@Yoshi Ich würde jetzt gern versuchen mit dir zur erörtern, ob es zwischen diesen beiden extremen Sichtweisen auch ein gesundes Mittelmaß gibt.
Das eine Extrem beschrieb ich ja schon selbst: Der Glaube an absolutes Schicksal, der meint, dass auch Handlungen von denen wir noch gar nichts wissen, unausweichlich und vorherbestimmt sind, selbst wenn man die selben Ausgangsparamenter immer wieder simulieren würde.
Das andere Extrem wäre dann wohl deine alte Auffassung, dass unser Entscheidungsraum uneingeschränkt ist und wir einen immer kontrollierbaren absoluten freien Willen hätten.
Ich versuche einmal ein Szenario dazwischen zu konstruieren:
Wir sind nur einer von vielen und jeder von uns ist permanent mit Entscheidungen kontrontiert. Jede Entscheidung, die wir treffen wollen oder getroffen haben, hat immer einen direkten Einfluss einen bestimmten Bereich unseres Umfelds. Ebenso fließen bei unserer Entscheidungsfindung unsere bisherigen Umwelteinflüsse mit ein und wir wägen nach bestimmten Faktoren ab.
Somit werden wir von anderen Entscheidungen beeinflusst und unsere Entscheidungen beeinflussen wiederum andere - ein permanentes Wechselwirken.
In der Theorie kann man nun annehmen, dass wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt, eine Person eine Entscheidung anders getroffen hätte, alles danach geschehene aus der betrachtung verworfen werden muss, weil man nicht abschätzen kann, ob oder wie groß dadurch eine Änderung in allen darauffolgenden Entscheidungen aller Personen passiert wären. Diesem Umstand bedienen sich ja die klassischen Zeitreisenparadoxa á là "Wenn ich vor 40 Jahren meinen Großvater tötete, dann..."
Den Mittelweg aus absoluter Vorbestimmung und absoluter Freiheit sehe ich im Verständnis und dem Wechselwirken beider Extrema:
Nehmen wir einen Zeitpunkt 0 indem ich eine Entscheidung treffe. Diese kann ich zu diesem Zeitpunkt nur einmal treffen und sie wird die Grundlage für alle folgenden Entscheidungen haben. Alle Entscheidungen, die vorher getroffen wurden, legten wiederum die Grundlage für eben diese Entscheidung.
Was bedeutet, dass nun für unseren Willen:
Rückwirkend betrachtet hat die Summe aller bisheriger Entscheidungen dafür gesorgt, dass wir jetzt ein gewisses Spektrum an Auswahlmöglichkeiten haben. Je nachdem wie wir uns nun jetzt entscheiden, haben wir auch einen Einfluss darauf wie groß dieses Spektrum für unsere nächste Entscheidung ist, usw. Und dabei vergessen wir jetzt nicht, dass dies ja auch für alle anderen Menschen gilt und auch nicht diese angesprochene Wechselwirkung von unseren Entschedungen auf andere. Insgesamt also ein verdammt komplexes Konstrukt, was sich rückwirkend aber komplett aufschlüsseln lässt, wenn man genauesten analysiert, wo die Kausalitäten zwischen unseren und den Entscheidungen anderer sind.
Fraglich bleibt nun, ob wir bei jeder Entscheidung wirklich nur eine einzige Wahlmöglichkeit haben, weil unsere Umstände nur ein mögliches Resultat zulassen oder ob wir mindestens zwei Möglichkeiten haben und es somit eine reale Auswahl gibt.
Hier sehe ich das Mittelmaß in meiner persönlichen Betrachtung: Es gab Entscheidungen in meinem Leben, die bei Betrachtung meiner persönlichen Gesamtsituation wohl nur so getroffen werden konnten. Jedoch gibt es auch genügend Situationen in denen ich mich durchaus anders hätte entscheiden können und es eine wirkliche Wahl gab.
Ich persönlich kann in meinem Leben nicht erkennen, dass es nur eine von beiden Varianten gibt und meine dahingehend eben ein Mittelmaß zu sehen.