Nachdem wir uns am Oberleder von Barschels linken Schuh reichlich festgebissen haben, zu etwas anderem. Ich muss mich mal selbst zitieren, da es schon etwas her ist:
OpLibelle schrieb am 02.01.2018:Und ich liefere Euch auch einen Vorschlag für ein Mordmotiv, welches meines Wissens bisher nirgendwo in Betracht gezogen wurde. Je nach Arbeitsstress wirds aber wohl erst was am Wochenende werden.
Woraufhin der User
@kleinundgrün zu recht fragte,
kleinundgrün schrieb:Welches Wochenende?
Na, dieses Wochenende.
Hey, ich habe einen Job und ich pflege auch noch "meinen eigenen" Diskussionsfaden, zu dem hier jeder herzlich eingeladen ist:
Wer ermordete Daphne Caruana Galizia?Und da das jetzt etwas länger wird, damit keiner enttäuscht ist: Ich behaupte nicht das ultimative Mordmotiv gefunden zu haben, dass alle anderen 30 Jahre lang übersehen haben. Ich werde auch keine Beweise, auch keine Indizien präsentieren (die ich nicht habe), sondern nur ein paar logische Überlegungen aneinander reihen.
Im Kern geht es mir um etwa anderes: User wie
@monstra und andere haben, wie ich finde nicht ganz unbegründet, darauf hingewiesen, dass alle Mordtheorien mit allerhand unbewiesenen oder auch unbeweisbaren Geiheimdienst-Klamauk einhergehen. Mal soll Barschel in jenes, mal in dieses Waffengeschäft verstrickt gewesen sein. Und selbst wenn er es war, macht das nicht unbedingt plausibel, dass er zu seinem eigenen Schaden etwas davon "auffliegen" lassen wollte.
Ich komme zwar auch zum Mossad als Täter, aber auf einem ganz schlanken, linearen Weg, der keine Verstrickung von Barschel in irgendetwas und keine beabsichtigte Selbstbezichtigung voraussetzt. Es könnte Barschel subjektiv aus heiteren Himmel getroffenn haben.
Und bitte, es ist ein Denkanstoß. Mehr nicht:
Im Januar 1963 hielt Karl Dönitz, Großadmiral im Ruhestand und die meiste Zeit des Krieges über Oberbefehlshaber der deutschen U-Boot-Flotte, einen Vortrag vor Gymnasiasten in Geesthacht. Der Auftritt sorgte in der Folgezeit für so viel Wirbel, dass sich der Schulleiter das Leben nahm.
Eingeladen zu der Veranstaltung hatte der Schulsprecher; der damals 17jähirge Uwe Barschel.
Gut zehn Jahre später, in der Nacht vom 08. auf den 9. Oktober 1973, befahl die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir, auf dem Raketenstützpunkt von Sdot Mich und der Luftwaffenbasis Tel Not insgesamt 13 Atombomben mit einer Sprengkraft von je 20kT TNT-Äquivalent einsatzbereit zu machen.
Es tobte der
Wikipedia: Jom-Kippur-Krieg und Israel drohte ernsthaft von seinen arabischen Feinden überrannt zu werden.
Neuerlich zehn Jahre später, am 28. Oktober 1983, informierte der Vorstandsvorsitzende der bundeseigenen Salzgitter AG, die wiederum Mehrheitseigner der Howaldtswerke Deutsche Werft (HDW) war, den deutschen Finanzminister und Vorgänger von Barschel im Amt des Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten, Gerhard Stoltenberg, darüber, dass Südafrika der HDW ein Angebot zum Ankauf von Konstruktionszeichnungen für U-Boote unterbreitet hatte.
Der Kreis derjenigen, die außerhalb von HDW über die Geschäftsanbahnung informiert war, ist elitär: Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß, Bundeskanzler Helmut Kohl und die Bundesminister Genscher und Bangemann, sowie der Chef des Bundeskanzleramtes Waldemar Schreckenberger. Hinzu kommt noch der Staatssekretär im Kieler Finanzministerium, Karl-Heinz Schleifer, der im Aufsichtsrat von HDW das Land Schleswig-Holstein vertrat, welches zu 25% an HDW beteiligt war.
Einer aber wusste von diesen Verhandlungen ganz sicher nichts: Der Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel.
Zusammen mit seinem Konstruktionsbüro - dem Lübecker Industriekontor (IKL) - lieferte HDW dem südafrikanischen Apartheit-Regime für 46 Millionen DM die Pläne. Und zwar ohne jedwede behördliche Genehmigung und entgegen einem schon seit 1963 bestehenden Waffenembargo der U.N. gegen Südafrika.
Am 26. November 1986 berichteten die Kieler Nachrichten von dem Deal.
Barschel tobte.
Vier Wochen später setzte der Bundestag den
Wikipedia: U-Boot-Pläne-Untersuchungsausschuss ein.
Die Nacht vom 08. auf den 09. Oktober 1973 hatte Israel gezeigt, dass das Prinzip der nuklearen Abschreckung, solange diese denn auf landgestützten Trägersystemen beruht, für ein kleines Land eher untauglich ist: Hätte die arabische Offensive sich auch nur noch einige Stunden erfolgreich fortgesetzt, Israel hätte sich gezwungen gesehen, die Waffen zu einem Zeitpunkt einzusetzen, zu dem der konventionelle Krieg durchaus noch nicht verloren war (wie der weitere Kriegsverlauf ja zeigt) oder sie zu vernichten, um sie nicht den Feind zu überlassen oder sie in einem ungeordneten Rückzug abzutransportieren, auf die Gefahr hin, sie dann später anderenorts nicht - oder nicht mehr rechtzeitig - einsatzfähig zu bekommen.
Die USA, Frankreich, England und die UdSSR (bzw. Russland) sicherten sich ihre Zweitschlagkapazität durch U-Boot gestützte Atomwaffen - und tun es noch heute.
Von dieser Lösung konnte Israel 1973 nur träumen.
Heute sichern fünf - demnächst sechs - in Kiel bei HDW gebaute und weitestgehend vom deutschen Steuerzahler bezahlte, problemlos atomwaffenfähige U-Boote der
Wikipedia: Dolphin-Klasse als ultima ratio die faktische Existenz des Staates Israel. Die Boote sind mit je vier überbreiten Rohren des Kalibers 650mm ausgestattet, über welche mit Nuklearsprengköpfen bestückte, Israelische See-Land-Raketen mit einer Reichweite von rund 1.500 km verschossen werden können.
Selbst ein vom Jordan bis zum Mittelmeer von seinen Feinden überranntes Israel könnte noch 20 arabische Haupt- und Großstädte in ein atomares Inferno stürzen (4 Rohre x 5 Boote).
Aber es war ein weiter Weg dahin:
1973 verfügte das Land über vier alte britische Boote, die noch aus der Zeit des II. Weltkrieges stammten und die dringend erneuerungsbedürftig waren.
Ebenfalls etwa 1973 oder 1974 erklärte sich Deutschland dann zwar bereit, U-Boote an Israel zu liefern, aber natürlich keine Atomwaffen-Träger, die HDW auch schlichtweg nicht im Programm hatte. Trotz des klaren deutschen Bekenntnisses zum Existenzrecht Israels, war der Deal selbst bzgl. einfacher Boote zur Küstenverteidigung so heikel, dass man die Boote - auch wenn durch und durch aus deutscher Technik bestehend - in England zusammendengeln ließ (
Wikipedia: Gal-Klasse).
Nur wenige Jahre nach der Lieferung des letzten Bootes der Gal-Klasse, fragte Israel in Deutschland nach einem Nachfolgemodell an - mithin ausgesprochen früh, wenn man die typische Zyklen solcher Waffensysteme bedenkt.
Geliefert wurde das Folgesystem zwar erst lange nach Barschels Tod, geplant wurde es aber schon zu seinen Lebzeiten: 1986 begannen die Konstruktionsarbeiten für die Dolphin-Klasse bei der IKL. Und spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte auch klar gewesen sein, für welchen Einsatzzweck diese Boot bestimmt waren - oder jedenfalls auch bestimmt waren.
Zwar erfolgte die Lieferung des ersten Bauloses über die ersten drei Boote noch ohne die überbreiten Rohre, doch die Boote waren kaum in Haifa eingelaufen, da rissen die Israelis vier Standardrohre raus und ersetzten sie durch die überbreiten Rohre.
Dies ging nur deswegen so problemlos, weil der Einbau solcher Rohre bei der Konstruktion von Anfang an berücksichtigt wurde. Konsequenter Weise verzichtet man dann auch beim zweiten Baulos auf dieses Feigenblatt und lieferte ab Werft Kiel gleich mit 650mm aus.
Und Barschel?
Barschel wusste nichts von dem Südafrika-Geschäft. Aber man kann einigermaßen sicher annehmen, dass er sich seinen Finanzstaatsekretär und HDW-Aufsichtsrat Karl-Heinz Schleifer zur Brust genommen hat, nachdem er von dem Deal aus der Zeitung erfuhr. Ebenso, wie er seinen Unmut laut gegenüber seinem Amtsvorgänger Stoltenberg Luft machte. Und auch die Chefs von HDW und IKL dürften nicht verschont geblieben sein. Wir dürfen einigermaßen sicher sein, dass Barschel spätestens ab Dezember 1986 wusste, dass in seinem Bundesland, in Kiel, der Stadt seines Amtssitzes, die Bundesrepublik Deutschland an einem Kernstück der nuklearen Abschreckungsstrategie Israels arbeitet.
Deutschland verstößt mit der Lieferung der Dolphin-Boote sicherlich nicht gegen den Wortlaut des Atomwaffensperrvertrages. Ob es gegen den Geist des Vertrages verstößt, darüber ließe sich vielleicht streiten. Darauf kommt es aber auch gar nicht an.
Ein einziges Wort Barschels über den Zweck dieser Boote vor dem Kieler Untersuchungsausschuss oder auch dem Bonner U-Boot-Pläne-Ausschuss, und das Projekt wäre tot gewesen. Im Jahre 1987 hätte die bundesdeutsche Öffentlichkeit schlichtweg keine Lieferung deutscher Atomwaffenträger an wen auch immer akzeptiert. Der unappetitliche, kontextuelle Zusammenhang zum Südafrika-Deal wäre noch hinzugekommen.
Warum hätte Barschel vor einem der Untersuchungsausschüsse über den deutschen Beitrag zu Israels Nuklearrüstung reden sollen?
Wer Barschel eher zugeneigt ist, könnte zum Beispiel an eine ehrlich empfundene, ethisch-moralische Ablehnung Barschels für diesen Typ von Waffen denken, deren einzige Funktion - sollten sie jemals zum Einsatz kommen - Rache ist. Frei von parteipolitischen Zwängen und ohne Rücksicht auf die ja ohnehin schon zerstörte eigene politische Karriere, hätte Barschel quasi als letzte Handlung seines Politikerlebens den Deal unterbinden können. Und dabei - so ganz nebenbei - der Öffentlichkeit sein ethisches Wertesystem präsentieren können, an dem so arg gezweifelt worden war.
Wer Barschel weniger zugeneigt ist, dem wird sich als ein mögliches Motiv für eine mögliche diesbezügliche Aussage Barschels zumindest Rache an seinen Partei"feunden" aufdrängen, die ihn wie eine heiße Kartoffel hatten fallen lassen.
Barschels endgültiger politischer Tod ereilte ihn erst nach seinem Rücktritt, als er sich schon auf seiner Spanien-Reise befand: Ausgerechnet Karl-Heinz Schleifer erinnerte sich plötzlich daran, dass Barschel ihn angeblich eines Tages angerufen und gefragt hatte, was eigentlich aus der Steuerstrafanzeige gegen Engholm geworden war. Barschel hatte behauptet, von der Anzeige erst durch die Presse erfahren zu habe. Wenn Schleifer die Wahrheit sagte,musste Barschel gelogen haben. Das erst machte ihn endgültig zur persona non grata in der CDU.
Hätte Barschel vor einem Untersuchungsausschuss über die Dolphin-Boote geplaudert, HDW-Aufsichtsrat Schleifer wäre das erste und kleinste Opfer der dann zu erwartenden öffentlichen Entrüstung geworden.
Es kommt aber eigentlich weniger darauf an, ob Barschel wirklich vor einem Untersuchungsausschuss ins Plaudern gekommen wäre - und falls ja, aus welchen Motiven -, sondern für wie real der damalige Israelische Ministerpräsident
Wikipedia: Jitzchak Schamir die Gefahr hielt, dass dies passieren könnte.
Im Kampf für seinen Traum eines jüdischen Staates, war Schamir an den Planungen für mehr als nur einen Mord beteiligt gewesen (
Wikipedia: Lechi ,
Wikipedia: Massaker von Deir Yasin,
Wikipedia: Folke Bernadotte).
Als Israelischer Ministerpräsident sah er die Waffe, die den jüdischen Staat in letzter Konsequenz unangreifbar machen würde, auf den Zeichenbrettern der Lübecker U-Boot-Konstruktuere im Entstehen.
Konnte er es da wagen, dass vielleicht ein gescheiterter, deutscher Regionalpolitiker ihm diese Waffe durch ein paar unbedacht Äußerungen zunichte machte?
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Um es nochmal deutlich zu sagen: Ich bezichtige nicht Schamir, den Mord an Barschel in Auftrag gegeben zu haben, ich will lediglich einen Denkanstoß zu einem möglichen Mordmotiv geben, das ohne James-Bond-Schnickschnack auskommt.