So, jetzt zur Theorie. Aber zuvor noch ein paar Worte zur Krise derjenigen Branche der Geschichtswissenschaft, der sich mit der Prähistorie befasst.
Anhand von 4 Beispielen will ich die Krise veranschaulichen.
Heute ist der Tschadsee ebenso wie der Aralsee vom völligen Austrocknen bedroht. Inzwischen ist er auf gut 1.000 km² geschrumpft. Auf dem Höhepunkt des feuchtwarem Holozän-Optimums vor rund 9000 – 8000 Jahren hatte der Tschadsee eine Fläche von 1 Mio. lm², war also 10x so ausgedehnt und 1.000x so groß wie heute. Da man die Ablagerungen des höchsten Wasserstands kennt, kennt man auch die einstigen Küsten, in deren Hinterland wohl schon Landwirtschaft betrieben wurde (Getreide, Plantagen und Weinanbau). Zudem kann man per Satellit die alten Zufahrts- und Handelswege erkennen und weiß von daher, wo die zentralen Handelsumschlagplätze und wohl auch Städte lagen. Hat irgendwer schon mal dort an diesen prähistorischen Knotenpunkten gegraben? Nö. War doch alles Steinzeit.
In Nordwest-China hat man eine 8.000 Jahre alte Protoschrift entdeckt.
http://news.bbc.co.uk/2/hi/asia-pacific/6669569.stm Hat das irgendwelche Auswirkungen auf das Dogma, dass sie menschliche Schrift nicht älter als 5.300 Jahre ist= Nö, nicht im Geringsten.
In der Nähe von Mehrgarh (Pakistan) hat man 9.000 Jahre alte Zahnarztkunst entdeckt.
http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/4882968.stm Die Zeit wird allgemein dem Neolithikum zugerechnet, und richtig, die Operationen waren ja auch mit Steingeräten durchgeführt worden. Abgesehen vom "falschen Werkstoff" ist das extrem fortschrittlich. Wir geilen und auf an 4500 Jahre alten sumerischen Städten und vergessen darüber, dass die Kultur in Pakistan, die doppelt so alt ist, fortgeschrittener war als die sumerische. Hat das irgendwelche Relevanz auf unser geschichtliches Verständnis und unsere Schul- und Lehrbücher? Nö. In den Schulbüchern beginnt die Geschichte wie schon vor einem halben Jahrhundert nach wie vor mit Sumer und Ägypten, Altes Reich.
Noch mal zu Amerika, kurz recycelt:
Archöologische Funde:
• Topper, South Carolina: 50.000 Jahre alte Holzkohle und Steinwerkzeuge. Erklärung der Archäologen: Die Holzkohle könnte aus Waldbränden herrühren, die Steinwerkzeuge von der Natur so geformt worden sein.
• Yukon's Bluefish Caves und Old Crow Flats: 30.000 bis 20.000 Jahre alte bearbeitete Mammutknochen;
• Allendale County, South Carolina: ebenfalls 30.000 bis 20.000 Jahre alte Holzkohle. Wird wissenschaftlich nicht anerkannt, da sie auch durch einen Waldbrand entstanden sein kann;
• Vergleichende DNA-Analysen kommen zu dem Schluss, dass Ostasiaten (Sibirer) und frühe Amerikaner bis 42.000 – 21.000 Jahre vor heute die gleichen Haplogruppen trugen;
• Alberta: knapp 30.000 alte Steinwerkzeuge bei Grimshaw, Bow River und in Lethbridge unter einer alten Moräne gefunden
• Taber, Alberta: 28.000 Jahre altes Kinderskelett (1961 gefunden). In Alberta soll es zeitweise, nämlich zwischen 34.000 und 22.000 BP einen teilweise und zeitweise vielleicht sogar völlig eisfreien Korridor durch den Laurentidischen Eisschild gegeben haben, der die meiste Zeit über ganz Kanada und Teile der nördlichen USA überdeckte und den Vorstoß von Menschen nach Süden schwer bis unmöglich machte. Die Alberta-Funde werden wegen ihrer schwierigen zeitlichen Einordnung nicht von allen Archäologen anerkannt;
All diesen Funden zum Trotz gilt nach wie vor das Althistoriker-Dogma, dass Amerika vor rund 16.000 Jahren besiedelt wurde und als erste Kultur die kurzlebige Clovis-Kultur hervorbrachte. Sämtliche archäologischen Beweise für wesentlich frühere menschliche Anwesenheit in Amerika werden von der Wissenschaft mit hanebüchenen bis verschwörerischen und rufschädigenden Behauptungen weggewischt und kaputtgeredet. Es gilt nach wie vor das, was von oben befohlen wir und wie es auch in den Lehr- und Schulbüchern steht. Es darf in Amerika nichts Älteres als Clovis geben. (Denn andernfalls könnten die früheren Einwanderer ja "Dunkelhäutige" gewesen sein, die uns genetisch ziemlich weit entfernt sind, jedenfalls wesentlich weiter als die Indianer, deren Vorfahren aus Zentral- und Ostasien kamen anstatt aus Melanesien.
Wenn wir die in den Lehr- und Schulbüchern "verewigten" Dogmen für sakrosankt halten, müssen die eben aufgelisteten archäologischen Funde für absurd erklärt werden. Außerdem müssten wir dann von einer soziokulturellen Entwicklung der Menschheit ausgehen, die die ersten 150.000 bis 200.000 Jahre ihrer Existenz als Homo sapiens (je nachdem, wie alt der anatomisch moderne Mensch tatsächlich ist) völlig verpennt hat und mit seinem Jäger-Sammler-Dasein vollauf zufrieden war und nicht anders gelebt hat als seine archaischen Vorfahren Homo erectus, dessen letzte Vertreter die Neandertaler waren.
Die archäologischen Funde, die ich hier aufgelistet habe, machen aber gerade mal einen Teil der Oberfläche der Spitze des Eisbergs der tatsächlichen kulturellen Entwicklungen aus der Steinzeit aus. Zumal es alles Zufallsfunde sind und wohl nur 0,01% sämtlicher archäologischen Artefakte ausmachen, die noch im Boden schlummern und vor sich her modern. Und wie gesagt, drei Viertel oder 80% der eiszeitlichen Wohngebiete der Menschheit liegen heute im Schelfmeer, und da haben wir bisher nichts gefunden, weil wir nicht gesucht haben.
Aus dem Wenigen, das wir aus der Altsteinzeit bis Ende der Eiszeit gefunden haben, aber hochzurechnen und zu dem Ergebnis zu kommen, dass es sich bis zur neolithischen Revolution grundsätzlich nur um zirkuläre Urgesellschaften handelte, die alle 30.000 Jahre mal eine Mikrolithentechnik verbesserte, so dass man im eigentlichen Sinne überhaupt nicht von Geschichte sprechen kann, da Geschichte stets Entwicklung beinhaltet, ist mMn ebenso arrogant wie falsch.
Bisher haben sich die Prähistoriker auf ihren "Lorbeeren" ausruhen können, denn es gibt kaum einen wissenschaftlichen Beruf, der weniger zu tun hat und sich damit begnügt, Nichtwissen zu verwalten, wie eben der des Prähistorikers. Und in den Vorlesungen an den Unis etwas mehr als Nichts zu lehren und dabei zu begründen, weshalb es etwas mehr als Nichts ist, ist wohl einer der leichtesten Formen gutes Geld zu verdienen. Aber inzwischen weht ihnen ein frischer Wind ins gesicht, den sie offenbar noch nicht mal bemerken, sonst würden sie die o.g. archäologischen Funde ernst nehmen und einzuordnen versuchen und in diesem Prozess das Gerüst, aus dem ihre bisherige Lehre von der Altsteinzeit und hier besonders vom Jungpaläolithikum (45.000 bis 12,000 vor heute, also identisch mit der Zeit des Cro Magnon in Europa) besteht, den neuen Erkenntnissen, die das bisherige Gerüst in Frage stellen, anpassen.
Doch das sind ja erst nur die ersten nicht wegzuleugnenden Fakten, die das Gerüst grundsätzlich in Frage stellen. Die Erkenntnisse der Populationsgenetiker, die alles andere als ein zirkuläres Bild der Altsteinzeit und hier besonders des Jungpaläolithikums zeichnen, scheinen die Althistoriker so sehr zu überfordern, dass sie sie am liebsten gar nicht zur Kenntnis nehmen. Die Klimageschichte zeigt Zeiten und Orte, an denen in den verschiedenen Phasen der Eiszeit die Lebensbedingungen wesentlich günstiger waren als dort, wo die Althistoriker anhand von Knochenfunden, meistens in Höhlen, Zentren der damaligen Bevölkerung vermuten. Aber diese Regionen, wo das Klima in der Eiszeit wesentlich günstiger war, liegen weit außerhalb von Eurasien, dem Schwerpunkt der Geschichtsforschung. Da der Steinzeitmensch aufgrund der in der Eiszeit starken Klimaschwankungen zwischen Stadialen und Interstadialen großflächig wandernden Flora und Fauna mit diesen wandern musste, um nicht zu verhungern, bieten sich auch von hier aus Forschungsansätze für die Prähistoriker und Archäologen, die sie bisher nicht zur Kenntnis genommen haben. Die Eiszeit war eben alles andere als einförmig. Vor allem aber wird die fortschreitende Satellitentechnik, der es bald möglich sein wird, auch die obersten Schichten des Schelfmeerbodens zu durchleuchten und alles, was dort liegt, sichtbar zu machen, die Geschichtswissenschaft der "Ur- und Frühzeit" – ob mit oder gegen den Willen der Prähistoriker – revolutionieren.
Es gibt nicht viele Prähistoriker, da das Budget begrenzt ist und vom Staat gestellt wird, denn wozu sonst sollten sie gut sein als ausschließlich zur Forschung und Lehre? Kommerziell lässt sich da Null verwerten. Es sind also allesamt Beamte. Und Beamte ruhen sich am liebsten auf ihren Lorbeeren aus und wollen nicht gestört werden. Das, was diesen Beruf einstmals ausgezeichnet, ach was, was ihn überhaupt erst hervorgebracht hat, nämlich Neugier und die Frage, wo wir herkommen und wie die Genese der Völker wohl entstand und was für Kulturen entwickelt worden sein könnten, die mehr oder weniger spurlos untergegangen sind oder durch andere Kulturen abgelöst wurden, die Frage, wie die Vor- und Frühgeschichte wirklich aussah, hat für die heutigen Prähistoriker offenbar überhaupt keine Relevanz mehr. Man muss aber mit wissenschaftlichen Mitteln ausgerüstet Forscher und "Ideenjäger" sein bzw. bleiben, um die Erkenntnisse zur Ur- und Frühgeschichte voranzutreiben, da sie offenbar doch wesentlich komplexer war, als in den Lehrbüchern steht und als der 2Stand des Wissens" Glauben macht. Man muss auch mit wissenschaftlichen Mitteln spekulieren dürfen, um das Wissen wirklich voranzutreiben. Zumindest einiges von dem, was heute noch als "Spekulation" gilt, dürfte in den Lehrbüchern von übermorgen ganz selbstverständlich stehen, und man wird auf die heutige Zeit wohl als die "dunkle Zeit" der Ur- und Frühgeschichtsforschung zurückblicken.