@gerhard86 gerhard86 schrieb:Das Problem ist doch, dass diese Diskussionen fast immer von einem moralischen Standpunkt geführt werden.
Nein!
Das ist überhaupt nicht das Problem, sondern, dass unter Moral (hier passt besser der Begriff Ethik) etwas Falsches verstanden wird.
Diese Diskussion ist im Kern eine ethische Diskussion nämlich einmal zwischen einer ethischen Position die den Fokus auf die Freiheit und Verantwortung des Einzelnen legt, was tendenziell eine Kantische Position ist und einer utilitarischen Haltung die das größtmögliche Wohl der größtmöglichen Zahl (an Menschen) im Blick hat.
gerhard86 schrieb:Die meisten angeführten Argumente für ein Verbot/eine Zwangsmaßnahme (Wenn man eine Gefahr für die Gesellschaft ist hat doch der Gesetzgeber einzuschreiten, sich gegen die Maßnahme zu wehren bedeutet sich über die Gesellschaft zu stellen, wenn nur ein Kind gerettet werden kann muss man doch etc etc) gelten für so gut wie alles, und man müsste auch fettes Essen und Süßigkeiten (ganz zu schweigen von Alkohol) verbieten. Und für private PKW eine 10km/h Geschwindigkeitsbegrenzung und automatische Bremseinrichtungen mit Abstandssensor fordern.
Genau. Und "Kampfhunde" und Waffen aller Art und Flugreisen und Risikosportarten und und und.
gerhard86 schrieb:Die Gegenargumente (Wenn man Freiheit für Sicherheit eintauscht wird man beides verlieren, wenn mir etwas vorgeschrieben wird werde ich entmündigt,...) würden konsequent umgesetzt bedeuten dass ich mir auch eine Atombombe kaufen kann. Wie komme ich dazu keine Atombombe haben zu dürfen? Werde ich etwa als potentieller millionenfacher Mörder verdächtigt obwohl ich mir nie etwas zuschulden kommen haben lasse?!
Ja, bin da ganz bei dir.
gerhard86 schrieb:Am Ende könnte man eine zuverlässige Antwort, ob ein Verbot tatsächlich gerechtfertigt ist, nur finden wenn man die Vorteile des Verbotes und Nichtverbotes objektivieren kann.
Kann man in dem Sinne nie, weil die Gewichtung der Kriterien nur subjektiv und momentan sein kann.
Regeln dafür, wie ich mich im Internet verhalte, hatten 1980 noch keinen Sinn.
gerhard86 schrieb:Bei der Atombombe ist die Antwort noch einfach, aber wie ist es beim Autobahntempolimit, bei Drogen, beim Zwangsimpfen, bei ungesunden Nahrungsmittel? Wieviele Leute darf man anpissen, und wie sehr, um einen Toten zu verhindern? Und wieviele, um Krankheitsfälle zu verhindern die einen großen volkswirtschaftlichen Schaden verursachen? Sicher nicht beliebig viele, weil das der Extremfall wäre dass so gut wie alles verboten ist was den Menschen Freude macht. Welches Risiko für die Allgemeinheit rechtfertigt es, tatsächlich den Schritt zu gehen und Leute zu verhaften weil sie Medikamente nicht nehmen wollen, sie ihnen vielleicht sogar gegen ihren Willen zu verabreichen, und welche Signalwirkung hat das?
Exakt die richtigen Fragen.
gerhard86 schrieb:Solange man diese Fragen nicht wirklich beantworten kann und noch dazu oft keine belastbaren Daten hat was die Maßnahme wirklich bewirken wird (zB, wie hoch ist das Risiko an Erkrankungen für eine gegebene Durchimpfungsquote wirklich), kann man sich bestenfalls eine Schätzung über die Auswirkungen aus dem Hintern ziehen. Und da wird dann eben vor allem nach Zwangsmaßnahmen gegen etwas gerufen, das man selbst nicht will oder braucht, weil man einen Nutzen aber keine Nachteile sieht.
Aber hier liegt eine Illusion verborgen.
Nämlich die, dass man darüber jemals sogenannte objektive Kriterien haben könnte.
Das ist für Anhänger einer naturalistischen Einstellung stets ein Schock, weil sie in der tiefen - wenngleich falschen - Überzeugung leben, es gäbe für alles (oder sollte zumindest) bestimmte Normen und Richtwerte aus der "Natur".
Für diese Vertreter, ist die Vorstellung das Menschen, rationale Akteure, ihre Regeln untereinader ausmachen, irgendwie ein Unding und damit stehen sie ironischerweise Seit an Seit mit den Gottesfürchtigen, die sie ansonsten so eifrig bekämpfen. Dass uns Werte von einer höheren Instanz gegeben werden, finden sie absolut lächerlich, aber dass sie in der "Natur" zu finden sein müssten (etwas scheint dann irgendwie besser zu sein, wenn Schimpansen das auch schon in den Genen hatten/als Verhalten zeigen) erscheint ihnen vollkommen rational.