Magier Jan Rouven in Las Vegas: Verurteilt - das Ende einer Karriere
22.05.2016 um 10:21
Hier wie gewünscht ein paar generelle Erklärungen. Ich mache das in zwei Teilen: heute ein allgemeiner Ablauf des Verfahrens, und demnächst eine genaue Beschreibung der Auswahl der Geschworenen.
Teil 1
Wie alle wissen, sind wir derzeit an folgendem Punkt in einem amerikanischen Strafverfahren vor einem Bundesbezirksgericht (Federal District Court):
Die Anklage ist offiziell erhoben und zugelassen worden und nun bereiten sich beide Seiten auf die Hauptverhandlung vor. Der Angeklagte, Rouven, hat ein verfassungsmässiges Recht auf einen raschen Prozess, das ist gesetzlich definiert, dass der Prozess spätestens 70 Tage nach dem Antrag auf Anklageerhebung beginnen muss (allerdings kann das durch bestimmte Prozeduren verlängert werden).
Wie sieht ein Strafverfahren vor einem Bundesgericht generell aus? Ich betone "Bundesgericht," weil Rouven vor einem solchen angeklagt ist. In den USA existieren zwei vollkommen voneinander getrennte Gerichtsbarkeiten: die jedes einzelnen Bundesstaates und die Bundesgerichtsbarkeit. Es gibt auch zwei vollkommen voneinander getrennte Strafgesetzbücher: wieder die der einzelnen Staaten und das des Bundes.
Rouven ist nun wegen Straftaten, die im Bundesstrafgesetzbuch definiert sind, angeklagt, daher liegen die Ermittlungen bei der Bundespolizei (FBI) und werden durch Bundesanwälte geleitet (United States Attorneys) und der Prozess findet vor dem Bundesgericht im Bezirk Nevada, vor einer Bundesrichterin, nach der Bundesstrafprozessordnung (Federal Rules of Criminal Procedure) statt.
Das Verfahren vor dem Bundesgericht unterscheidet sich daher etwas von einem Verfahren, das vor den Gerichten des Staates Nevada ablaufen würde.
Das Strafverfahren als Ganzes sieht so aus:
1. Ermittlungen
2. Verhaftung und Untersuchungshaft: Der Beschuldigte muss einem Richter, meist ein "magistrate," vorgeführt werden, der über die Untersuchungshaft entscheidet. Diese Entscheidung kann angefochten werden. Das ist beides in diesem Fall geschehen.
3. Anklageerhebung: Die Bundesanwaltschaft legt ihre Ermittlungsergebnisse einer "Grand Jury" vor, welche entscheiden muss, ob die Ergebnisse eine Wahrscheinlichkeit zeigen, dass der Beschuldigte die vorgeworfene Straftat begangen hat. Wenn ja, wird die Grand Jury das "indictment," die Anklageschrift, mit einer "true bill" beantworten: der Ermächtigung, ein Hauptverfahren zu eröffnen. Auch das ist hier geschehen.
4. Eröffnung der Anklage: dem Angeklagten wird die Anklage eröffnet und er wird gefragt, ob er dazu Stellung beziehen will. Das nennt man "arraignment on the indictment" oder kurz "arraignment." Der Angeklagte kann "schuldig," "nicht schuldig," oder "nolo contendere" plädieren. Will er sich nicht äussern, trägt der Richter automatisch ein "nicht schuldig" ein. Damit ist der Weg zur Hauptverhandlung frei. Nach dem arraignment setzt der Richter bestimmte Fristen fest, vor allem den Beginn der Hauptverhandlung, und es wird der dann zuständige Richter festgelegt (in der Regel ein anderer als bisher). In Deutschland ist das vergleichbar mit der Festlegung einer Kammer eines Landgerichts. Das geschieht hier wie dort nach einem Geschäftsverteilungsplan, also zufällig. Rouven hat zufällig die vorsitzende Richterin des Gerichts gezogen. Spätestens jetzt kann das Gericht auch einen Pflichtverteidiger stellen. Rouven hat das nicht beantragt, da er seine Anwälte selbst beauftragt hat.
Noch ein Wort zu den Personen: Ein grosser Unterschied zwischen Bundesgericht und bundesstaatlichem Gericht ist, dass in ersterem die Richter auf Lebenszeit ernannt sind und auch die Bundesanwälte ernannt sind, und zwar vom Präsidenten der USA nachdem der US Senat zugestimmt hat. Bei den bundesstaatlichen Gerichten werden diese Amtsträger direkt von der Bevölkerung gewählt und müssen sich alle paar Jahre zur Wiederwahl stellen.
Alle Richter und Anwälte müssen Juristen sein und in dem jeweiligen Bundesstaat und vor den einzelnen Gerichten zugelassen sein, dass ist ganz ähnlich wie in Deutschland.
5. Discovery and Pre Trial Motions: Gegenseitiger Austausch der Ermittlungsergebnisse und Anträge vor Beginn der Hauptverhandlung
Das ist der Punkt, in dem wir uns im Fall Rouven derzeit befinden. Es ist eine extrem wichtige Phase.
A. Discovery
Eine Besonderheit des amerikanischen Strafprozessrechts ist, dass es davon ausgeht, dass beide Seiten vor Gericht fair behandelt und mit gleichen Ausgangspositionen erscheinen sollen. Praktisch bedeutet das, dass beide Seiten der jeweils anderen ihre Ermittlungsergebnisse einschliesslich einer Liste ihrer Zeugen und Experten vorlegen müssen. Das gibt beiden Seiten die Gelegenheit, diese Ergebnisse der anderen Seite zu hinterfragen und eigene Ermittlungen dazu anzustellen. Verstösst eine Seite gegen diese Regel, kann das erhebliche Konsequenzen haben. Verheimlicht die Anklage zum Beispiel entlastendes Material, das sie bei ihren Ermittlungen gefunden hat, muss der Prozess platzen. Nach einem Grundsatzprozess vor dem obersten Gerichtshof wird dieses Material "Brady material" genannt.
Eine Ausnahme von dieser Regel ist sogenanntes "privileged material," welches der Verschwiegenheitspflicht unterliegt: dies schützt den Angeklagten, zum Beispiel dürfen seine Gespräche mit seinen Anwälten und die strategische Prozessplanung der Verteidigung nicht weitergegeben werden.
B. Pre-Trial Motions
Im Laufe dieser Phase erhalten also beide Seiten einen Einblick in die Ermittlungen der anderen Seite. Dabei kann sich herausstellen, dass bestimmte Ergebnisse den Angeklagten unfair belasten oder aber auch die Anklage unfair schwerer machen würde. Um diese Probleme nicht erst lösen zu müssen, während die Jury schon ungeduldig auf ihren Stühlen sitzt, sollen beide Seiten entsprechende Anträge vor Beginn der Hauptverhandlung stellen (motion=Antrag).
Ein Beispiel aus unserem Fall hier wäre, dass ich als Verteidiger Rouvens beantragen würde, dass der Anklagevertretung untersagt werden soll, seine Auftritte vor Kindern z.B. in der Bibliothek zum Vorlesen zu erwähnen, da das nichts mit dem Kinderporno zu tun hat und ihn vor der Jury in ein schlechtes Licht setzen würde.
Ein solcher Antrag wird "motion in limine" genannt (die amerikanische Rechtsprache ist gespickt mit Latein).
Auch kann ich zu dieser Zeit das Gericht bitten, unwillige Zeugen zur Aussage zu verpflichten und ihnen Sanktionen anzudrohen, falls sie sich weigern (subpoena) usw.
All das geschieht vor der Hauptverhandlung, damit diese nicht durch solche Dinge unterbrochen wird.
Am Ende steht dann ein Termin: die Bereitschaftskonferenz (Trial Readiness Conference): hier müssen beide Seiten erscheinen und dem Richter darlegen, dass sie bereit sind, die Hauptverhandlung zu beginnen, oder, falls nicht, dass sie sehr gute Gründe für die Verzögerung haben. Die meisten Anwälte haben einen Horror davor, den Richter zu verärgern und werden alles tun, um an diesem Termin bereit zu sein.
Das ist der nächste Termin auf den wir nun warten.
6. Beginn der Hauptverhandlung: Auswahl der Geschworenen
Nach der amerikanischen Verfassung ist in jedem Prozess wegen einem Verbrechen eine Jury einzusetzen, die das Urteil über die Schuldfrage fällt, bei bestimmten Straftaten auch über das Strafmass. Im Bundesbezirksgericht sind es 12 Geschworene, die das Urteil einstimmig fällen müssen. Können sie das nicht, platzt der Prozess.
Am Beginn der Hauptverhandlung werden die Geschworenen ausgewählt. Meist werden mehr als 12 ausgewählt, damit bei Erkrankung usw. eines Geschworenen nicht der ganze Prozess wiederholt werden muss. Abstimmen am Ende dürfen aber nur 12.
Ich werde im einzelnen dazu einen gesonderten Beitrag schreiben.
7. Hauptverhandlung: Eröffnung durch die Anklagevertretung
Am Beginn der Hauptverhandlung hat die Anklagevertretung das Wort. Ihr allein obliegt die Bürde, die Geschworenen zu überzeugen. Der Angeklagte braucht seine Unschuld nicht beweisen und hat das Recht, im gesamten Prozess zu schweigen.
In der Regel beginnt der Staatsanwalt mit einer kurzen Zusammenfassung (opening statement) des Falles. Die Verteidigung kann das nun ebenfalls tun, kann damit aber auch warten, bis die Staatsanwaltschaft ihre Beweisaufnahme beendet hat.
Dann ruft er seine Zeugen auf und befragt diese. Nach jedem Zeugen hat die Verteidigung die Gelegenheit, diesem ebenfalls Fragen zu dessen bisherigen Antworten zu stellen. Darauf kann der Staatsanwalt wieder Fragen zu dem Stellen, was gerade gesagt wurde. Und so weiter. Es kann ein gewisses hin und her geben.
Die Strafprozessordnung hat dabei sehr scharfe Regeln, was gefragt werden darf und was nicht, schärfer als in Deutschland. Ich werde das erklären, wenn es so weit ist.
Am Ende erklärt der Staatsanwalt irgendwann, dass er seinen gesamten Fall vorgetragen hat und keine weiteren Zeugen rufen wird (the prosecution rests).
Nun darf die Verteidigung folgendes tun: Einen Antrag stellen, das Verfahren einzustellen, weil die Beweise der Staatsanwaltschaft offensichtlich nicht ausreichen, um eine Verurteilung zu erreichen (hat selten Erfolg). Ihr opening statement abzugeben, falls sie es noch nicht getan hat. Und schliesslich Zeugen aufzurufen und Beweise vorzulegen.
Hier ist der Ablauf genau wie vorher: erst fragt der Verteidiger, dann darf der Staatanwalt den Zeugen befragen, usw.
Der Angeklagte braucht nicht aussagen und wird es auch in den meisten Fällen nicht tun. Wenn er aber aussagt, darf auch die Staatsanwaltschaft ihn befragen und er muss antworten.
Am Ende erklärt auch die Verteidigung, dass ihre Beweisaufnahme beendet ist ("the defense rests.")
Dann kann der Staatsanwalt noch einmal Zeugen aufrufen, wenn diese zu dem Stellung nehmen sollen, was die Verteidigung vorgebracht hat (rebuttal witnesses).
Schliesslich gibt es nun die Schlussplädoyers. Zuerst spricht die Verteidigung und fasst den Fall aus ihrer Sicht zusammen, dann der Staatsanwalt.
Ganz zum Schluss kommt der wichtige Teil der Belehrung der Geschworenen: der Richter belehrt sie über die Gesetzeslage und was sie bei der Beratung tun dürfen und was nicht.
Dann ziehen sich die 12 Geschworenen zurück und beraten so lange, bis sie ein einstimmiges Urteil gefunden haben. Schaffen sie das in einer bestimmten Zeit nicht, muss der Richter den Prozess als geplatzt erklären.
8. Strafmass
Ist das Urteil "nicht schuldig" ist der Prozess vorbei, der Angeklagte ist sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Die Staatsanwaltschaft kann keine Rechtsmittel gegen einen Freispruch einlegen.
Wird der Angeklagte aber schuldig gesprochen, beginnt nun die Phase, in welcher das Gericht das Strafmass festlegt. Anders als in Deutschland wird das nicht mit dem Schuldspruch zusammen verkündet, denn nun haben beide Seiten erst noch die Gelegenheit, den Richter zu überzeugen, warum die Strafe so oder so ausfallen soll. Dazu können noch einmal Gutacher, Zeugen und vor allem auch die Opfer oder ihre Angehörigen gehört werden. Erst dann verkündet der Richter das Strafmass, in der Regel einige Wochen nach dem Schuldspruch.
Lasst mich wissen, wenn das zuviel Informationen sind :)