KATHLEEN ZELLNERS ENTGEGEN AUF DIE EINWENDUNGEN DER STAATSANWALTSCHAFT:
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PUNKT I:
Zellner beantragt das prozessrechtliche Argument der StA zurückzuweisen, da hier nicht anwendbar. Der Wisconsin Court of Appeals hat in seiner Entscheidung rechtsverbindlich angeordnet, dass der Vorwurf der Beweismittelvernichtung inhaltlich zu untersuchen ist. Die StA fordert also Richterin Sutkiewicz auf, diese Anordnung des übergeordneten Gerichts aktiv zu missachten. Dies wäre nur auf anderem Wege überhaupt zulässig, nämlich, wenn die die StA Revision gegen die Entscheidung des WCOA eingelegt hätte. Was nicht geschah.
Auf die inhaltlichen Vorwürfe geht die StA nicht ein, sie umgeht sie.
In diesem Fall ist das von der StA vorgebrachte Argument selbst prozessual unzulässig da judicial estoppel vorliegt. Nach den Gesetzen Wisconsins ist es Prozessparteien nicht erlaubt in ein und demselben Verfahren zu ein und demselben Sachverhalt unterschiedliche Haltungen einzunehmen, die einander zu 100% widersprechen und faktisch unvereinbar sind, wenn bereits von einer dieser Positionen profitiert worden ist. Judical estoppel soll verhindern, dass mit völlig beliebigen Positionen, im Sinne juristischer Taschenspielertricks jongliert werden kann.
Die StA hatte am 29. Januar 2019 noch argumentiert, dass Mr. Avery,
wenn er triftige Gründe aufzeigen könne, warum dies nicht früher erfolgt sei,
jeder Zeit, eine Wis.Stat 974.06 Motion einbringen könne. Ohne diese Gründe gehe der Appeal vor und müsse erst abgehandelt werden. Wenn Avery zeigen könne, weshalb er den Antrag nicht innerhalb der jetzt laufenden Revision einbringen konnte, wäre er, so die StA damals,
später nicht prozessual unzulässig. Mit dieser Begründung hatte die StA im Januar Erfolg, und der Antrag auf das Testen der Knochen, wurde zum damaligen Zeitpunkt abgelehnt.
Jetzt , wo die triftigen Gründe weit über Soll vorgebracht wurden, vollzieht die StA einen 180 Grad turn und behauptet das Gegenteil, nämlich Averys Motion sei prozessual unzulässig, da sie nicht vor dem WCOA eingebracht worden sei. Heißt: Die StA wirft Avery vor, nicht Schritte ergriffen zu haben, die sie selbst mit Erfolg bekämpft und verhindert hat.
Zellner führt aus
„Mr. Avery kann nicht einerseits die Verantwortung auferlegt werden zu zeigen, warum er das Argument nicht in einer vorherigen Wis.Stat 974.06 Motion eingebracht hat, und zugleich prozessual gehindert werden das zu tun, weil er es nicht während der Motion im laufenden Appeal eingebracht hat“Der Widerspruch ist eklatant und die justicial estoppel Regelung schließt die entsprechende Argumentation der StA als prozessrechtlich unzulässig aus.
PUNKT II:Die Behauptung der StA die Motion sei durch das Urteil State vs Escalona-Naranjo prozessual unzulässig wird zurückgewiesen. Zwar sagt dieses Urteil aus, dass keine Entlastung eines Beklagten mehr zulässig ist, wenn die entsprechenden Gründe final entschieden, aufgegeben oder nicht in vorherigen post conviction motions vorgebracht worden sind. Und zwar behauptet die StA Avery habe das Testen der Knochen nicht vorher eingebracht. Aber: Escalona-Naranjo legt aber auch fest, dass dies nur dann gilt, wenn nicht schwerwiegende Gründe dafür vorliegen, weshalb ein Grund nicht vorher bereits eingebracht worden ist.
Hier gibt es diesen Grund: Eine Verletzung der Rechte des Angeklagten durch die Vernichtung von Beweismitteln, die von derselben StA die jetzt dieses Argument vorbringt, aktiv vertuscht worden war (siehe auch Vorgänger-Motions, bzw. Vorgänger-Schreiben). Abgesehen davon, dass Avery hier nicht auf Beweismangel oder ineffektive rechtliche Vertretung plädiert hatte, wie es die StA zu framen versuchte, sondern hier die illegale Beweismittelvernichtung im Zentrum steht, die von Escalona –Naranjo komplett unberührt bleibt, gilt: Es ist illegitim zu argumentieren Avery hätte die Beschwerde über die Beweismittelvernichtung einbringen müssen, bevor der Verstoß überhaupt aufgedeckt und nachgewiesen wurde.
Weiterhin wird hingewiesen, dass die Aussage der StA, Avery habe den Polizeibericht von 2011 bereits vorher einbringen können, da er ihn schon besessen habe, eine vorsätzliche Falschbehauptung ist. Aus den bereits von Zellner eingereichten Belegen geht schon unzweifelhaft hervor, dass dieser Bericht seitens der StA nie übergeben worden ist und sogar vorsätzliche Täuschung und Manipulation von Dokumenten angewendet worden ist, um die Übergabe der Knochen zu verheimlichen (was unzweifelhaft zeigt, dass die Illegalität der Übergabe der StA bewusst gewesen sein muss). Zellner führt weiter aus, dass zu dem, in der Antwort der StA behaupteten Zeitpunkt, keine Übersendung des Berichts stattgefunden hat und belegt dies anhand mehrerer Exhibits sehr eindeutig.
Hier besteht keinerlei Zweifel dass die StA in ihrer vorliegenden Response Richterin Sutkiewicz absichtlich belogen hat.
Tatsächlich war die Beifügung dieses Berichts als Exhibit in der vorliegenden Response, April 2019, das erste Mal, dass die StA der Verteidigung diesen Bericht überhaupt hat offiziell zugehen lassen.
Zellner schreibt:
„Der Staat hat wiederholt Beweise verborgen und unterschlagen die mit der Herausgabe dieser Knochen in Zusammenhang stehen […] und Mr. Avery dann vorgeworfen, dass er die entsprechende Beschwerde nicht früher vorgebracht hat“PUNKT III: Das Argument der StA, dass Averys Einbringung unzulässig sei, da Younblood nur bei der Verletzung verfassungsmäßiger Rechte einbringbar sei und zu dem die Osborne Entscheidung des Supreme Courts festlege, dass ein Beklagter kein generelles Recht auf DNA Tests in der Post Conviction Phase habe, wird zurückgewiesen.
Erstens wurden hier Gesetze des Staates Wisconsin gebrochen, nach denen Avery diese Tests zugestanden hätten, ausdrücklich auch und besonders in der post conviction Phase (hierzu wird umfangreiche gerichtliche Präzedenz aus Wisconsin zitiert), und die absichtliche Verunmöglichung einer Verteidigungslinie durch gesetzwidrige Beweismittelvernichtung stellt einen Bruch der verfassungsmäßigen Rechte Averys nach Youngblood dar.
Zudem hebt Osborne die Gesetze von Wisconsin nicht auf. Tatsächlich ist Ostborne hier gar nicht anwendbar, da es sich hierbei um eine Bürgerrechtsklage und nicht um ein post-conviction proceeding gehandelt hatte, zudem waren in diesem anders gelagerten Fall keine Beweismittel vernichtet worden, der Staat hatte nur den Zugang zu ihnen verweigert. Tatsächlich verlor Osborne, nach Siegen vor den unteren Gerichten, letztlich vor dem Supreme Court, weil dessen rechtskonservativer Flügel unter Judge Scalia, die Auffassung vertrat, Osborne hätte seine Beschwerde zuerst bei den Circuit Courts seines Bundesstaates einbringen müssen.
Das war der Hauptablehnungsgrund.
Die StA argumentiert hier also letztlich, dass durch das Osborne-Urteil, das verlangt hatte, das solche Beschwerden in der post conviction Phase erst vor Circuit Courts vorgebracht werden müssten, das Vorbingen solcher Beschwerden Beschwerden in der post conviction Phase vor Circuit Courts generell unmöglich sei.
Ein komplett unsinniger Zirkelschluss.
PUNKT IV:Zellner führt aus, dass die StA zu Unrecht die Behauptung aufgestellt hat, dass Avery seinen Anspruch auf Entlastung unzureichend begründet habe, da er nicht nachgewiesen habe, dass die Knochen entweder erkennbar oder potential entlastend gewesen seien. Es wird darauf hingewiesen, dass die StA dazu irrigerweise denselben Maßstab, wie er für eine Dritt-Täter-These (etwa unter Denny) zutreffend gewesen wäre, angelegt hat.
Dieser Maßstab ist hier nicht anwendbar. Avery muss nicht beweisen, dass jemand anderes als er die Tat begangen hat, um gegen die Verletzung seiner Rechte durch die illegale Beweismittelvernichtung vorzugehen, er muss, so sagt es das verletzte Gesetz, belegen, weshalb die vernichteten Beweismittel potentiell entlastend gewesen wären und das Vertrauen in die Richtigkeit des Urteils erschüttert hätten.
Die StA hat bewusst oder aus Unfähigkeit den falschen Maßstab, aus dem falschen Sinnzusammenhang, angewendet um die Berechtigung der Begründung des Anspruchs anzufechten.
1. Natur des Knochenmaterials:
Zunächst wird hier korrigiert, dass die StA durchgängig die Knochen falsch bezeichnet, nämlich als vom Randant-Grundstück stammend, de facto stammen sie aus der Gravel Pit auf einem städtischen Grundstück der Gemeinde Manitowoc. Zweitens wird richtiggestellt dass alle nach Untersuchung der Leslie Eisenberg als menschlich klassifizierten Knochen übergeben und somit als Beweismittel zerstört worden sind. Die Behauptung es könne noch weitere möglicherweise menschliche Knochen in Polizeibesitz geben, ist, wie ausgeführt wird, nach den Unterlagen der Behörden wahrheitswidrig.
Zwei der unterzeichnenden Staatsanwälte, Fallon und Gahn, waren damals persönlich im Raum, als ausnahmslos alle menschlichen Knochen aus der Gravel Pit zur Übergabe an die Halbachs aussortiert worden waren. Sie leiteten diesen Vorgang.
Zellner stuft die Auffassung der StA nach der Avery nicht bewiesen habe, dass die Knochen, die laut Expertin der StA eindeutig menschlich waren und die auch genau deshalb zum Beerdigen aussortiert worden waren, menschlich gewesen seien, sei unaufrichtig und eine Verfälschung des von der Verteidigung vorgebrachten Arguments ein.
Es sei für die StA zu spät nun, auf einmal, nach 12 Jahren die Expertise der eigenen Expertin als unrichtig darstellen zu wollen.
Die konkrete mögliche Entlastung ergibt sich daraus, dass das Urteil gegen Avery in der massivsten Weise darauf fußt, dass die Leiche des Opfers auf Averys Grundstück gefunden wurde, nur dort und nirgendwo anders; ferner dass das Opfer zu Avery fuhr und niemals wieder weg. Kratz hat im Prozess vielfach in Abrede gestellt, dass irgendwelche Teile des Verbrechens außerhalb des Schrottplatzes stattgefunden hätten, Leslie Eisenberg stellte in Abrede, dass die Knochen jemals bewegt worden seien. Kratz hat mehrfach (weit über ein Dutzend mal allein im Plädoyer) darauf rekurriert, dass der Umstand, dass Leichenreste nur auf Averys Grundstück gefunden wurden, „den ganzen Fall“ darstelle.
Dieser Umstand, so er stimmte, wiese nur auf einen, einen einzigen Täter: Avery. Dass sich die gesamte Tat auf Averys Grundstück abgespielt habe, war das Grundfundament der Anklage und des Urteils, mit dem Kratz z.B. die Jury auch dazu gebracht hat, darüber hinwegzusehen, dass die Garage und das Schlafzimmer als Tatorte forensisch ausscheiden.
Zudem: Die Knochen in der städtischen Grube waren zeitnah mit Halbachs Überresten gefunden worden, in relativer örtlicher Nähe und waren als menschlich, weiblich und mit Schnittspuren klassifiziert worden. Da bei den Funden auf Averys Grundstück 60% des Knochenmaterials fehlten, ist ein Zusammenhang logisch anzunehmen.
Wenn diese Knochen von Halbach stammen sollten (de facto reicht das rechtlich aus), dann ergibt sich nicht nur ein völlig anderer, noch weitgehend unbekannter Tatablauf, der auch die Täterschaft anderer Personen außer Avery eröffnet, sondern auch eine andere, vielsagende Reihenfolge (!) der Abläufe.
Da der international renommierte Brandgutachter DeHaan Averys Feuergrube als primäre Verbrennungsstätte der Knochen mit wissenschaftlicher Sicherheut ausschließen konnte, muss die Verbrennung anderswo stattgefunden haben. Gerne wird vergessen, dass die Knochen aus der städtischen Grube Schnittspuren aufweisen, die in Averys Grube gefundenen jedoch NICHT.
Das bedeutet, wenn die Kochen von ein und demselben Körper stammen sollten, muss dieser Körper in der städtischen Grube zerteilt worden sein und DANN verbrannt – und das verlagert die Ermordung aus Averys Schrottplatz heraus. Und das lässt nicht nur Raum für einen anderen Täter, sondern führt zum logischen Problem, weshalb Avery diese Knochen danach noch zurück auf den Schrottplatz hinter sein Haus hätte legen sollen, und somit zu einem Täter der nicht Avery ist und diese Leichenteile absichtlich dort hingebracht hat.
2. Bad faith
KZ argumentiert, dass die StA vollumfänglich wusste dass die Herausgabe der Knochen unrechtmäßig und ungesetzlich war. Dadurch dass die Staatsanwaltschaft die Überreste nicht einfach so vernichtet hat, sondern Familie Halbach zum Beerdigen überließ, somit zum Ausdruck brachte, dass sie als sicher annahm (im Gegensatz zu dem was sie im Prozess behauptet hatte), dass die Knochen von Halbach stammen, räumte sie die Relevanz für den Fall selbst unmissverständlich ein. Demnach nahm sie an, musste sie annehmen, dass sie Beweiswert hatten. Demnach hätte sie wissen müssen, dass sie die Knochen unter 968.205(2) niemals hätte herausgeben dürfen, da sie selbst durch diese Handlung die Ansicht vertrat, dass das Material unter dieses Statut fällt.
Weiterhin gab es zusätzlich eine rechtlich verbindende gerichtliche Anordnung vom April 2007, von der die StA selbst die Auffassung vertrat, dass sie beinhaltete, dieses Knochenmaterial forensischen Tests zu unterziehen. Auch weist Zellner nach, dass bereits während des Prozesses, staatsanwaltliche Äußerungen fielen, die zeigten dass die StA selbst diese Knochen als unter 968.205(2) fallende Beweise, die zu präservieren seien, verstand.
In großer Deutlichkeit wird zurecht darauf verwiesen, dass
"Assistant Attorney General Fallon & Special Prosecutor Gahn, die beide die StA in dieser Angelegenheit vertreten, jene Staatsanwälte waren, die an der Herausgabe der Knochen aus der Mainitowoc Gravel Pit an die Familie Halbach beteiligt waren. Sie sind involvierte Parteien und ihr `bad faith“ ist hier in direkter Weise Thema dieses Falles. Ihr Protestieren und Leugnen muss daher als verdächtig betrachtet werden; das Gericht muss dezidiert prüfen, ob die von ihnen vorgebrachten Argumente selbst in gutem Glauben abgegeben worden sind oder nur simplem Selbstschutz dienen“
PUNKT V: Die Staatsanwaltschaft hat Wis.Stat. § 968.205 verletzt, da das herausgegebene und dadurch vernichtete Knochenmaterial nach dieser gesetzlichen Vorschrift hätte aufbewahrt werden müssen. Und die StA diese Material durch ihr eigenes Handeln eindeutig als unter dieses Gesetz fallend anerkannt hat. Selbst wenn eine biologische Identifikation – nun wohl verunmöglicht durch die illegale Herausgabe – noch nicht bestand, war der Beweiswert durch die relative örtliche Nähe zum Fundort der Reste eines Menschen desselben Geschlechts und Alters, von denen an diesem Fundort über 60% fehlten, eindeutig gegeben.
Der potentiell (!) entlastende Beweiswert war zwingend durch die sich, im Falle einer Identifikation der Knochen als Halbachs, ergebende Verlagerung des Mordgeschehens weg vom Avery-Grundstück , und die absolute Unvereinbarkeit eines Mordes außerhalb dieses Grundstücks, mit dem Narrativ der StA, gegeben.
Zurückgewiesen wird das Argument, Avery habe argumentiert, jedes Beweismittel aus einem Verfahren müsse präserviert werden, wogegen die StA sich wendete, da es sich um einen unsinnig und nicht praktizierbaren Standard handele. Eine solche Behauptung war seitens der Verteidigung nie aufgestellt worden, so dass die komplette Argumentationslinie der StA hier eine Themaverfehlung darstellt.
PUNKT VI: Das Argument der StA bezüglich des ANDE RAPID DNA Testings wird zurückgewiesen. Zellner legt nicht nur dar, dass die Staatsanwaltschaft sich ausschließlich veralteter, nicht mehr aktueller Quellen (zwei Jahre und älter) bediente, um eine angebliche Ungeeignetheit dieses Verfahrens für forensische Untersuchengen zu konstruieren; im Gegensatz zu den Behauptungen der StA ist das Verfahren mittlerweile umfangreich erprobt, peer reviewed, vom FBI und verschiedenen Bundesstaaten & Jurisdiktionen offiziell anerkannt worden und hat darüber hinaus , neben umfangreicher Nutzung in der Verbrechensbekämpfung, gerade im forensischen Bereich besonders gute Ergebnisse erzielt. Die Staatsanwaltschaft hat die massive Entwicklung dieser Technologie und deren weiträumige Akzeptanz als besonders hochwertig, in ihren Erläuterungen schlicht ignoriert.