Mordfall Dagmar E. (58) aus Dinslaken
13.01.2016 um 16:35
Prozesstag 4, Beginn 10:10 Uhr, Ende 14:00 (keine Mittagspause)
Von 10:10 Uhr bis 10:30 Uhr verkündete der Richter einige organisatorische Dinge zum weiteren Prozessverlauf.
Zeugenumladungen etc. Er kündigte an, dass es einen neuen „Zeugen“ im Fall gibt. Hierbei handelt es sich um einen Inhaftierten, der neben oder mit einem der Angeklagten zusammen im Vollzug sitzt und etwas erfahren habe, was vielleicht helfen könnte. Der Richter betonte ausdrücklich, dass solche Vorkommnisse häufiger geschehen. Zumeist nutzen Inhaftierte diese Möglichkeit, um einen Vorteil für sich selbst zu schaffen und es müsse zunächst geprüft werden, ob die Angaben des neuen Zeugen valide sind, oder ob es eben nur heiße Luft ist. Der Richter betonte weiterhin in Richtung Staatsanwaltschaft und Verteidigern, dass die Aussage des Mannes mit äußerster Vorsicht zu genießen sei.
Der Richter kennt den derzeit inhaftierten Zeugen und hat ihn vor einigen Jahren bereits schon einmal zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilen müssen. Eine erste Anhörung des Zeugen durch die Staatsanwaltschaft ist bereits erfolgt und der Richter hält es für wahrscheinlich, dass der den derzeit Inhaftierten als Zeugen vorladen wird. Aus ermittlungstechnischen Gründen wurde die Zeugenvernehmung des Hauptermittlers, die am heutigen Tage stattfinden sollte, verschoben.
Dann verkündete der Richter, dass sich der mittlere Bruder nach wie vor weder zu seiner Person noch zur Sache äußern will. Er sprach den Jugendbeistand an und teilte ihm mit, dass dieser in einer der nächsten Sitzungen als Zeuge aussagen muss. Hierbei wird er letztlich nur Aussagen zur Person des mittleren Bruders machen können.
Ab 10:30 Uhr-11:30 Uhr erfolgte dann die Verlesung der Einlassung zur Sache des ältesten Bruders durch einen der beiden Anwälte (es ist immer noch der Pflichtverteidiger anwesend, aber auch der Wahlverteidiger. Letzterer hat die Einlassung vorgelesen).
Die Einlassung beginnt mit der Geburt des Ältesten. Im Alter von 2 Jahren wurde er im Bürgerkrieg in Äthiopien durch das Feuer aus einer Maschinenpistole am Arm schwer verletzt. Dieser Arm ist stark vernarbt und der Angeklagte hat auch heute noch Bewegungseinschränkungen an diesem Arm. Die Schullaufbahn wurde angesprochen, der Wechsel nach Deutschland und das, was seit dem hier passiert ist. Schule, Ausbildung zum Koch etc. Beim Fußballspielen in Deutschland bekam er mal einen Stein ins Auge, die daraus resultierende notwendige Operation wurde nicht gemacht, seit dem ist er auf einem Auge blind.
Danach wurde über das Kennenlernen mit dem Sohn berichtet, später dann auch das von Dagmar, das Heranwachsen der Freundschaft usw. Intime Dinge wurden auch hier hinterfragt. Die Ausführungen dazu erspare ich mir allerdings.
Weiters wurde über den Kredit gesprochen, den Dagmar ihm gewährt hat. Hierzu wird verlesen, dass die geleisteten Rückzahlungen als Betriebsausgaben für seinen Kiosk in den Betriebsbüchern vermerkt seien. Dies könne sein Steuerberater oder aber auch sein Vater bestätigen. Es wurde verlesen, dass der Angeklagte einen schriftlichen Darlehensvertrag mit Dagmar abgeschlossen hatte. Er habe lediglich einmal nicht gezahlt, weil er es da nicht gekonnt hat. Dagmar hatte ihm aber bei Abschluss des Kredites mehrfach gesagt, dass es kein Problem für sie sei, wenn er mal die ein o9der andere Rate nicht sofort zurückzahlen würde. Die letzte Rate hat er ihr nicht überwiesen, sondern sie dem Sohn persönlich gegeben, damit er das Geld seiner Mutter weiter geben kann.
Zur Sache sagte die Verlesung, dass der Älteste in keinster Art und Weise an der Tat beteiligt ist und zu keiner Zeit jemanden dazu angestiftet habe. In der Tatnacht habe er erst davon erfahren, als seine Brüder und der Sohn in seine Wohnung kamen. Allesamt vollkommen verdreckt. Der Älteste fragte, wo sie gewesen seien und warum sie so dreckig sind. Der Jüngste habe ihm darauf geantwortet, dass er das bitte den Sohn fragen solle. Der habe zunächst rumgedruckst, dann aber unter Schreien erzählt, dass er seine Mutter umgebracht habe und die Brüder bei der Entsorgung des Leichnams geholfen hätten. Der Älteste konnte es nicht verstehen und war selbst äußerst ungehalten. Alle von ihm durchgeführten Tätigkeiten nach dem Mord, sämtliche Falschaussagen bei der Polizei etc. habe er ausschließlich zum Schutz seiner Brüder gemacht, da diese keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und ein Ausweisen aus Deutschland die sofortige Folge wäre. Nach dem er das alles erfahren hat, habe er sich in der Nacht erst mal zugekifft. Am nächsten Tag habe er aber einen Spaten und eine kleine Gardena-Schüppe gereinigt, weil der Sohn ihn darum gebeten hat und da er Mitwisser sei und seine Brüder schützen wolle, habe er es getan.
Zum Thema Drogen wurde verkündet, dass der Älteste Drogen nimmt und auch mehrfach mit dem Sohn nach Holland gefahren ist, um Drogen zu kaufen. Die Häufigkeit und Menge die der Sohn angibt, ist aber falsch. Der Älteste bedauert den Tod von Dagmar sehr weil er sie mochte.
Wie angesprochen, dauerte die Verlesung ne‘ Stunde. Vieles davon war nicht von Bedeutung für die eigentliche Tat. Daher möchte ich es auch dabei belassen. Sollte innerhalb einer Diskussion eine Frage aufkommen, die ich mit Inhalten aus der Verlesung beantworten kann, so werde ich das gern tun.
Danach hatten Nebenkläger, Staatsanwälte und auch der Richter noch einige Fragen an den Sohn und an den jüngsten Bruder. Hierbei ging es vornehmlich um Verständnisfragen zu den Aussagen, die sie bei den vorhergehenden Verhandlungen getätigt haben. Es ging auch darum, bestimmte Zeiten einzugrenzen, in denen in Dagmars Wohnung der Mord passierte, Dean Martin Classic oder Reggae-Version war Thema und noch so einiges. Der Staatsanwalt machte den Richter zum Schluss noch darauf aufmerksam, dass eine Vielzahl der Passagen innerhalb der Verlesung der Einlassung des ältesten Bruders absolut wortgetreue Kopien der Vernehmungsprotokolle der Polizei sind. Hierzu zählte er die entsprechenden Seiten beispielhaft aber unvollständig an.
Dann gab es eine kurze Pause, bevor der Rechtsmediziner ausgesagt hat. Die Pause diente dazu, dass vorn beim Richter Fotos ausgebreitet wurden, die das Auffinden von Dagmars Leiche zeigten, dann Bilder von der -ich nenne es jetzt mal- dreckigen Leiche in der Rechtsmedizin und dann von der gesäuberten Leiche in der Rechtsmedizin. Dann Detailfotos von Auffälligkeiten. Dies war später selbstverständlich NICHT für Zuhörer zugänglich.
Nach der Pause versammelten sich dann die Verteidiger und Staatsanwälte um den Richtertisch und der Rechtsmediziner erläuterte, was zu sehen ist. Da es am anderen Ende des Saales war, konnte man das zunächst nur bruchstückhaft verstehen. Das Ganze dauert ca. 15 Minuten und alle gingen wieder auf die Plätze. Der Rechtsmediziner ging in den Zeugensitz und wiederholte dann für alle, was vorher im kleinen Kreis besprochen wurde.
Dagmars Leichnam war zwar extrem verfault, dennoch konnte man problemlos einige Auffälligkeiten feststellen, die Hinweise auf die Tat geben. Ich fange dann mal an, bitte entschuldigt, wenn ich vielleicht nicht alle medizinisch korekten Begriffe behalten habe.
Da der Körper sich eben in einem weit fortgeschrittenen Verwesungsstadium befunden hat, bediente sich die Rechtsmedizin der Milz. Die scheint immer am längsten und verlässlichsten, Aussagen zuzulassen. Dagmar hatte zum Zeitpunkt der Obduktion einen Alkoholgehalt von 0,59 Promille. Dieser kann real leicht nach oben oder unten abweichen, da bestimmte Fäulniserreger den Alkoholgehalt erhöhen oder erniedrigen können. Innerhalb der Vernehmung der Angeklagten wurde mehrfach erwähnt, dass Dagmar 2 Gläser Wein getrunken habe.
Der Rechtsmediziner führte dann zum allgemeinen Gesundheitszustand aus. Dagmar war gesund, keinerlei Anzeichen schwerer Erkrankungen etc. Medikamente, Drogen, Opiate, eben alles was in die Kategorie fällt, wurden in Dagmars Leichnam nicht nachgewiesen. Hier hakte der Richter direkt ein und sprach die Schlaftabletten an, die ja in der Aussage des jüngsten Bruders eine Rolle gespielt haben. Der Rechtsmediziner führte dazu aus, dass Dagmars Körper aufgrund des Mordes einer refraktoskopischen Untersuchung unterzogen wurde. Dies nicht nur auf einige wenige Mittel, sondern auf die übliche (scheinbar recht große Komplett-)Datenbank an Medikamenten etc.
Es handelte sich um eine äußerst komplexe und langwierige Untersuchung. Der Doc führt weiter aus, dass Medikamente etc in einer für den Körper betäubenden oder gar tödlichen Dosis nicht vorhanden sind. Dies wäre in jedem Fall nachweisbar, und überhaupt schon nach einer so kurzen Liegedauer von 7 Monaten. Er sagte, dass bei Exhumierungen dieser Nachweis noch nach 10 Jahren erbracht werden könne. Der Mediziner sagte weiterhin, dass er natürlich nicht ausschließen kann, dass Dagmar Medikament genommen hat, dies aber keinesfalls in einer für ihren Körper gefährlichen Dosis.
Er machte auch darauf aufmerksam, dass Medikamente wie z.B. Schlaftabletten heutzutage je Tablette mit einer (je nach Medikament unterschiedlichen) Dosis „Reizstoff“ versetzt sind. Dieser Reizstoff (ich habe den verwendeten Fachbegriff vergessen) ist innerhalb der empfohlenen Tagesdosis nicht zu bemerken und unschädlich. Nimmt man aber eine größere Menge des Medikamentes um sich zu betäuben oder andere zu töten, so sorgt die Summe dieses Stoffes aus allen Tabletten dafür, dass die Person die es schluckt, sich erbrechen muß, um den Körper zu schützen !
Danach berichtete der Doc zu Merkmalen, die er an Dagmars Leichnam feststellen konnte. Dies seien zum einen diverse postmortale Verletzungen, also Spuren, die nach ihrem Tod aufgetreten sind (z.B. beim Leichentransport, verpacken, vergraben etc.).
Er kam dann zu den Spuren, die während des Mordes mit hoher Wahrscheinlichkeit hinterlassen wurden.
Zum einen fand er in Dagmars Lunge sehr leichte Blutablagerungen. Diesen waren nicht tödlich, deuten aber darauf hin, dass Dagmar kurz vor ihrem Tod leichte Verletzungen im Mundraum oder in der Nasenschleimhaut gehabt haben muss. Dieses Blut habe sie dann eingeatmet. Es war aber nicht ansatzweise tödlich. Es deute aufgrund seiner langjährigen Erfahrung aber darauf hin, dass ihr Mund und Nase zugehalten worden sein könnte.
Dann berichtete der Doc von sog. mortalen Widerlagerverletzungen, die u.a. in Dagmars Oberkörperbereich und zwar auf dem Rücken zu finden waren. Hierbei handelt es sich um größerflächig blutunterlaufene Körperteile, die dadurch entstehen, wenn eine Person beispielsweise auf dem harten Boden liegt und eine Kraft von oben aufgebracht wird.
Weiterhin berichtete der Doc von kleinen Einschnittstellen auf der linken und rechten Halsseite von Dagmar. Diese stammen von einem Strangulierwerkzeug (Seil, Strumpf…eben irgendwas, womit man jemanden stranguliert). Ob das Strangulieren von vorn oder hinten erfolgte (Frage der Verteidigung) konnte der Doc nicht sagen.
Stumpfe Gewalt gegen Dagmars Hals oder Kehlkopf (=erdrosseln/erwürgen) ist auszuschließen.
Ob Dagmars Tod durch das Zuhalten von Mund und Nase eingetreten ist, oder aber durch das Strangulieren, das ließ sich nicht mehr feststellen. Beides wurde ihr jedoch angetan.
Der Richter fragte dann weiter zum Gewicht von Dagmars Leiche und zu seiner Prognose, welches Gewicht sie zu Lebzeiten gehabt haben könnte. Der Doc legte sich nicht konkret fest. Die Leiche wog 50 kg und man könne davon ausgehen, dass sie vielleicht 2 kg mehr gewogen hat, als sie noch lebte.
Der Richter wollte dann wissen, ob ein Mensch allein diese Tat mit dem vom Doc beschriebenen Körpermerkmalen durchführen könne. Der Doc sagte, dass grundsätzlich alles möglich ist, es dazu aber schon einer sehr kräftigen Person bedürfe. Er hält es für deutlich wahrscheinlicher, dass die Tat von mindestens 2 Personen begangen worden ist.
Der Richter forderte den Sohn auf, aufzustehen.
Er hatte heute wieder dieselben schmuddeligen Sachen an, wie schon an den ersten 3 Tagen, war zusätzlich in einen olivgrünen NATO-Parker gehüllt. Der Richter forderte den Sohn auf, sich den Parker auszuziehen, was der Sohn auch tat. Als er sich den Pulli auch noch ausziehen wollte, stoppte ihn der Richter…. Dieser wollte vom Doc wissen, ob er es für wahrscheinlich hält, dass eine Person von der Körperausprägung des Sohnes seines Erachtens in der Lage wäre, diesen Mord allein begangen zu haben. Der Rechtsmediziner verwies auf seine vorher getätigte Aussage….nichts ist unmöglich, für ihn ist es eben aufgrund seiner Erfahrung deutlich wahrscheinlicher, dass die Tat von mindestens 2 Tätern begangen wurde.
Manno-Mann, ich bin schon wieder bei 3,5 Word-Seiten….ich werde jetzt erst mal schließen….muss auch noch bügeln….
Danach ging es dann noch um allgemeinforensische Fragen…Leichenstarre ab wann, kann man einen Körper bei vollausgebildeter Leichenstarre an die Wand stellen ohne dass er umkippt und sowas.
Auf Basis der Aussage des Rechtsmediziners ist für mich die Schlaftabletten-Wohnzimmerversion des jüngsten Bruders erst mal hinfällig.
Grüße, fürdiesenfall