@grizzlyhai Es kommt ein wenig auf den Bundesstaat an. In diesem Fall hier geht es um Bundesrecht, hier gilt weitgehend die klassische Aufteilung: die Jury ist dazu da die Schuld festzustellen, der Richter legt das Strafmass fest. Auf grund höchstrichterlicher Rechtsprechung ist das nur bei der Todesstrafe anders, da muss die Jury entscheiden.
Im Bundesrecht ist der Richter allerdings weit an die Strafmass-Richtlinien gebunden (federal sentencing guidelines) die erschaffen wurden, um zu verhindern, dass gleiche Taten von unterschiedlichen Richtern mit stark abweichendem Strafmass belegt werden. Inzwischen sind sie aber so kompliziert geworden, dass sie von Fachleuten sehr kritisiert werden. Die guidelines geben relativ genau ein Strafmass vor, welches aber abhängig ist von den Umständen des Verurteilten: vorbestraft oder nicht usw. und der Tat: Gewalttat oder nicht usw.
Das Gesetz gibt dann einen Rahmen vor, im vorliegenden Fall zum Beispiel sind das eine Mindeststrafe von 10 Jahren und eine Höchststrafe von 20 Jahren. Die guidelines 'errechnen' dann einen Wert für den Angeklagten, der irgendwo auf dieser Bandbreite liegt. Ist die Person bereits einschlägig vorbestraft, setzt das Gesetz in diesem Fall eine Mindesstrafe von 15 Jahren und eine Höchststrafe von 40 Jahren vor, die ebenfalls dann durch die guidelines 'errechnet' wird.
Anders als im deutschen Recht gibt es in den USA aber die Möglichkeit, einzelne Taten auch einzeln und damit addierend zu bestrafen. Das kann für den Angeklagten extrem werden:
Beispiel: Das Gesetz gibt die oben genannten Strafen für jede Tat des Weitergebens oder Empfangens von KP vor. Wenn der Angeklagte nun am Donnerstag einmal 5 Videos herunterlädt, und am Freitag noch einmal 5, dann sind das zwei getrennte Taten.
Nehmen wir nun an, die guidelines errechnen bei diesem Angeklagten 12 Jahre Haft, dann sind das 12 Jahre für jede Einzeltat.
Schliesslich obliegt es dann dem Richter zu entscheiden, ob diese zu einer Gesamtstrafe zusammengefasst werden oder nicht. Das Gesetz sagt, im Normalfall sollen diese Einzelstrafen "gleichzeitig" ablaufen, das heisst im obigen Beispiel würde der Verurteilte 12 Jahre absitzen, aber in begründeten Fällen, kann der Richter anordnen, dass sie nacheinander abzusitzen sind, dann würde in diesem Beispiel hier der Verurteilte 24 Jahre sitzen. Die Entscheidung richtet sich nach der Schwere der Schuld, den Umständen des Verurteilten usw.
Anders als in Deutschland kann in den USA im Bundesrecht und in den meisten Bundesstaaten ein Strafrest nicht im klassischen Sinn auf Bewährung ausgesetzt werden.
Ein Richter kann allerdings eine Bewährungsfrist an eine Strafe anhängen und wird dies auch oft tun. In der Praxis ergibt sich dann doch eine "frühzeitige" Entlassung auf Bewährung, aber diese ist dann im Voraus schon bekannt. Beispiel: Der Richter entscheidet nun auf 12 Jahre plus 5 Jahre "supervised release." Man könnte nun auch andersherum sagen das Urteil lautet auf 17 Jahre und 5 Jahre Strafrest werden zur Bewährung ausgesetzt. Egal wie man es ausdrückt, der Verurteilte wird nur 12 Jahre sitzen, bevor er entlassen wird. Verstösst er aber gegen die Bewährungsauflagen, ist er noch mal 5 Jahre dran.
Auch kann ein Verurteilter bis zu 54 Tage im Jahr wegen "guter Führung" erlassen bekommen, was bei 10 Jahren z.B. 540 Tage wären, also ca. anderthalb Jahre. Er könnte also nach 8 1/2 Jahren das Gefängnis verlassen.
Es gibt im Bundesrecht aber keine indeterminierten Strafen wie in manchen Bundesstaaten und keinen Bewährungsausschuss (parole board), der dann eine Strafaussetzung beschliessen könnte. In Deutschland zum Beispiel wird das eher so gehandhabt, z.B. auch bei der Frage einer Entlassung bei "Lebenslänglich." Dieses System ist im Bundesrecht der USA seit einigen Jahren abgeschafft.
Soweit die sehr komplizierte Thematik der Strafbemessung in Kurzform.
Nun ebenfalls kurz zum Thema Revision, Berufung usw.
Anders als in Deutschland gibt es in den USA keine klassische "Berufung," sondern nur eine Revision. In Deutschland wäre allerdings bei gleichen Strafvorwürfen auch keine Berufung möglich.
Der Unterschied ist Laien oft nicht bekannt: In einer Revision geht es darum, dass ein höheres Gericht untersucht, ob im Strafverfahren juristische Fehler gemacht wurden. Es geht nicht darum, den Fall noch einmal komplett von anderen Richtern hören zu lassen. So werden auch keine Zeugen ein zweites Mal vernommen, sondern die Revision hat als Basis ausschliesslich das Protokoll des Prozesses. Allerdings gibt es hier einen ganz gravierenden Unterschied zu Deutschland: in den USA liegt ein verbatim protocol vor, jedes Wort, das in der Verhandlung gesprochen wurde, und jeder Beschluss des Gerichts, sind wortwörtlich protokolliert. In Deutschland gibt es das nicht.
Der zweite gravierende Unterschied zu Deutschland ist, dass in den USA die Staatsanwaltschaft keine Revision gegen einen Freispruch einlegen kann. Wenn die Jury einen Freispruch einstimmig verkündet, ist das Verfahren für immer vorbei und der Angeklagte kann wegen des gleichen Delikts nicht noch einmal angeklagt werden.
Wenn die Jury aber nun zu einem Schuldspruch kommt, stehen dem Verurteilten eine ganze Reihe von Rechtsmitteln zur Verfügung:
1) Er kann bei sehr offensichtlichen Fehlern im Verfahren sofort beantragen, dass ein Prozess erneut durchgeführt wird (motion for new trial). Allerdings passiert das sehr selten. Er hat auch schon während dem Prozess einige Möglichkeiten, den Prozess zu stoppen, wenn etwas falsch läuft, z.B. auch wenn die Beweise so dürftig sind, dass der Richter glaubt, die Jury kann eh nur freisprechen.
2) Ist aber das Urteil klar und der Richter lehnt eine motion for new trial ab, dann kann der Verurteilte innerhalb einer kurzen Frist Revision einlegen. Diese muss natürlich gut begründet werden: sie muss zeigen, dass irgendwo im Prozess eklatante juristische Fehler gemacht wurden, entweder durch den Richter, oder durch die Jury, wobei der Richter immer im Fokus steht, denn er müsste die Fehler der anderen bemerken. Es geht bei den meisten Revisionen um Entscheidungen des "Tatrichters" (der Richters im Prozess) zu den Beweismitteln. In unserem Fall zum Beispiel wissen wir ja, dass Verteidigung und Anklage sich uneins sind, ob die chatprotokolle im Prozess verwertet werden sollen. Das wäre ein typischer Revisionsgrund.
In unserem Fall hier ist das Revisionsgericht in San Francisco zuständig, der 9. Bundesappellationsgerichtshof. Dort wird eine Revision von drei Richtern gehört, in selteneren Fällen von neun Richtern.
Ich habe im Oktober eine Verhandlung vor diesem Gericht und muss zugeben, dass es sehr einschüchternd ist. Man steht als Anwalt in diesem Moment vor teilweise landesweit bekannten Koriphäen der Justiz und wird recht erbarmungslos von diesen mit Fragen gegrillt. Auf der anderen Seite übernimmt ein hoher Bundesanwalt die Anklagevertretung, der jahrelang nichts anderes als Revisionsverfahren macht.
In der Revision, auf Englisch "appeal" (was auch Berufung heissen kann, aber im deutschen Sinne hier eben eine Revision ist), wird also nun der vergangene Prozess untersucht und nach Fehlern geforscht. In der Regel ist der Verurteilte während dem Revisionsverfahren, das durchaus Jahre dauern kann, nicht frei, sondern sitzt seine Strafe bereits ab.
Weniger als 20% der Revisionsanträge sind erfolgreich, was auch ernüchternd ist.
Wird die Revision vom United States Court of Appeals abgelehnt, kann man wiederum eine Revision dieser Ablehnung beim Supreme Court of the United States, dem höchsten Gericht der USA beantragen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hier zu gewinnen noch einmal sehr viel geringer, da nur Fälle von überragender Bedeutung angenommen werden. In etwa ist das mit dem deutschen Verfassungsgericht zu vergleichen, nur Fälle, in welchen es um die Verletzung der Grundrechte geht, haben hier in der Regel eine Chance.
Wird die Revision abgelehnt, hat man allerdings noch die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens, auf Englisch, bzw. Latein, "habeas corpus proceedings" genannt. Hier hat man die Möglichkeit auch veränderte Tatsachen einzubringen, die in der Revision nicht benannt werden können, da sie nicht im Protokoll des Verfahrens sind. Die Hürde zum Wiederaufnahmeverfahren ist allerdings recht hoch. Man muss einen Verstoss gegen die verfassungsmässigen Grundrechte nachweisen. Gegen einen negativen Beschluss im Wiederaufnahmeverfahren sind wieder Revision zum Bundesappellationsgericht und zum Supreme Court möglich.
Soweit also auch die Rechtsmittel in Kurzfassung.
@yasumi Es ist schon so, wie
@NeonMouse schreibt: die Anklage lehnt den Verteidigungs-"Experten" ab, weil er ihrer Meinung nach gar nicht qualifiziert ist, "Experte" auf diesem Gebiet zu sein. Freilich wirft sie der Verteidigung hier Sand ins Getriebe, aber es geht wohl auch um die Frage, nicht wegen dieser Sache eine Revision zu verlieren. Ein Experte muss nach dem Gesetz besonders qualifiziert sein, wenn er zu einer Sache aussagen will. Die Qualifizierung ist nachzuweisen.