nepomukranich schrieb:Der Begriff Scheingeschwindigkeit wird verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Bewegung eines physikalischen Phänomens oder Körpers in Wahrheit eine andere Geschwindigkeit hat als die beobachtete (da habe ich den Begriff Scheingeschwindigkeit oben falsch verwendet)
Auch das mag Scheingeschwindigkeit genannt werden, doch ist mit diesem Begriff im allgemeinen etwas anderes gemeint als eine Geschwindigkeit, deren Betrag/Höhe nur falsch wahrgenommen wird.
Stell Dir ein Erdbeben vor, dessen Epizentrum mehrere Kilometer unter der Erdoberfläche liegt. Die Bebenwellen breiten sich konzentrisch von dort durch die Erdkruste aus und treffen irgendwann die Erdoberfläche. Die Bebenwelle, die direkt nach oben geht, hat den kürzesten Weg bis zur Oberfläche, kommt also als erstes an und erschüttert hier den Boden. Von oben aus die Erdoberfläche betrachtet, sieht man also einen Punkt am Boden beben. Dieser Punkt breitet sich kreisförmig aus wie eine Welle auf dem Wasser. Denn als nächstes kommen jene Bebenwellen an die Oberfläche, die nur wenig mehr Weg bis zur Oberfläche hatten. Je schräger sich die Bebenwellen gegenüber der Oberfläche ausbreiten, desto länger brauchen sie für den Weg. Man sieht also von dem Ausgangspunkt an der Oberfläche an ein Beben sich ringförmig ausbreiten. Man sieht eine horizontale Bewegung. Und diese hat eine Geschwindigkeit.
Das ist aber nur die besagte Scheingeschwindigkeit. Denn die reale Bewegung ist die vom Epizentrum an die Oberfläche. Und das sind viele unterschiedliche Bewegungen, die nur einen gemeinsamen Ausgangspunkt haben. An der Oberfläche angekommen läßt jede einzelne Bewegung je ein Stückchen Erdoberfläche beben. Aber von oben betrachtet erscheint das Beben als ein einzelnes Phänomen, welches wandert. Mit einer Geschwindigkeit. Die sich exakt messen läßt.
Zur Veranschaulichung mal dieses Bild. Der untere Pfeil steht für die Bewegung der Bebenwellen vom Epizentrum aus, der obere Pfeil für die Scheinbewegung des Oberflächenbebens.
Die Scheingeschwindigkeit ist durchaus real, nur bewegt sich da kein Objekt oder Ereignis von A nach B. sondern da finden viele Einzelereignisse nacheinander von A nach B statt. Eben die Ankunft der einzelnen Bebenwellen an der Oberfläche. Aber die Geschwindigkeit, mit der diese Einzelereignisse von A nach B stattfinden,die ist real.
Und wenn Du auf meinem Bild die senkrechte und die nächstgelegene Bebenwelle betrachest, wirst Du sehen können, daß die rechte Welle nur ein sehr kleines Stückchen länger ist als die linke. Aber die Distanz zwischen den beiden Zielorten an der Oberfläche ist sehr viel größer als der Längenunterschied der beiden Wellenstrahlen. Um mehr als das Zehnfache länger. DIe Oberflächenwelle, die wir beobachten können, wird sich also über dieses Stück mehr als zehn mal so schnell bewegen wie die eigentliche Bebenwelle im Boden. Je schräger die Bebenwellen durch den Boden gehen, bis sie zur Erdoberfläche gelangen, desto mehr nähert sich aber die Scheingeschwindigkeit der scheinbaren Oberflächenwelle der Geschwindigkeit der realen Bebenwellen im Boden an.
Du könntest auch eine Taschenlampe mit Streulicht auf eine Projektionsfläche richten und die Taschenlampe dann anschalten. Die von der Taschenlampe ausgehenden Photonen werden die Wand ebenfalls nicht gleichzeitig treffen, sondern nacheinander. Die Photonen, die auf kürzestem Wege die Fläche treffen (in rechtem Winkel auf diese auftreffen), die werden die Fläche als erstes erhellen. Mit einem Lichtpunkt. Erst nach und nach treffen die andren, schräger auftreffenden Photonen ankommen. Der Lichtkegel, den DU am Ende dort siehst,ist also nicht sofort in voller Größe erschienen, sondern hat sich allmählich aus einem Lichtpunkt immer mehr verbreitert. Und diese Ausbreitung des Lichtkegels auf der Fläche fand superluminar statt, überlichtschnell. Nur ist das so schnell, daß wir das nicht beobachten können, uns scheint der Lichtkegel gleichzeitig aufzutauchen. Aber wenn Du dasselbe mit einem ringförmigen Wassersprenger in der Nähe einer trockenen Hauswand machst, könntest Du es sehen, wie die Wand unterschiedlich schnell von dem Wasser des eingeschalteten Sprengers getroffen wird.
Die einzige "wirklich echte" Bewegung ist die des Wassers vom Sprenger zur Wand, der Photonen von der Taschenlampe zur Projektionsfläche, der Bebenwellen vom Epizentrum zur Erdoberfläche. Aber die andere Bewegung läßt sich immerhin wahrnehmen, ist jedoch eben nur eine Scheingeschwindigkeit. Aberals Scheingeschwindigkeit sehr real und nicht nur falsch beobachtet, sondern mit korrekt der Geschwindigkeit, die wahrgenommen bzw. berechnet werden kann. Und diese Scheingeschwindigkeit ist höher als die Geschwindigkeit des zugrundeliegenden Phänomens.
Selbst die Scheingeschwindigkeit der Oberflächenwelle eines Bebens tief in der Erde kann mit einer superluminaren Geschwindigkeit anfangen.