Ah, danke, danke, ich bin wie immer ganz gerührt, wie hoch mein Beruf doch geschätzt wird.
Ironie aus.
Mal abgesehen davon, dass ich als geldscheffelnder gieriger Anwalt alles andere tun würde als Strafverteidiger werden - das sind nämlich die Anwälte, die am wenigsten Geld verdienen, da die ganz überwiegende Mehrheit ihrer Mandanten arm ist. Nein, wenn ich hätte reich werden wollen, wäre ich Steueranwalt geworden... da ist die wahre Kohle. Oder "personal injury lawyer," also jemand der ausschliesslich Schadenersatzfälle vertritt...
Egal. Ich bin die merkwürdigen Ansichten über Strafverteidiger gewohnt. Mental komme ich dennoch mit meinem Beruf zurecht, wie wohl die meisten meiner Kollegen. Interessanterweise ist es allerdings so, dass die meisten Strafverteidiger früher einmal auf der anderen Seite standen, zumindest in den USA: 80% oder mehr waren einmal Staatsanwalt. Das liegt an der Berufsausbildung hier (in Deutschland waren die meisten im Referendariat mal in der StA, in den USA bewerben sie sich nach dem Jurastudium als Staatsanwalt um so erst mal Erfahrung zu bekommen, bevor man sich selbstständig macht.). Andere, so wie ich, waren vorher bei der Polizei oder in sonstigem law enforcement. Haben also, nach landläufiger Meinung, auf der "richtigen Seite" gearbeitet, und leben dann als Strafverteidiger.
Ist das die pure Geldsucht? Wie können diese ehemaligen Staatsanwälte denn in den Spiegel schauen?
Nun, das geht durchaus, wenn man einmal die Aufgabe der Verteiger korrekt sieht. Und der Fall Jan Rouven ist das beste Beispiel dafür:
Nicht wenige hier dachten oder denken ja, dass Rouven eventuell unschuldig ist. So. Und nun? Er sitzt in Untersuchungshaft, und er hatte vermutlich keinen blassen Schimmer von Straprozessrecht, Strafrecht und so weiter.
Wenn es nun keine Verteidiger gäbe, wäre er auf sich allein gestellt, gegen einen Apparat, der ein fast grenzenloses Budget besitzt, der hunderte Polizisten für sich ermitteln lassen kann, der Laboratorien hat und Experten und Staatsanwälte, die jedes Jahr mehrere solche Prozesse durchführen, vielleicht schon 20 Jahre lang.
Und da stehen sie nun: Rouven ganz allein links, und die geballte Staatsmacht rechts. Vorne sitzt ein Richter, der in 75% der Fälle früher einmal Staatsanwalt war, und ganz rechts sitzt die Jury, lauter kleine allmyleser wie du und ich.
Und nun sage mir, wieviel du darauf wettest, dass Rouven in diesem setting gewinnt?
OK?
Jetzt reden wir noch mal über die Rolle des Verteidigers: Seine Aufgabe ist nicht den "Mörder rauszuhauen" und den "Vergewaltiger freizukriegen" und dabei noch Geld ohne Ende zu scheffeln. Das ist Blödsinn.
Seine Aufgabe ist es dem Rouven genau wie jedem anderen Angeklagten zu helfen, ein faires Verfahren zu erhalten. Seine Aufgabe ist es den Staat jeden Tag neu daran zu erinnern, dass dieser die Schuld nachweisen muss und keineswegs Rouven seine Unschuld beweisen muss. Seine Aufgabe ist, wie es im Englischen heisst: "advocate and counselor" zu sein, und attorney. Das bedeutet: berufen dem Angeklagten an der Seite zu stehen, ihm Rat zu erteilen, und für ihn zu sprechen.
Ich hatte mehrfach schon Mandanten, die nicht einmal lesen und schreiben konnten. Sie hatten in ihrem Leben in anderen Ländern keine Zeit für Schule, mussten in bitterster Armut schon mit 10 oder 11 Jahren auf dem Feld arbeiten... Heute sehen sie sich plötzlich vor Gericht, werden mit einem Haufen Papier konfrontiert, stehen einem Staatsanwalt mit 7 oder 8 Jahren Studium gegenüber.
Wenn da kein "advocatus" ist, dann sind diese Leute einfach verloren. Deshalb gibt es diesen Beruf schon seit biblischen Zeiten.
Sicherstellen, dass es ein faires Verfahren gibt. Sicherstellen, dass der Staat es sich nicht einfach macht und den kleinen Angeklagten mal schnell überrollt. Und sicherstellen, dass selbst wenn der Angeklagte tatsächlich der Täter ist, dieser auch gehört wird. Sicherstellen, dass er die Möglichkeiten, die das Gesetz allen einräumt, auch nutzen darf. Dass er seine Seite der Dinge vortragen kann.
Wer glaubt, Anwälte sind dazu da, Mörder, Monster und Konsorten unter allen Umständen freizupressen, der muss sich schon fragen lassen: woran liegt es dann, dass 99% der angeklagten Mörder auch verurteilt werden? Taugen die Anwälte alle nichts?
In Wirklichkeit ist es so, dass ein Anwalt in einem solchen Fall auch kein Zauberer ist (gell Rouven). Ist sein Mandant der Mörder, hat er ein faires Verfahren bekommen, eine faire Strafe erhalten, dann kann der Anwalt ganz ruhigen Gewissens ins Bett gehen: er hat seine Arbeit getan.
Nur, wie wir hier im Fall Rouven ja sehen: vor dem Urteilsspruch ist das nicht immer klar. Und deswegen hat Rouven das Recht auf einen Verteidiger. Und er braucht einen.
@yasumi Ich glaube du warst es, die fragte, ob man denn jeden Fall annehmen muss. Das ist so eine Sache: ich muss es nicht. Ich kann meine Mandanten frei wählen und nehme auch nicht jeden Fall an. Andererseits weiss ich, wenn alle nur die sympathischen Mandanten nehmen, dann erhalten die unsympathischen, aber vielleicht unschuldigen Mandanten keine. Und gerade die bräuchten sie am meisten.
Daher bin ich vorsichtig mit dem Ablehnen von Mandaten. Mein allererster Fall war die Verteidigung eines angeblichen Monsters. Herausgestellt hat sich am Ende, dass sie unschuldig war. Das hat mich sehr geprägt. Kein Mensch hätte der Mandantin auch nur die Uhrzeit gesagt, als sie angeklagt war. Zu abscheulich das Verbrechen. Nur mein Mentor hielt damals zu ihr. Er war von ihrer Unschuld überzeugt. Das war Charakterstärke.
Ach ja, da waren noch ein paar Fragen. Zumindest hier wo ich praktiziere darf ein Anwalt vor Gericht nicht lügen. Wenn mir also ein Mandant frei erzählt, er habe die Tat begangen, darf ich nicht im Gericht aufstehen und sagen er ist unschuldig. Auf die Art und Weise habe ich schon ein paar Mandanten verloren. Beweismaterial zu unterschlagen würde mich um meine Zulassung und ins Gefängnis bringen. Und so weiter. Wir dürfen uns nur im Rahmen der Gesetze bewegen.
Zum Schluss noch: Ja, in 90% meiner Fälle haben die Mandanten vermutlich die Tat begangen. Aber in 98% davon wiederum suchen sie auch gar nicht den Freispruch, sie wissen, dass es den nicht geben wird. Was sie wollen ist ein faires Verfahren und hoffentlich irgendwie ein Entgegenkommen des Staatsanwalts, eine Erleichterung der Strafe, Bewährung usw. Dabei helfe ich ihnen dann.
Und wo selbst das nichts nützt, besteht meine Aufgabe dann eben darin, der einzige Mensch zu sein, der noch mit ihnen redet, ausser dem Gefängnispfarrer. Und das hat dann mit Menschenwürde zu tun. Und hier gebe ich es ganz offen zu: hier wäre der Punkt, wo ich bei dem einen oder anderen dann auch sagen würde: sorry, ich bin dafür nicht der Richtige. Was Du getan hast steht mir zu sehr im Vordergrund. Ich bin kein Heiliger.
So. Wird man ja wohl noch mal sagen dürfen
:) :)