18.11.2015 - shz
Auf den Tag genau ein Jahr nach dem grausamen Doppelmord von Haale haben die Verteidiger des mutmaßlichen Täters am Ende des fünften Verhandlungstages gestern vor dem Landgericht Kiel für zwei handfeste Überraschungen gesorgt: Zunächst kam es zu einem Eklat, weil die beiden Anwälte Zeugen noch einmal vorladen wollen, die bereits in der vergangenen Woche gehört wurden. Richter Jörg Brommann zeigte sich „sehr irritiert“ über diesen Winkelzug. Darüber hinaus brachten die Verteidiger einen weiteren Zeugen ins Spiel. Der soll bestätigen, dass der Angeklagte Dennis N. (29) die Morde nicht begangen haben kann.
Am 18. November 2014 wurden Regina F. (57) und ihre Mutter Inge S. (83) im Stall ihres Pferdehofs in Haale mit einem Messer und einer Pistole getötet. Um die Tat zu vertuschen, wurden die Leichen mit Benzin und Stroh überschüttet und angezündet. Schnell geriet Dennis N. aus Beringstedt den Fokus der Ermittler. Er hatte Regina F. einen Ersatz für ihren defekten VW-Bus besorgen sollen und dafür bereits 7900 Euro erhalten – lieferte aber nicht. Aus diesem Streit heraus soll der verschuldete Mann die Taten begangen haben. Der Angeklagte schweigt weiterhin.
Mit ihren Anträgen, drei bereits am zweiten Verhandlungstag vernommene Zeugen erneut zu laden, brachten die Anwälte Christian Schumacher und Kai Wohlschläger den vorsitzenden Richter Jörg Brommann regelrecht auf die Palme. Es handelt sich um Gäste einer Geburtstagsfeier in der Nähe des Pferdehofs, die dort am Tatabend zwischen 20.15 Uhr und kurz vor 21 Uhr unabhängig voneinander vorbeifuhren. „Die Anträge irritieren mich. Alle Zeugen sind doch schon vernommen worden“, sagte Brommann ärgerlich. „Was soll das? Wir machen hier keinen Firlefanz“, ermahnte er die Verteidiger. Auf Schumanns Erklärung, dass er die erneute Anhörung für sinnvoll hält, um die zeitliche Abfolge noch einmal genau darzustellen, antwortete Brommann: „Das macht mich fassungslos, ich verstehe es nicht.“ Staatsanwalt Thorsten Holleck wies darauf hin, dass bereits gestellte Fragen an die Zeugen nicht zulässig seien. „Wir wissen, dass die Rekonstruktion der Beweisaufnahme unzulässig ist“, sagte Schumacher. Er und sein Partner wollten jedoch sichergehen, dass alle Aussagen richtig verstanden worden sind. Sie wollen offenbar mit einer minutiösen Beweisführung belegen, dass Dennis N. als Täter nicht in Frage kommt. Dazu beantragen sie, einen zusätzlichen Zeugen zu vernehmen. Der Mann aus Neumünster will gemeinsam mit Dennis N. und einer weiteren Person am Abend der Tat in der Werkstatt in Beringstedt gewesen sein, und zwar bis 20.45 Uhr. Für die 8,7 Kilometer lange Strecke bis zum Pferdehof in Haale brauche man mindestens zwölf Minuten, führte Kai Wohlschläger dazu aus. Sein Mandant hätte also frühestens um 20.57 Uhr dort sein können. Da der Brand jedoch schon um kurz nach 21 Uhr gemeldet wurde, scheide die Täterschaft von Dennis N. aus. Denn: Die Mischung aus Benzin und Stroh, die im Stall gebrannt hat, habe erst nach mindestens zehn, aber höchstens 25 Minuten so viel Rauch entwickeln können, dass der von außen gesehen werden konnte. Das hatte die Befragung eines Feuerwehrmanns bereits ergeben. Die Verteidiger schlossen eine frühere Tat, also zwischen 19 und 20.35 Uhr, ebenfalls aus, da keiner der befragten Geburtstagsgäste ein Feuer bemerkt hatte.
Mit dem gleichen Zeugen will die Verteidigung zudem nachweisen, dass Dennis N. keineswegs unter finanziellem Druck stand. Das Gegenteil war gestern jedoch in mehreren Befragungen deutlich geworden. Mit einem Versicherungsbetrug und durch Hehlerei wollte er sich offenbar Luft verschaffen. Laut Verteidigung passe das Mordmotiv Habgier nicht, da sich Dennis N. jederzeit Geld von dem Zeugen hätten leihen können, um die Anzahlung für den VW-Bus an Regina F. zurückzugeben.
Ob die Zeugen geladen werden, ist noch offen. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Nebenklage behalten sich vor, zu den jüngsten Anträgen Stellung zu nehmen. Der Prozess wird am Freitag, 27. November, um 14 Uhr fortgesetzt.
http://www.shz.de/lokales/landeszeitung/anwaelte-bringen-richter-im-mordprozess-auf-die-palme-id11257927.html (Archiv-Version vom 21.11.2015)