Rao schrieb:In der Urfassung dieses Gleichnisses war weder von einem Kamel noch von einem Elefanten die Rede, sondern von einem Kabel. Kabel = dickes Tau, das nicht durch ein winziges Nadelöhr geht. Verstehste?
Nö. Die einzigen belegten Fälle dieses Vergleiches sind die mit Kamel und Elefant. Nirgends gibt es das mit dem Tau. Das hat sich jemand ausgedacht, weil ein Tau quasi die dickste Version dessen ist, was man für gewöhnlich durch ein Nadelöhr schiebt. Und weil "kamylon" (griechisch für Tau) sehr ähnlich zu "kamêlon" (griechisch für Kamel) ist, sich das eine also leicht als Verschreibung oder Hörfehler aus dem anderen herleiten ließe.
Bei dieser "Erklärung" freilich wird vorausgesetzt, daß das "Nadelöhr" konstitutiv ist für den Aufbau dieses Spruches. In diesem Fall muß "das Größte", welches da dann natürlich nicht durchpaßt, irgendetwas sein, das eine groteske Maximierungvon etwas ist, was da normalerweise hindurchpaßt und hindurchgehört. Eben ein Tau als Maximum dessen, was eine "Art Faden" ist.
Doch ist der Aufbau des Vergleiches eben ein anderer. Auf der einen Seite steht nicht nur "das größte"; sondern auf der anderen Seite steht auch "das kleinste". Der Spruch hat den Grundaufbau "das größte geht nicht durch das kleinste". Das ist das Konstitutive. Und damit ist klar, wie "das Größte" und "das Kleinste" gebildet werden, nämlich vom Verb "gehen (durch)" her. Das "größte, das geht", das ist kein Tau, sondern ein Kamel (für die ungebildeten Levantiner) bzw. ein Elefant. Und das "kleinste, durch das etwas geht", der kleinste Durchgang / Durchlaß, ist dann eben das Nadelöhr.
Wie gesagt, am Kamel bzw. Elefanten kann man nur zweifeln, wenn man meint, das "Nadelöhr" sei konstitutiv für dieses Gleichnis. Also "Das Größte X paßt nicht durchs Nadelöhr". Doch bei "das Größte X geht nicht durchs kleinste Y" und dem konstituierenden "gehen durch" sind Kamel/Elefant und Nadelöhr die logische Folge.
In der (nachneutestamentlichen) späteren Antike veränderte sich die griechische Aussprache. Das Eta ("ê") wurde ab da wie ein Jota ("i") ausgesprochen. Diese Lautverschiebung wird Jotazismus oder Itazismus genannt. Ab dieser Zeit begegnen die ersten Beispiele dafür, das Gleichnis Jesu als mit einem Tau gemeint aufzufassen (Peschitta-Übersetzung, Cyrill von Alexandrien, ...). Auch dies zeigt, welche Version die eigentliche Verwechslung ist. Auch wird man den Rabbinen schwerlich nachsagen können, daß sie ihr Elefant-Nadelöhr-Bild von einem Tau-Nadelöhr-Gleichnis her gebildet haben - und noch weniger von einem daraus verwechselten Kamel-Nadelöhr-Gleichnis, welches unter Christen beliebt war und von deren Messias Jesus stammen sollte!
So gebildet waren die Rabbinen allemal, daß sie um letzteres wußten.
Aber letztlich ging es überhaupt nicht darum, wie dieses Gleichnis denn nun ursprünglich richtig gelautet habe. Seit das Gleichnis mit dem Kamel als "das größte" kursierte, hätte man sofort statt Kamel den Elefanten einsetzen müssen, weil der ja nun "das größte" war, nicht das Kamel. Ergo belegt Jesu Gleichnis, daß die Vertrautheit mit Elefanten in römischer Zeit unter einfachen Leuten selbst in Afrikanähe eben nicht vorauszusetzen ist.
Rao schrieb:Wundert mich daß Du das mit dem Kabel nicht weißt, wo Du doch sonst immer alles besser weißt.
Die Kamêlos-Kamilos-Geschichte lernte ich schon in den Achtziger Jahren kennen. Damals fiel ich selber erst mal drauf hinein. Aber schon wenige Jahre später, im Studium, lernte ich dann die rabbinische Alternativversion kennen, ebenso das mit dem Jotatzismus, ferner die wissenschaftlichen Textanalysemethoden, und begriff die Zusammenhänge.
Rao schrieb:Dazu hab ich schon mal was geschrieben, nämlich daß man das "atlantische Meer" laut Solon nicht mit dem heutigen Atlantik verwechseln darf. Das atlantische Meer damals war jenes Meer, das entlang seiner gesamten Südküste vom Atlasgebirge beherrscht wird
Und woher weißt Du das? Gibts da irgendeinen Beleg für, daß die Griechen jenes Meer so nannten?
Esist vielmehr so, daß die Welt der Griechen ursprünglich die gesamte Oikoumênê war (siehe das Bild auf Seite 53), und daß diese Welt von einem Mahlstrom umflossen war, dem Okeanos. Als die Griechen ihr Weltbild änderten und den Okeanos als Meere erkannten, unterteilten sie dieses ursprünglich einheitliche Gewässer in einn westliches und ein östliches Meer. Die namentliche Bezeichnung war naheliegend; das atlantische Meer - der Titan Atlas befindet sich am Westende der (bekannten) Welt - und das indische Meer - Indien als östlichstes Land der (bekannten) Welt. Atlantik und Indik, wie sie auch heute noch in Kurzform heißen, gebildet aus dem griechischen "atlantik(os pelagos)" und "indik(os pelagos)". Diese Bezeichnung ist bereits bei Stesichoros (630-555 v.Chr.) bezeugt. Zur Zeit des Herodot dagegen warzwar Spanien bereits bekannt, aber noch nicht die gegenüberliegende nordafrikanische Küste. Zu dieser Zeit mußte Herodot noch spekulieren, daß es dort einen säulenhaften Bergnamens Atlas gebe, und er schätzte diesen auch noch viel weiter östlich als das später erst so bezeichnete atlasgebirge, viel dichter an den weiter östlich im nördlichen Afrika lebenden Garamanten.
Nee, Du, die Griechen kannten und benannten schon den atlantischen Ozean, bevor sie die Meeresküste vor dem Atlasgebirge kannten.
Rao schrieb:Die "Insel" größer als Asien und Libyen ist meines Erachtens eher als "Seemacht, über mehrere Inseln herrschend" zu verstehen
Na dann versuchen wir mal, den Text so zu lesen:
[...] InselAtlantis [...] welche, wie ich bemerkt habe, einst größer war als Libyen und Asien zusammen, jetzt aber durch Erderschütterungen untergegangen ist und dabei einen undurchdringlichen Schlamm zurückgelassen hat, welcher sich denen, diemit dem Schiff auf das jenseitige Meer hinausfahren willen, als Hindernis ihres weiteren Vordringens entgegenstellt. (Krit102E-103A)
Also, was hinterläßt nach seinem Untergang im Meer einen undurchdringlichen Schlamm? Eine "nsel im Meer? Oder doch eher eine Seemacht?