Kritsche Betrachtung Wissenschaft/Fortschritt
10.10.2004 um 09:02
Hier noch ein interessanter Artikel aus der Zeit.
Ein Interview mit Rupert Sheldrek ( Morphogenetische Felder )
die zeit: Viele Umfragen zeigen, dass die Wissenschaft das Vertrauen der Öffentlichkeit verliert - egal, ob es um die Sicherheit von Lebensmitteln geht oder um die Dreifachimpfung gegen Röteln, Masern und Mumps in England. Was empfehlen Sie gegen diese Vertrauenskrise?
Rupert Sheldrake: Der Mainstream der Wissenschaft sieht darin eine Krise der Selbstdarstellung, die sich durch besseres öffentliches Verständnis für Wissenschaft beheben lasse. Doch die Krise geht tiefer. Es handelt sich um eine Entfremdung zwischen wissenschaftlichen Institutionen und den Bürgern, denen die Forschung dienen sollte und von denen sie letztlich bezahlt wird.
zeit: Woher rührt diese Entfremdung?
Sheldrake: Die Wissenschaft hat sich zu einem bürokratischen, strukturkonservativen System entwickelt. Forschungsgelder, Publikationen, Beförderung und Prestige hängen von peer reviews anomymer Komitees ab. Dadurch wird ein Mechanismus der Selbstbestätigung gefördert. Dominierende Auffassungen werden bestätigt und verstärkt ...
zeit: ... aber zugleich auch schlechte Forschungsprogramme und Fehlentwicklungen abgewehrt.
Sheldrake: Das etablierte System mag törichte Forschung verhindern, aber es bremst auch Originalität und Innovation, erzeugt Anpassung und Ängstlichkeit. Innovation aber ist lebensnotwendig für die Wissenschaften.
zeit: War das früher anders?
Sheldrake: Zumindest in den USA und England war die Wissenschaft im 19. Jahrhundert weniger institutionalisiert. Ein Forscher wie Darwin, der ohne akademische Position und staatliche Mittel arbeitete, hätte unter heutigen Bedingungen seine Evolutionsforschung wohl nicht betreiben können. Wichtige Durchbrüche wurden damals meist von Forschern erbracht, die weder professionelle Wissenschaftler noch Teil eines bürokratisierten Systems waren.
zeit: Schadet das nur der Forschung?
Sheldrake: Nein, das kommt uns alle teuer zu stehen. Forschung verschlingt riesige Summen, aber dient oft weder den Interessen der Allgemeinheit, noch erzeugt sie Innovation. Zum Beispiel werden 50 Prozent aller wissenschaftlichen Papiere von niemandem gelesen außer von den Autoren selbst.
zeit: Wo gehen dadurch neue Erkenntnisse verloren?
Sheldrake: Eindeutig zeigt sich das bei der Erforschung der alternativen Medizin. Gefördert werden fast nur konventionelle Projekte - wie das Genomprojekt oder die molekulare Diagnostik. Das ist zwar nicht wertlos, doch wird so nur ein kleiner Teil medizinischer Probleme angepackt. Währenddessen scheinen Millionen von Menschen von Akupunktur, Naturkräutern und anderen Therapien zu profitieren. Doch diese oft kostengünstigen Therapien werden von den offiziellen Instanzen weitgehend ignoriert, weil sie nicht in das dominierende Paradigma mechanistischer Biologie passen.
zeit: Wie könnte es anders laufen?
Sheldrake: In den USA haben Senatoren und Kongressabgeordnete ein Center for Alternative Medicine mit einem jährlichen Budget von zunächst einer Million Dollar durchgesetzt - gegen den erbitterten Widerstand des wissenschaftlichen Establishments, das von Verschwendung und Quacksalberei sprach. Doch die Forschungsresultate erwiesen sich als so vielversprechend, dass das Budget nun auf 100 Millionen angestiegen ist. Auch das ist immer noch ein Klacks, verglichen mit den vielen Milliarden für konventionelle Forschung.
zeit: Sie fordern also eine Demokratisierung der Entscheidungsprozesse?
Sheldrake: Forschung sollte die Interessen der Bürger und Steuerzahler reflektieren. Zurzeit verteilt das wissenschaftliche Establishment den Löwenanteil nach Gutdünken, unter der Aufsicht der Politiker. Doch Politiker verlassen sich auf Berater, die wiederum aus dem Establishment kommen. Ein Schuss Demokratisierung könnte hier als Korrektiv wirken.
zeit: Wie könnte das konkret vonstatten gehen?
Sheldrake: Ich schlage vor, dass man 1 Prozent der gesamten Forschungsetats für Projekte abzweigt, über die öffentliches Interesse entscheidet. 99 Prozent würden wie bisher verteilt, durch kleine Komitees, die ich als Kollegium der Kardinäle bezeichne. Ich gehe davon aus, dass die offiziellen Instanzen ihre Kontrolle über die Forschungsbudgets nicht aufgeben werden, was menschlich und verständlich ist.
zeit: Wie wollen Sie "öffentliches Interesse" definieren?
Sheldrake: Am besten wäre es wohl, Techniken der Meinungsforschung anzuwenden, Umfragen, Fokusgruppen etwa, um herauszufinden, was die Menschen wollen.
zeit: Vielleicht wissen die gar nicht, was sie wollen?
Sheldrake: Die meisten haben schon bestimmte Vorstellungen. In den USA floss nur deshalb mehr Geld in die alternative Forschung, weil es ein reges Interesse der Öffentlichkeit gab, das Politiker aufgriffen. Umfragen zeigen auch, dass ein dringender Wunsch nach mehr und unabhängiger Forschung über Nahrungsmittel-Sicherheit besteht.
zeit: Wie wäre es mit Losverfahren?
Sheldrake: Ich habe nichts dagegen. Es wäre einen Versuch wert in einem empirischen Test. Man könnte 0,8 Prozent des "alternativen" Etats demokratisch vergeben, die restlichen 0,2 Prozent dem Zufall des Würfels unterwerfen. Nach fünf Jahren könnte man die Ergebnisse von einem unabhängigen Gremium bewerten lassen. Dann sähe man, ob Zufall oder demokratische Methode zu besseren Resultaten führen.
zeit: Welchem Gremium würden Sie die Entscheidung über die Forschungsanträge zubilligen?
Sheldrake: Ausschüsse wären eine Möglichkeit, Vertreter von NGOs eine andere. Man könnte eine Art demokratischen Nationalrat für Wissenschaft etablieren, oder das Mandat ließe sich auf die Vollversammlung einer Gesellschaft wie etwa der Royal Geographical Society übertragen.
zeit: Wer soll dafür Anträge stellen?
Sheldrake: Ruhig auch Amateurforscher, schließlich sind unsere Gesellschaften sehr viel gebildeter und besser ausgebildet als etwa zu Darwins Zeiten. Das Internet macht den Zugang zu Informationen möglich, die sich früher allein Menschen mit umfassenden Bibliotheken verschaffen konnten. Die Bedingungen sind also ideal, wissenschaftliche Forschung von bürokratischen Institutionen zu befreien.
zeit: Man könnte Ihnen vorhalten, Ihr Vorschlag diente nur Ihren eigenen Interessen, etwa der Erforschung von Psi-Phänomenen, für die Sie keine öffentlichen Mittel erhalten.
Sheldrake: Ich erhalte und strebe keine öffentlichen Mittel für meine Forschung an; ich bin in der glücklichen Lage, durch private Stiftungen gefördert zu werden.
zeit: Erwärmen sich auch etablierte Forscher für ihre Ideen?
Sheldrake: Viele Kollegen sind sich des Druckes bewusst, der durch das bestehende System erzeugt wird. Dazu gehört auch der schädliche Einfluss des "Zitatindexes": Die Vergabe von Forschungsgeldern wird nicht nach der Qualität einer Arbeit bemessen, sondern danach, wie oft sie zitiert wird. Dadurch werden bestehende Sichtweisen der Mehrheit gefördert und eine ungesunde Verengung bewirkt. Wer in einem neuen Feld arbeitet, wird natürlich nicht so oft zitiert, weil sich nur wenige darin auskennen. Selbst Vertreter des Establishments sind sich dieser Gefahr bewusst, und ich werde privat von vielen Kollegen ermutigt und bestärkt.
zeit: Würde allerdings der Erfolg öffentlich geförderter Projekte an ihrem Nutzwert gemessen, würde ihre Forschung über ungewöhnliche Fähigkeiten von Hunden durch den Rost fallen.
Sheldrake: Materielle Kriterien sollten nicht das Maß aller Dinge sein. Auch das Interesse der Öffentlichkeit wäre ein Kriterium. Viele Menschen sind fasziniert von der Erforschung des Verhaltens von Tieren, wie die Einschaltquoten für die Naturprogramme überall in der Welt zeigen. Doch Geld gibt es fast ausschließlich für die Sequenzen der Genome von Singvögeln, nicht für das Studium ihres Verhaltens.
zeit: Sie haben 20 Jahre außerhalb der Institutionen gearbeitet. Warum jetzt die Sorge um die Wissenschaft?
Sheldrake: Weil die Krise fundamentaler geworden ist. Meine Vorschläge könnten helfen und zu einer Auflockerung erstarrter Verhältnisse führen, ohne das System umzustülpen. Interessen und Institutionen bleiben intakt, aber es gäbe die Chance, neue Felder der Forschung zu öffnen.
zeit: Wie wollen Sie diesen Prozess in Gang setzen?
Sheldrake: Als Erstes bedarf es einer breiten Debatte. Vielleicht warten andere mit besseren Vorschlägen auf.
zeit: Fehlt es an öffentlicher wissenschaftlicher Debatte?
Sheldrake: Eindeutig ja! Zurzeit gibt es dafür kein Forum. Wer abweichende Meinungen vertritt, hat es schwer. In den mittelalterlichen Disputationen dagegen gab es stets eine Rolle für den Advocatus Diaboli. Thomas von Aquin, einer der großen Gelehrten, schrieb Schriften im Stil von Debatten, in denen die Argumente beider Seiten entwickelt wurden. Wir können von den klassischen Formaten eine Menge lernen. Stattdessen haben wir unzählige wissenschaftliche Papiere, die den Stempel des offiziell Akzeptierten tragen.
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Rupert Sheldrake machte zunächst Karriere als Biochemiker und Pflanzenphysiologe, bevor er 1981 mit dem Buch "Das schöpferische Universum" zum Star der weltweiten Esoterikszene avancierte - und zur Persona non grata in der Wissenschaft wurde. Heute erforscht der Privatgelehrte die übersinnlichen Fähigkeiten von Haustieren