Thorsteen schrieb:Also eigentlich nur das typische: "Ja aber es könnte doch....". Wenn in den ganzen Funden irgend etwas auftauchen würde das nicht in das Gesamtbild passt dann würden Wissenschaftler darüber diskutieren oder Hypothesen aufstellen etc. Das ist doch der Siemenslufthaken an dem sich jede Story an den eignen Haaren aus dem Sumpf ziehen lässt.
Nein. Stell Dir mal vor, Proklos würde sagen, daß das platonische Atlantis in Wahrheit eine spätbronzezeitliche /früheisenzeitliche Gesellschaft auf Sizilien oder Sardinien gewesen sei. Dann würde das, was Archäologen auf Sizilien / Sardinien aus dieser Zeit an Hinterlassenschaften der dortigen Kultur jener Zeit gefunden haben, atlantidisch sein - und keinem Archäologen wäre dies klar. Die gefundenen Artefakte würden auch nicht aus ihrer Zeit herausfallen, wie auch!
Thorsteen schrieb:Auch wenn ein paar die Säulen gern quer durchs Mittelmeer schieben damit sie zu ihren Hypothesen passt.
Das ist ein wichtiger Punkt. Auch Proklos wird die westliche Meerenge, hinter der Atlantis liegt, wohl in der Straße von Messina "finden". Doch läßt sich diese nicht mit der Vorstellung von den Säulen des Herakles als "Westende der (bekannten) Welt" verbinden. Von den Säulen des Herakles konnten die Griechen nur reden, nachdemsie diese Vorstellung von den Phöniziern übernommen hatten. Klassisches Element eines phönizischen Tempels sind am Tempeleingang zwei (freistehende) Säulen, die die den Himmel tragenden Säulen repräsentieren. So finden sich auch am Salomonischen Tempel vor dessen Eingang zwei freistehende Säulen, Jachin und Boas. Der Tempel wurde laut 1.Königsbuch von einem tyrischen Bauherrn errichtet. Die Beschreibung des salomonischen Tempels paßt denn auch zum typischen Grundriß eines phönizischen Langhaus-Tempels.
Nun kamen die Phönizier ende des 10., anfang des 9.Jh. v.Chr. bei Gibraltar an, wo sie Gadir gründeten und ein Heiligtum errichteten. Die beiden Vorgebirge der Landmassen an dieser Meerenge, Gibraltar und Ceuta, nannten sie die Säulen des Melqart, also des tyrischen Stadtgottes. Eben in der Annahme, daß sie, die Phönikier, hier am Ende der Welt angekommen seien, wo der Himmel auf den Säulen ihres Gottes ruhe.
Die Griechen nun verdanken den Phönikiern kulturell so einiges. Von jenen übernahmen sie die Schrift und auch den Namen ihres Kontinents. Ereb heißt im Phönizischen "Abend" und meint als Himmelsrichtung den Westen. Wie alle Mittelmeervölker lebten die Griechen in "Ereb". Mythisch ausgedrückt war es dann die phönikische Prinzessin Europe, welche Zeus in Stiergestalt nach Westen entführte. Und der phönikische Melqart wurde bei den Griechen zu Herakles, der zum westlichen Ende der Welt fuhr, um dort die Äpfel der Hesperiden (Hesperos ist der Name des Abendsterns, der nur im Westen zu sehen ist) von Ladon, dem Drachen zu stehlen. Den Phönikiern zufolge lebte der Chaosdrache Lotan im Meer am Rande der Welt. Nun war es Herakles, der dem Titanen Atlas am westlichen Ende der Welt zwei Säulen errichtete, die statt seiner ab da den Himmel trügen.
Es ist also völlig richtig, die Säulen des Herakles am Westende der Welt konnten die Griechen nie woanders als bei Gibraltar verortet haben, eben weil sie diese erst von den Phönikiern übernommen haben, und zwar als ebenjene Säulen des Melqart zwischen Mittelmeer und Atlantik. Es gab keine früheren Säulen des Herakles bei der Straße von Medina oder am Bosporus bzw. den Dardanellen. Oder bei den Friesen, wie Tacitus mutmaßte.
Es ist das unentrinnbare Schicksal der Atlantisforschung. Wo auch immer Atlantis veranschlagt wird, in welcher Zeit auch immer man es verortet, kein Atlantissucher kommt umhin, einen nicht unerheblichen Teil des Platotextes zu Atlantis für falsch halten zu müssen. Aber der Grund, wieso dies für authentisch überliefert gehalten wird, jenes hingegen für erfunden, hinzugedichtet, abgeändert oder falschüberliefert, dieser Grund der Unterscheidung wird dabei nie aus dem Text selbst gefolgert, sondern stets von dem angestrebten Ziel her, wo und wann das wahre, das historische Atlantis denn existiert habe. Wer da von Philologie oder von historisch-kritisch spricht, straft sich selbst Lügen. Denn Textkritik wie Historische Kritik arbeiten am Text, heben ältere und jüngere Textschichten aufgrund von Textmerkmalen voneinander ab.