@Sidhe der Biochemiker Erwin Chargaff gab einmal ein Interview, das auch den Herrschaften aus der Richtung der (Molekular)-Biologie hier zu denken geben könnte....
( Quelle:
http://www.gazette.de/Archiv/Gazette-27-August2000/Interview.html#Chargaff)
""Es ist geglückt, die "Heloten" sind fertig mit der Arbeit, das
menschliche Genom ist in seiner ganzen Sequenz so gut wie entziffert.
Ich bin natürlich voller Bewunderung. Es ist auch eine herrliche
Leistung, vom Mount Everest abzustürzen, vorausgesetzt, dass man
selber hinaufklettert. Wenn man sich aber vom Flugzeug hinbringen
lässt und sofort abstürzt, ist das eine lächerliche Katastrophe. Und
dann frage ich mich: Waren die auf dem Mount Everest? Ist das
wirklich eine großartige Leistung? Ich bin reiner Biologe. Bei uns
hat immer als unumstößliche Wahrheit gegolten, dass nichts richtig
ist, wenn es nicht wiederholbar ist und wiederholt wurde von anderer
Seite. Das Malheur mit der Wissenschaft besteht heute darin, dass die
Versuche so kompliziert geworden sind, dass fast niemand mehr
irgendetwas wiederholt. Ist also das, was da publiziert wird, im
wissenschaftlichen Sinne wahr? Es ist fast unmöglich, das
festzustellen. Es gibt kein menschliches Auge, das eine Milliarde
Punkterln vergleichen könnte...."
"Sind Sie vielleicht weniger Wissenschaftler und eher Mystiker?
Von dem, was ich in der Molekularbiologie erlebt habe, war ich so
angewidert, dass ich 1974 ganz gern in Pension gegangen bin. Ich habe
mich zurückgezogen. Ich habe meine Muttersprache nie verlassen, aber
ich habe erst mit 73 zu schreiben begonnen. Vorher habe ich lange
Jahre Gedichte geschrieben, dann aber wieder alles vernichtet.
Im "Faust" steht ein Satz, der die jetzige Diskussion aufs Schönste
zusammenfasst. "Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen."
Ist nicht diese Wissbegierde der Motor des Fortschritts?
Ich bin gegen den Fortschritt. Ich leugne, dass es ihn gibt. Ja, die
Eisschränke sind jetzt besser. Ich bin schneller in Bangkok als je,
aber ich will gar nicht in Bangkok sein. Ich glaube, wir sind in
Vielem zurückgefallen. Unser geistiges Niveau ist gesunken. Solche
Erscheinungen wie Hegel und Schelling und Hölderlin und alle, die aus
dem Stift da in Tübingen kamen, sind undenkbar geworden
Die Humangenetiker werben mit dem Versprechen, jetzt könnte man
endlich unheilbare Krankheiten heilen. Der Krebs würde schon in der
Zelle abgewendet.
Das ist die alte Ausrede der Bioforschung. Es ist aber nichts
geschehen. Es wird mehr Geld in die Krebsforschung hineingezwängt als
irgendwohin anders. Das Geld sollten sie für die schlecht
unterrichteten und unterernährten Volksschüler verwenden. ...
Die Scharlatanerie beim Genom-Projekt scheint Sie mehr zu
beschäftigen als der gute alte Dr. Frankenstein.
Ach, die gehaben sich als gefährlicher, als sie sind. Falls sie
wirklich das Genom abgelesen haben, möchte ich wissen, was das mit
dem Krebs zu tun hat. Dieser Entschlüsselungseifer ist gegen alles,
was die Menschheit beseelt. Klar geworden ist nur, dass unsere
Wissenschaften inzwischen eine Branche der freien Marktwirtschaft
sind.
Großsprecherei ist den Molekularbiologen angeboren. Die
Molekularbiologie lebt ja von den Versprechungen, die sie zu halten
hofft. Nur möchte ich das sehen. Der Blick in die Zukunft ist den
Magiern und den alten Damen vorbehalten. Ich bin ein Verehrer der
Alchimie. Im 16. Jahrhundert war die Astrologie eine vollkommen
legitime Wissenschaft gewesen. Jetzt haben sich die Paradigmen
geändert, und sie wird's wieder werden.
Und die Moral der ganzen Geschichte?
Ursprünglich hatte man als die Aufgabe der Naturwissenschaften
gesehen, uns zu erklären, wie die Natur funktioniert. und wie es in
anderen Zeiten gewesen ist. Jetzt ist die Aufgabe der Forschung, die
Natur zu verbessern und uns zu sagen, wie es in der Zukunft sein
wird. "
Die Fragen stellte Willi Winkler.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der Süddeutschen Zeitung.