher werden sich die Beteiligten hier sehr viel Zeit nehmen.
Im "Bench Trial" nun gibt es keine Jury. Dennoch legen die beiden Seiten dem Richter eine ähnliche Liste vor, sozusagen damit er sie abhaken kann. Dies nennt man "Findings of Fact." Als Richter wird er ausserdem in jedem Fall noch "Findings of Law" erstellen, das ist auch im Jury-Prozess seine Aufgabe.
Genau wie die abgehakten Jury Instruktionen werden die Findings of Fact anschliessend Teil des öffentlichen Protokolls des Prozesses. Man kann dann daran den Gedankengang des Richters erkennen. Eine gesonderte "Urteilsbegründung" wie in Deutschland gibt es dagegen nicht.
@Wolters Wie lange das noch so weiter geht? Gute Frage. Ich hatte weiter oben schon einmal geschrieben, dass die Richterin sehr wohl irgendwann sagen kann: Schluss jetzt, ich verschiebe den Prozessbeginn nicht noch einmal. Allerdings, vor allem wenn der Antrag von der Verteidigung kommt, wird sie vorsichtig sein, damit sie keinen Revisionsgrund schafft. Aber jede Richterin wird irgendwann einmal am Ende ihrer Geduld sein.
Im vorliegenden Fall aber sind alle noch ganz lieb, die Bundesanwaltschaft hat dem Antrag, den Prozess zu verschieben wieder zugestimmt, alle sind sich einig. Der nächste Calendar Call ist auf den 7. November festgesetzt worden, der Prozessbeginn auf den 14. November.
Bis dahin sollen die noch anstehenden prozedualen Fragen geklärt sein. Hoffen wir es.
Eine andere Frage war die nach dem Auflisten der einzelnen Taten.
Es gibt in der Tat zwei verschiedene Methodiken: Generell muss jede einzelne Straftat einzeln als "count" in der Anklageschrift aufgeführt werden, damit die Jury (bzw. die Richterin) über jede einzeln abstimmen kann. Es soll verhindert werden, dass die Jury zwei Taten vermischt, also z.B.:
Theodor ist angeklagt am 1. Juli und am 3. Juli jeweils die gleiche Bankfiliale in der Kennedy Street überfallen zu haben. Jedes Mal soll er maskiert und eine Pistole schwingend den Kassierer in Angst und Schrecken versetzt haben.
Nun ist es aber so, dass er in der Tat den Überfall am 1. Juli begangen hat, den am 3. Juli aber nicht (das war sein Neffe Titus.)
Die Jury begutachtet nun die Beweise und denkt: der Kassierer hat Theodor am 1. Juli zweifelsfrei an der Narbe an der Hand erkannt, die der Täter nicht bedeckt hatte. Am 3. Juli trug der Täter aber Handschuhe, der Kassierer meint, er sei sich "ziemlich sicher, dass es der selbe Täter war, aber so ganz genau könne er das nicht sagen."
Wenn das nun alles in einer Anklage zusammengefasst wäre, könnte passieren dass:
1. Die Jury sagt: die Identifizierung mit der Narbe ist klar, der Kassierer wird schon Recht haben, dass Theodor am 3. Juli noch mal dagewesen ist, also: schuldig! Theodor wird nun wegen zwei Banküberfällen verurteilt. Das ist unfair, denn den am 3. Juli hat er wirklich nicht begangen.
Oder 2. Die Jury sagt: Hm, wenn der Kassierer sich am 3. Juli nicht ganz sicher war, dann sollten wir ihm auch mit dem 1. Juli nicht glauben. Es ist unwahrscheinlich, dass in drei Tagen zwei verschiedene Täter dagewesen sind, es war vermutlich ein und der selbe, aber am 3. Juli kann der Kassierer keine Identifikation machen, dann entscheiden wir in dubio pro reo und sprechen Theodor frei. Das wäre auch unfair, denn er hat ja die Tat am 1. Juli begangen.
Also muss die Jury über jede Tat abstimmen.
Es gibt aber eine gewichtige Ausnahme, obwohl die unter Juristen umstritten ist: wenn sich das Verhalten als "durchgehender Tatbestand" interpretieren lässt. Nehmen wir einmal folgendes an: Theodor ist angeklagt, im Ruby Saloon in Las Vegas einen Spielautomaten mit 100 wertlosen Blechmünzen anstatt den offiziellen $ 1 Münzen gefüttert zu haben, mit der Folge, dass er an dem Abend $ 400 gewonnen hat. Für jede Münze gab es ein Spiel. Nun könnte man ihn 100 mal anklagen, immer wegen Betrug in Höhe von $ 1.
Da er aber das Ganze in 3 Stunden mehr oder weniger ohne Unterbrechung getan hat, kann man auch sagen, das Ganze ist ein einheitlicher Tathergang eines Betrugs in Höhe von $ 100. Das hat für beide Seiten Vorteile: die Anklage muss nun nicht beweisen, genau bei welchen vier Münzen der Automat jeweils $ 100 Gewinn ausgespuckt hat und Theodor wird nicht als Serientäter verurteilt. Und die Jury muss nicht einhundertmal das Gleiche lesen.
Hier im vorliegenden Fall wurde diese Variante angewendet: Rouven wurde wegen Besitz, Weitergabe und Anbieten von KP angeklagt. Aber nicht für jedes der hunderten Bilder einzeln. Auch nicht für jeden der download Vorgänge einzeln. Man sieht das alles als eine durchgehende Tat. Das hat die oben genannten Vorteile auch für Rouven.
Was gab es sonst noch heute: Die Bundesanwaltschaft hat beantragt, einen Teil des an sich öffentlichen Protokolls - aus dem ich meine ganzen Informationen beziehe - zu versiegeln, d.h. nicht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, aus Opferschutz. Bestimmte Details der KP werden uns daher nicht bekannt werden.
Die Frage der Alibi-Verteidigung wurde heute noch nicht entschieden. Auch die dropbox-Sache noch nicht, aber die Richterin hat sich Argumente für beides heute angehört.