Ungeklärt: Der Mord an Fritz Schmidt in Oberaltertheim
12.07.2015 um 14:34
Etwas OT, aber nicht ganz,
"literarische" Beschreibung (Filmfall Review) der XY Sendung über unseren Fall
vom Poster "Tatort" beim XY Forum
http://azxy.communityhost.de/t955554492f354157108-Aus-der-XY-Gefriertruhe-Filmfall-Review-XY-Sendung-vom-Januar-FF-Kripo-Wuerzburg-FEUERWEHRFEST-AUTOFALLE.htm
Diesmal widmen wir uns dem Jahr 1983 und seiner Januarsendung. Selbige konnte ich damals aus Gründen des zarten Alters (knapp 5) leider nicht live sehen, konnte das 21 Jahre später aber Gott sei Dank nachholen – handelte es sich doch um eine Sendung, die mit einem der wahrscheinlich unheimlichsten und mysteriösesten Mordfälle der XY-Geschichte begann. Die Gegensätze prallen hier ziemlich krass aufeinander: Ein junger Mann wird auf brutale Weise ermordet, und das für eine Beute von recht zweifelhaftem Wert: ein Einwegfeuerzeug, eine angebrochene Schachtel Lord Extra und ein Fünfzigmarkschein. Aber beginnen wir nun einfach unseren Streifzug durch das ländliche Unterfranken, Bestandteil des ausgedehnten ländlichen Zuständigkeitsbereiches der Kripo Würzburg…
DER FALL:
Vor einem idyllischen Screen berichtet Ede bei seiner Einleitung davon, dass die besagte Gegend bis dato glücklicherweise weitgehend vom Verbrechen verschont geblieben sei. Dialektische Konsequenz: Wenn dort einmal etwas Schwerkriminelles passiere, beschäftige es die Menschen natürlich weit mehr als in einer Großstadt, wo die Kriminalität viel mehr zum Alltag gehöre.
Schon der Beginn des Filmes zeigt ein kongeniales Zusammenspiel der Faktoren Grimm und Kiessling: Während die Kamera an einem trüben Drehtag durch die kleine fränkische Gemeinde Oberaltertheim (ca. 15 km von Würzburg entfernt) schwenkt, ertönt ein Spannungsthema, das auf geniale Weise subtil ist und leider nur sehr selten eingesetzt wurde: Jene gespenstische Flöten-Vibraphon-Musik, die auch in der Sendung 7/75 bei dem mysteriösen Mordfall Ursula J. während der Zwei-PKW-Fahrt durch den Schwarzwald eingesetzt wurde. Acht Jahre später erfolgt der Einsatz dieses Themas m. E. allerdings noch passender. Während Wolfgang das Dorf Oberaltertheim als typisches verschlafenes 920-Seelen-Kaff mit mittelalterlichem Ortsbild und gut funktionierender Mund-zu-Mund-Propagandastruktur präsentiert, beschreiben Musik und Bilder auf eigene Weise den trügerischen Charakter der vermeintlichen Idylle.
Der Zuschauer wird im Anschluss mit dem gesellschaftlichen Mittelpunkt von Oberaltertheim bekannt gemacht, der Gaststätte „Zum Goldenen Löwen“. Hier ist am Sonntag, dem 4. Juli 1982 relativ wenig los. Außer ein paar auswärtigen Gästen, die zum Bier kollektiv Wiener Schnitzel bestellen, halten sich nur wenig Einheimische in dem Lokal auf. Die meisten von ihnen sind nämlich auf dem Feuerwehrfest, das im benachbarten Steinbach stattfindet. Zu den nachträglich Eingebürgerten unter ihnen zählt die 25-jährige Carmen S., die aus Hamburg stammt und seit zwei Jahren in Oberaltertheim lebt. Das Besondere daran: Carmen S. ist gar nicht das spätere Mordopfer, sondern dessen Frau. Interessanterweise wird sie dem Zuschauer aber als erste vorgestellt. Das Opfer in Gestalt des 26-jährigen Maurergesellen Fritz S. betritt kurz darauf das Lokal. Er ist Mitglied der freiwilligen Feuerwehr und will natürlich auch das Fest im Nachbarort besuchen. Dafür braucht er allerdings Geld, das er seiner Servietten zurechtlegenden Frau abschwatzt. Sie reicht es ihm mit einer klaren Ermahnung, die Sauferei in Grenzen zu halten: „Hier, ´n Fuffziger hab´ich. Musst´n ja nich gleich vajubeln, nech…“ Also, lange Rede kurzer Sinn: Dafür, dass Fritzens Carmen aus Hamburg stammt, klingt sie verdächtig berlinerisch. Mich verarschst Du nicht, mein seliger Kurt, mich nicht! Jedenfalls verspricht Männe ihr, zum Abendessen wieder zu Hause zu sein. Und den Fünfziger brauche er wahrscheinlich eh nur als Reserve – eine Prognose, die später von der Kripo bestätigt werden wird. Mit dem zusätzlichen Taschengeld und einer weiteren antialkoholischen Ermahnung des Wirtes („Schau ned zu tief in´n Krug ´nein, sonst find´st nimmer heim!“) macht sich Fritz S. dann auf den Weg.
Kurz nach 21 Uhr ist auch ein Ehepaar aus Kist bei Würzburg zum Feuerwehrfest unterwegs, und zwar in einem Mercedes, dessen ätzendes Lila so manchen Pink Cadillac aus den Fünfzigern alt aussehen lässt. Die beiden sehen auf ihrem Weg einen einsamen Wanderfreak, den niemand in der Gegend kennt und der sich genau auf jenen Ort zubewegt, in dem in der darauf folgenden Nacht ein Verbrechen stattfindet.
Zur gleichen Zeit sitzt Fritz S. mit seiner Frau beim Abendessen. In der Glotze läuft im Rahmen der 82er Fußball-WM in Spanien die Begegnung Polen-UdSSR. Das junge Ehepaar verfolgt das Spiel jedoch nur mit mäßigem Interesse. Ob es nun tatsächlich ein langweiliges oder spannendes Spiel war, kann ich als bekennender Fußballbanause nicht beurteilen. Also - fragt Entlauber, vielleicht weiß der mehr darüber ;-) Nach dem Essen jedenfalls zündet sich das spätere Mord- und dadurch verschont gebliebene Krebsopfer erstmal eine zollfreie Lord Extra ohne Steuerbanderole an, und zwar mir einem Werbefeuerzeug aus dem Goldenen Löwen.
Gegen 22 Uhr ist dann der Bruder von Bud Spencer mit dem Auto auf der Landstraße in der Nähe von Oberaltertheim unterwegs. Hier macht er eine Beobachtung, die ihn sogar zur Benachrichtigung der Polizei veranlasst: Er sieht einen Wagen am Straßenrand stehen und davor eine leblose Person. Der Autofahrer scheint jedoch die XY-Sendung vom 12. September 1975 noch in guter Erinnerung zu haben: Aufgrund der unübersichtlichen Situation denkt er sofort an eine Autofalle und wagt nicht zu halten. Er beschließt jedoch, bei nächster Gelegenheit Hilfe zu holen. Aufgrund des noch nicht erfundenen Handys muss er hierzu im nahe gelegenen Gerchsheim das Gasthaus „Zum Goldenen Lamm“ aufsuchen. (Wie viele goldene Viecher in der Rolle des gastronomischen Namenspatrons gibt es in der Gegend eigentlich? Das Gasthaus „Zum Goldenen Kalb“ ist wahrscheinlich schon vor Jahren wegen Ketzereiverdachtes geschlossen worden…) Buddys Bruder, dem es sichtlich pressiert, stürmt in das Goldene Lamm und berichtet dem bärtigen, pfeifeschmauchenden Wirt und einer ob des überfallartigen Auftretens ziemlich verdutzten Kartenzockerrunde in wasserfallartiger Manier von seiner Beobachtung. Mit der Bitte an den Wirt, doch selbst die Polizei zu informieren, entschwindet er dann auch schon wieder. Der gemütliche Wirt greift zum Telefon und fränkelt den Bericht des Autofahrers sogleich an die Polizei weiter. Die schickt kurz darauf eine Streife zu der fraglichen Stelle an der Landstraße, aber – niente! Zunächst glauben die Streifenbeamten an zeugenseitige Halluzinationen. Als sie aber am nächsten Tag von dem Verbrechen erfahren, scheint ihnen der Gedanke an eine Autofalle, die eventuell für die Gäste des Feuerwehrfestes aufgestellt worden war, nicht mehr so abwegig.
Gegen 23 Uhr machen Carmen und Fritz S. dann noch einen kleinen Spaziergang durch den Ort. Während die beiden sich noch einen Glimmstengel genehmigen, erscheint wieder der lila Mercedes, an dem Kurt wohl damals irgendwie einen Narren gefressen haben musste. Dem Fond des Wagens entsteigt der ebenfalls vom Feuerwehrfest kommende kleine, hutzelige Nachbar von Carmen und Fritz S., der die beiden mit einem waaahnsinnig natürlich wirkenden Lacher begrüßt. Nach zwei, drei Sätzen Smalltalk verabschiedet er sich dann in sein Haus. Fritz S. schickt daraufhin seine Frau nach Hause und sagt ihr, er selbst müsse noch etwas holen, komme aber gleich nach. Die Szene, die wieder vom unheimlichen Flötengesäusel untermalt wird, ist auf eine geniale Art unheimlich inszeniert. Beschreiben kann ich das unheimliche Schlussbild wohl am besten, wenn ich an dieser Stelle einfach den Original-Wolfgangtext dazu zitiere: „Bis heute weiß Carmen S. nicht, wohin ihr Mann an diesem Abend noch gegangen ist, was er noch holen wollte. Sie beobachtet in dieser Nacht noch, dass er die Straße überquert. Es ist das letzte Mal, dass sie ihn lebend sieht.“
Ein Ehepaar, das in dieser Nacht ebenfalls vom Steinbacher Feuerwehrfest kommt, hat gegen Mitternacht ein seltsames Erlebnis. Ein heller Kleinbus fährt auf dem Feldweg von Steinbach nach Oberaltertheim an ihnen vorbei, und der Fahrer schaltet plötzlich das Licht aus, so als ob er nicht will, dass man sein Kennzeichen abliest.
Fritz S. wird am nächsten Morgen gegen 7 Uhr hinter einem Holzstapel neben besagtem Feldweg gefunden, ermordet mit über 30 Messerstichen. Interessant an dieser Szene: Es wird nicht etwa in der XY-typischen Machart gezeigt, wie ein Landwirt oder Forstarbeiter zufällig die Leiche findet, sondern die Kamera schwenkt nach der Wischblende mit Cliffhangermusik langsam auf den Toten. Damit endet der Film, und Ede berichtet zur Empörung des Zuschauers darüber, dass der Täter das Opfer auch noch beraubt hat, nämlich um den Fünfzigmarkschein, die Zigaretten und das Feuerzeug.
DÉJÀ VU…OU PAS?
Tja, diesmal bin ich mir wirklich nicht ganz sicher. Taucht der Darsteller des Opfers im Mai 1988 in der Gruppe von Männern auf, von denen sich der Kaffeefahrtenmoderator Gustav R. in der Raststätte Hollenstedt begleiten lassen musste? Und ist die Darstellerin der Opfergattin etwa identisch mit jener der Tierärztin Karen O. im Juni 1984? Ich kann´s wirklich nicht mit Sicherheit sagen. Schreibt doch mal, wie ihr darüber denkt!
FAZIT:
Der Film lebt wie kaum ein anderer von der Atmosphäre, die großartig umgesetzt ist. Mithilfe der Flötenmusik gelingt es Kurt, selbst die harmlosesten Tagszenen unheimlich wirken zu lassen. Allerdings merkt man an Fällen wie diesem auch immer wieder, dass kaum eine Inszenierung an den Gruselfaktor heranreicht, welchen das Leben selbst schafft, eben die mysteriöse Geschichte an sich. Wahnsinn, wie viele Spekulatiustüten man in diesem Fall aufmachen kann! Hatte das Opfer vielleicht ein nächtliches Rendezvous mit einer heimlichen Geliebten und ist auf dem Weg dahin zufällig in irgendeine (Auto)todesfalle getappt? Oder hatte er gar ohne Wissen seiner Frau irgendwelche krummen Geschäfte betrieben, sich nachts mit Partnern getroffen und ist dann mit denen in Streit geraten? Wer weiß. Fest steht jedenfalls, das es Kurt mit diesem Film geschafft hat, mit geringem Budget (besonders teuer kann der Dreh eigentlich nicht gewesen sein…) ein atmosphärisch erstklassiges Meisterstück abzuliefern. Ich jedenfalls bin ebenso wie Hans Rosenthal der Meinung: Das war Spitze!