@RoseHunterRoseHunter schrieb:Dass man etwas wahrnehmen kann setzt (in der Mehrzahl der Fälle) voraus, dass es auch da ist.
Das lässt radikale Versionen des Konstruktivismus zusammenfallen.
Nein, genau das eben nicht! Siehe Traum...! Nimmst du im Traum etwas wahr? Ich schätze mal, ja. Und? Ist das, was du wahrnimmst,
allein deshalb nun auch tatsächlich da? Nein, natürlich nicht. Also, wie Pertti wohl schon sagte, ist es durchaus richtig, anzunehmen, dass überhaupt
irgendetwas (objektiv) existiert, was letztendlich zu Wahrnehmungen, Erscheinungen von bestimmten Dingen führt. Doch nur weil Einem ein Tisch
erscheint, heißt das nicht, dass da auch tatsächlich einer
ist (wie's sehr eindrucksvoll am Beispiel "Traum" deutlich wird). Bei dir allerdings lese ich da irgendwie einen Naiven Realismus raus...
:)RoseHunter schrieb:Das heißt, wir haben durchaus Mittel die es uns erlauben zwischen Halluzination/Traum/Illusion und Realität einigermaßen zu unterscheiden.
Mitnichten! Wieder: siehe Traum! Falls du das anders siehst, dann stehen wir wohl wieder irgendwo hier...
Beitrag von Noumenon (Seite 5)RoseHunter schrieb:Damit bin ich einverstanden, nur müsste man es dann auch zeigen können.
Ganau das kann der Physikalismus aber nicht.
Was ist denn eine Primzahl aus Sicht der Physik? Oder eine Neurose? Ein angeborener Auslösemechanismus? Was ist Liebe?
Hach... ich hätte mal auch posten sollen, was ich vor ein, zwei Tagen in mein txt-File tippte... Naja, here we go (auch noch einmal
@fritzchen1):
Demokratie kommt in der Welt der Physik überhaupt nicht vor, aber was sagt uns das? Dass es „in Wirklichkeit“ keine Demokratie gibt? Und wenn du sagst, die gäbe es schon nur in Wirklichkeit sei das alles Physik, dann beschreib doch mal die Demokratie, oder den Inhalt eines Gedichts von Gottfried Benn oder was „Vertrauen“ ist, aus der Sicht der Physik.
Starke Worte, von denen sich überzeugte Physikalisten jedoch kaum beeindrucken lassen dürften. Ein Physikalist würde wohl bspw. sagen, Demokratie sei einfach eine Art Systemeigenschaft: Elemente des Systems 'Gesellschaft' verhalten sich nach ganz bestimmten Regeln, die dann eben 'Demokratie' genannt werden. Anschließend genügen kurze Verweise auf irgendein
Schichtenmodell und etwa das Stichwort 'Emergenz'. Voilà!
Ob und wie sich bspw. Sterne in einer Galaxie (=Ansammlung von Sternen), Moleküle in irgendeinem Gas (=Ansammlung von Molekülen), oder eben Organismen in einer Gesellschaft (=Ansammlung von Organismen) nach bestimmten Regeln verhalten, denen wir dann ggf. lustige Begriffe wie etwa "Demokratie" zuordnen, ist für den Physikalisten eigtl. eher nebensächlich und stellt für seine Ontologie (die übrigens nur ein verkappter Materialismus ist) nicht wirklich ein Problem dar.
Ein wirklich ernsthaftes Problem für den Physikalismus wäre etwa das Qualia-Problem... (Weshalb scheinbar manche Leute wie etwa Dennett oder die Churchlands kurzerhand einfach zu der Tagesordnung übergehen, zu leugnen, dass es dieses Phänomen der Qualia überhaupt gibt. Kein Phänomen, keine Erklärung nötig, kein Problem, fertig...)
RoseHunter schrieb:Was sind die Dinge selbst?
Gute Frage. Ist in Bezug auf das, was ich sagte, aber eher irrelevant. Ich halte einen hypethetischen Realismus, der zumindest und der Einfachheit halber so tut, als gäbe es eine Wirklichkeit oder Dinge "an sich", für durchaus akzeptabel. Das hat zum Teil wohl auch einfach "praktische" o.ä. Gründe, so wie wir bspw. sagen, dass die Banane gelb
ist, obwohl sie genau genommen lediglich gelb
erscheint. Entsprechend sagen wir, dass auch die Dinge selbst wirklich
sind, obwohl sie möglicherweise - ähnlich wie im Traum - lediglich
erscheinen.
"Da hinten ist ein Baum" - so würden wir selbst im Traum noch sprechen, obwohl dort eigtl. gar kein Baum
ist, sondern, es gibt nur die Erscheinung eines Baumes, der dann auch noch so erscheint, als wäre er "da hinten", also in räumlicher Distanz, was aber ebenfalls reines Konstrukt ist.
Insofern sind (für mich) solche Phrasen wie "die Dinge selbst" o.ä. größtenteils alles erst einmal nur sprachliche Konventionen. Man beachte auch, dass dies hier bspw. zwei völlig verschiedene Aussagen sind:
a) es gibt eine Banane "an sich", die selbst nicht gelb ist
b) falls es eine Banane "an sich" gibt, dann ist sie selbst nicht gelb
Ich denke, Newton war eher Realist, der tatsächlich davon ausging, dass zumindest eine irgendwie 'farblose Banane' existiert, die bspw. Lichtwellen bestimmter Wellenlängen reflektiert. D.h., es gibt eine Banane "an sich", diese
ist zwar selbst nicht gelb, aber sie
ist zumindest bspw. tatsächlich von dieser oder jener Gestalt. Vor allem wird diese Annahme intuitiv dadurch begründet, dass Form und Gestalt irgendwie "objektiv" zu bestehen scheinen, d.h. alle Menschen kommen darüber zu einem Konsens (im Gegensatz etwa zur Farbe...). Ich fände es allerdings falsch, nicht nur bzw. weniger zu sagen, dass es Dinge "an sich" gibt, sondern vielmehr auch noch zu sagen, dass ihnen primäre Qualitäten tatsächlich zukommen. Das ist gewissermaßen eine 'positive' Aussage. Obige Aussage (b) ist eher eine 'negative' Aussage, die lediglich zum Ausdruck bringt, dass - falls Dinge "an sich" überhaupt existieren - ihnen zumindest sekundäre Qualitäten
nicht zukommen, sondern Produkt der (subjektiven) Wahrnehmung sind. Letztere Aussage enthält sich also eines Urteils darüber,
ob Dinge "an sich" überhaupt existieren und welche Qualitäten ihnen denn nun tatsächlich innewohnen.
Und damit sich der Kreis auch wieder schließt, noch einmal zurück:
Beitrag von Noumenon (Seite 12)Beitrag von RoseHunter (Seite 12)Beitrag von Noumenon (Seite 12)Und damit's klar wird, das Ganze noch einmal: Konstruktivismus, so wie ich ihn verstehe, bringt zunächst lediglich zum Ausdruck, dass der Naive Realismus falsch ist, mehr nicht. Bitte beachten, ansonsten verlieren wir uns hier wieder in endlos lange Diskussionen. Es geht wirklich nur um die obige Aussage (b), wie sie schon bei Newton - unabhängig von seinem eigentlichen ontologischen Standpunkt - mehr oder weniger zum Ausdruck kommt: Erst einmal unabhängig davon, ob es Dinge "an sich" gibt oder nicht, in jedem Fall wohnen ihnen keine sekundären Qualitäten (wie Farbe) inne. Und hier will jeglicher Konstruktivismus zunächst keine positive Aussage darüber treffen, wie die Dinge selbst - sofern es sie überhaupt gibt - sind, sondern eine negative Aussage darüber, wie sie zumindest
nicht sind. That's it.
:)RoseHunter schrieb:Und nun noch mal zum Anfang:
Die Dinge selbst. Wer sieht die? Woher weiß man, dass genau das "die Dinge selbst" sind?
Klingt einfach, wird aber immer schwieriger.
Ich habe zwar oben ein paar hoffentlich inspirierende Kommentare hierzu geliefert, aber letztendlich weiß ich das alles natürlich selbst auch nicht so genau (schön wär's...). Der ontologische Realismus klingt eigtl. so simpel und leicht verständlich - schon der Naive Realismus tat es - aber irgendwo ist da doch der Wurm drin. Ich würde gerne sagen, es gibt zumindest ein 3-dim. Objekt, das Form und Gestalt einer Banane hat, während das Gehirn dieses Objekt anschließend nur noch 'einfärbt', quasi 'texturiert', aber ich fürchte, so einfach ist es nicht... Auch die Vorstellung, dass es eben ausgedehnte Körper gibt, die irgendwie aus kleinen Teilchen ("Bausteinen") zusammengesetzt sind wie so ein LEGO-Modell (Bloch's "Klotzmaterialismus"), scheint nach allem, was wir derzeit wissen, alles andere als zutreffend zu sein. Hier verweise ich bspw. mal auf einen aktuellen (aber leider kostenpflichtigen) Artikel aus 'Spektrum der Wissenschaft'
hier.
Die Aussage
"die Realität sei nichts anderes als ein Traum" - oder der eine oder andere idealistische Standpunkt - ist sicherlich nicht voll und ganz zutreffend, aber kommt der Wahrheit vermutlich näher als die üblichen Ontologien im Stile eines Realismus. Auch von meiner Seite ja immer wieder der Hinweis, Analogien zu anderen Realitäten (Traum, Simulation...) zu ziehen.
Nehmen wir an, ich träume von einem Tisch: Woraus besteht nun dieser Tisch? Er hat Ausdehnung, Gestalt, Festigkeit, Gewicht... alle Eigenschaften, die wir dem Begriff der "Materie" zuschreiben. Lustigerweise sind Ausdehnung und Gewicht des Tisches größer als das meines Gehirns. Dennoch passt er irgendwie hinein. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Der Tisch ist nur Erscheinung (res cogitans) und es gibt keinen Tisch "an sich" (res extensa), keine Ausdehnung, kein Gewicht, nichts von alledem. Alle diese Eigenschaften sind überhaupt nicht real, sondern selbst lediglich Konstruktionen. Und entsprechend gibt es auch keinen Grund, bspw. anzunehmen, dass unser Universum so etwas wie "Ausdehnung" oder "Masse" besäße. Und auch die Frage, in welchem Raum sich unser Universum ausdehnt, ist in etwa so unsinnig wie die Frage, in welchem Raum sich meine Traumwelt befindet. Meine Traumwelt befindet sich auch nicht irgendwo räumlich lokalisiert in meinem Gehirn. Wo sollte sie sein? Welche Ausdehnung sollte diese Traumwelt haben, dass sie mitsamt eines 2m langen Tisches in mein Gehirn reinpasst? Weder im Traum, noch in der Wirklichkeit gibt es einen Grund, der zur Annahme etwa eines objektiv gegebenen Raumes oder einer objektiv gegebener Materie (bzw. Dinge "an sich") verpflichtet. Es gibt sicherlich eine objektive Realität - das ist wohl recht unzweifelhaft - aber diese ist nicht durch "Materie" in einer "Raumzeit" gegeben, sondern durch reines Beziehungsgefüge.
Was genau ist nun der Tisch aus meinem Traum? Scheinbar nur das Produkt der Dynamik eines neuronalen Netzwerkes. Ist für uns mit unserem Alltagsverstand schwer zu verstehen, aber es gibt nur diese Dynamik, ohne das Netzwerk. Traum ohne Gehirn, Simulation ohne Computer, Information ohne Informationsträger, Erscheinung einer Wirklichkeit ohne Wirklichkeit "an sich", dessen Abbild sie sei. Auch unser Gehirn konstruiert keine Wirklichkeit, es ist selbst - genau wie alles andere - konstruierte Wirklichkeit.
:)Der olle Quacksalber Dürr hat's auch schon oft genug versucht, irgendwie mit Worten auszudrücken, aber letztendlich ist es so wie er an anderer Stelle ebenfalls immer wieder betont:
Wir erleben mehr als wir begreifen. Und je weiter wir bspw. in den Mikro- und Makrokosmos vordringen, desto weniger wird dieses ganze Spektakel für uns begreifbar.
:(RoseHunter schrieb:Und dann kommt Quine, lässt einen Sprachforscher bei einem fremdem Eingeborenenstamm sitzen, einen der Stammesmitglieder auf ein vorbei hoppelndes "Kaninchen" (wie der Sprachforscher es nennen würde) zeigen und "gavagai" sagen.
Nun ist unmittelbar klar, "gavagai" in der Eingeborenensprache heißt bei uns "Kaninchen", oder?
Naja, da bist du wohl etwas belesener als ich. Beim Namen 'Quine' klingelt bei mir zwar irgendwie was, aber das war's auch schon.
RoseHunter schrieb:Aber es könnte auch den Schwanz des Kaninchens meinen, oder "Was ist denn das?" oder "Ahengeist" oder "böses Omen" oder "Abendessen" oder "heiliges Tier" oder "Kaninchenfliegen, die jedes Kaninchen begleiten" oder oder oder.
Wir würden einfach fragen, was denn nun genau gemeint ist, aber wenn wir die Sprache nicht sprechen oder noch schöner, wenn Sprache sich eben neu bildet, gerade "erfunden" wird, verfügt man einsichtigerweise noch nicht über den sprachlichen Apparat genauer nachfragen zu können.
Ja. Ist nicht ganz mein Themengebiet, aber ich verstehe, was du meinst, und kenne durchaus diese grob skizzierte Problematik, dass wir nicht zuletzt auch auf sprachlicher Ebene zu einem großen Teil vornehmlich
interpretieren tun.