@monstra Wow, Sehr viel Mühe und Text. Sehr schön ! Ich fange ordnungsgemäß vorn an:
monstra schrieb:1. Selbstmord als Mord. Nettes Krimithema. Es gibt zwar immer wieder Versuche, einen Mord als Selbsttötung zu tarnen, aber entweder wird das anhand der Spurenlage relativ schnell enttarnt (Obduktion usw.), oder die Art und Weise ist von vorneherein auf das Vernichten von Spuren angelegt (Brand, Zerstörung der Leiche). Mir ist kein Fall bekannt, in dem erst nach langen mühsamen Ermittlungen entgegen allen Anscheins eine vermeintliche Selbsttötung als Mord entlarvt wurde. (...)
Natürlich landen wir gerade beim Thema "Geheimdienst" geradezu unausweichlich bei den VT. Es ist schließlich Sinn und Zweck des Geheimdienstes, nicht alle Methoden offen zu legen. Und natürlich, Geheimdienste im Allgemeinen und Speziellen umweht immernoch dieser "007-Mythos" von Geheimwaffen und Tötungsmethoden die niemand kennt und/oder erkennt. Dennoch stehen im realen Leben bei einer Tötungsabsicht auch einem Geheimdienst (sofern er überhaupt entspr. agiert bzw. agieren darf) alle Möglichkeiten offen, die einem nicht geheimdienstlichen Akteur offenstehen. Schlussendlich auch die offenbar schwierigste Methode, einen Mord als Selbstmord zu tarnen. Man könnte nun trefflich innerhalb einer VT darüber diskutieren, ob es am Ende überhaupt darum ging, einen Selbstmord vorzugaukeln oder dieses Bild eher ungewollt bzw. zufällig dabei entstand. Oder darüber, ob es einigermaßen gelang einen Suizid vorzutäuschen oder eben gründlich misslungen ist. Wir werden es mutmaßlich nie erfahren. Allerdings kann man seinen Blick von möglichen Tätern auch einfach wieder auf die vorhandenen Hinweise/Spuren/Indizien richten. Da haben wir ein Obduktionsergebnis und eine Fundsituation zu beleuchten. Das Obduktionsergebnis steht natürlich ersteinmal als Fakt im Raum. Doch es lässt beide Theorien zu. Sowohl den Suizid (sei er nun begleitet worden oder nicht) und Mord. Gänzlich ausschließen kann der Bericht leider keine These.
Die Fundsituation ist auch nicht klarer. Hier gibt es die bekannten, erklärungswürdigen Kleinigkeiten, die eben -je nach der schon besprochenen Sichtweise- eben so oder so ausgelegt werden können oder eindeutig uneindeutig sind. Aber sie sind da. Ohne eine bislang eindeutige Erklärung des Zustandekommens von offizieller Seite.
monstra schrieb:(...) Den meisten Menschen ist noch nicht mal bekannt, dass deutsche Geheimdienste reine Informationsdienste sind, die weder im In- wie im Ausland aktiv handeln dürfen. Die Tötungs(-versuche) von Geheimdiensten, die wir kennen (Mossad, Stasi, CIA) beruhten meist auf offensichtlicher Gewalteinwirkung (Erschießen, Bombe, Polonium).(...)
Hier diskutieren wir indirekt schon über das Motiv für eine Tat und damit über den Rückschluss auf eine mögliche Täterschaft. Das ist ggf. schon einen Schritt zu weit. Nun, ein Geheimdienst kann entweder selbst agieren oder gewissermaßen agieren lassen. Für letzteres stehen viele Wege offen. Von Instrumentalisierung bis Erpressung oder Bezahlung von Einzeltätern oder ganzen Gruppen. Wenn wir uns als Beispiel dafür in einem Exkurs z.B. den sog. "Gladio-Operationen" zuwenden, einfach weil viel darüber inzwischen offiziell untersucht und freigegeben wurde, ist in den dortigen Fällen nicht der Geheimdienst selbst aktiv geworden, sondern es wurden Untergrund- oder Terrorgruppen bestimmter politischer Ausrichtung oder Gewaltbereitschaft aktiviert und lediglich geheimdienstlich logistisch und Materiell unterstützt. Wenn ein Geheimdienst selbst agierte, war -in den wenigen bekannten Fällen- oftmals entweder zu wenig Zeit für die Aquise von Dritten und/oder es sollte ein entsprechend klares Zeichen nach außen gesetzt werden. Dementsprechend offensiv wurde dann auch vorgegangen. Wir kennen im Gegensatz dazu jedoch kaum oder sogar garkeine Fälle, in denen einem Geheimdienst eine Operation ohne offensiven Charakter (Zeichen) bzw. Zeitdruck gelungen wäre, eben weil zum Gelingen einer solchen Operation gehört, dass die "wahren" Täter nie ermittelt werden können und auch nicht offensichtlich sind.
monstra schrieb:(...) Ich frage mich aber: Wie und warum soll ein Dienst das machen?
Darüber wie ein Dienst es gatan haben
könnte, gibt es mehrere Theorien. Mittels improvisierter Magensonde (Schlauch durch Hals) und/oder rektal ist nur eine davon. Alles ist in der Theorie möglich und praktisch (noch) nicht bewiesen. Das Problem: Es gibt Anhaltspunkte z.B. in Form von kleinen punktförmigen Verletzungen im Rachenraum des Opfers, dass auf das Einführen eines entsprechenden Schlauches hindeuten kann. Das allein reicht jedoch nicht als Beweis einer solch unterstellten Handlung durch Dritte aus. So ist es immer wieder in diesem Fall. Jeder Hinweis für sich scheint anzuzeigen, es stimmt was nicht. Barschel war nicht allein als er starb. Aber genauso ist jeder Hinweis für sich nicht beweiskräftig genug, Theorien auszuschließen oder klar zu belegen. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob die Menge der Indizien eine Kette bilden kann oder ob Details bislang übersehen wurden. Deshalb würde ich mir von einer neuerlichen Untersuchung durch unvoreingenomme Experten verschiedener Fachgebiete erhoffen, ein eindeutigeres Ergebnis zu erarbeiten. Wenn dies nicht gelänge, wäre immerhin alles getan worden, hier für mehr Klarheit zu sorgen. So wie es jetzt ist, steht ein zumindest für mich persönlich unbefriedigendes, schwammiges Ergebnis im Raum. Der Fall scheint mir eben doch nicht ausermittelt sein.
Ein ganz anderes Thema ist das Motiv, welches ein Dienst gehabt haben könnte. Es gibt tausende unterstellte Motive die bereits in diesem Fall angeführt wurden. Viele davon sind mMn nach an den Haaren herbei gezogen und eher infantile Krimiphantasien. Andere hingegen erscheinen durchaus schlüssig. Ohne Wertung der Person Dr.Dr. Uwe Barschels ist jedoch (inzwischen) Fakt, dass er nicht ausschließlich Landespolitik im Sinne des Bürgerauftrages betrieb. Er war in Grauzonen der Legalität unterwegs, in der Halbwelt von Waffenhändlern, deren Lobbyisten, Geheimdiensten und hatte auch Kontakte zu Diktatoren und deren Clans. Wie ich bereits in meinem vorangegangenen Beitrag schrieb, ist es leicht bis unvermeidbar, sich in diesem Umfeld auch ggf. mächtige Feinde zu machen. Möglicherweise ohne es selbst zu wissen. Denn seine Tavor-Abhängigkeit hatte ggf. sogar dafür gesorgt, dass er so tief in diese Machenschaften hinein geraten ist, ohne das ihn die natürliche Angst und Vernunft gebremst hätte. Das ist aber spekulativ und soll hier kein Plädoyer für irgendetwas darstellen. Ich komme jedenfalls zu dem Schluss, dass es durchaus Motive für einen Mord gibt.
monstra schrieb:Du argumentierst aus Ermittlersicht. Aber die Ermittlungen sind eingestellt, der Fall ist ausermittelt. Wo wären noch Ansatzpunkte für Ermittlungshandlungen, wenn man eine Soko Barschel erneut einberufen würde?
Das stimmt. Offiziell ist der Fall ausermittelt. Ebenfalls richtig, ich schreibe eher aus Ermittlersicht. Allerdings steht es nicht in meiner (juristischen) Macht, irgendetwas offiziell daran zu ändern. Und das ist auch nicht mein Ansinnen. Denn sonst wäre ich wohl eher nicht in diesem Forum. Ich persönlich sehe viel mehr den Ansatz, alles nochmals gründlich und mit einer Gruppe von Experten des jeweiligen Fachgebietes zu untersuchen und anschließend zu bewerten. Denn ich persönlich kann mich des Eindruckes nicht erwähren, dass nicht immer alles objektiv, unvoreingenommen und mit absoluter Professionalität mit den jeweils besten zur Verfügung stehenden Mitteln und Methoden untersucht wurde. Vor allem wurde ggf. nicht alles an Einzelhinweisen/Indizien zusammengebracht, wie es heute beim sog. Profiling der Fall ist. Wenn, gibt es nur so noch eine minimale Chance auf mehr Licht im Dunkel des Istzustandes.
monstra schrieb:Ich sehe die Sache eher als Richter. Und als solcher ("freie richterliche Beweiswürdigung") hätte ich beim Stand der Ermittlungen keine vernünftigen Zweifel mehr (auch wenn Restzweifel verbleiben), dass sich Barschel selbst getötet hat. Im einzigen gerichtlichen Szenario, dass ich mir vorstellen kann (Zivilprozess) wäre die Entscheidung auch so, da bin ich überzeugt. Ich halte die Erkenntnislücken einer Suizidtheorie, die wohl für immer bleiben müssen, für geringer und unwesentlicher, als die riesengroßen Erkenntnislücken einer Mordtheorie, der ganz wesentliche Ansatzpunkte fehlen.
Das ist ja bereits der aktuelle Stand. Es wird -soweit ich weiß- aktuell nichts mehr ermittelt und/oder untersucht. Natürlich kann eine Theorie recht "rund" sein und nach dem Status quo auch zu einer solchen Entscheidung führen. Das ist aus juristischer Sicht auch in Ordnung. Doch wenn man den nötigen Aufwand, die erforderlichen Mittel und auch die mögliche Chance auf ein anderslautendes Untersuchungsergebnis einmal ausblendet, erkennt man auch das Potenzial was in den Lücken der Mordtheorie ggf. durch oberflächliche und voreingenomme Untersuchungen ungenutzt brachliegt. Was wäre, würde es tatsächlich "den" einen Hinweis darunter geben, der die Anwesenheit einer oder mehrer dritter Personen während des Sterbeprozesses des Opfers beweisen würde ? Mir ist klar, wahrscheinlich wird es die entsprechende Untersuchung nicht geben. Aber aus meiner persönlichen Sicht, ist dieser Fall eben nicht sauber, professionell und auch ausermittelt zuende gebracht worden.
monstra schrieb:Würde es sich nicht um einen prominenten Fall aus der Politik handeln, hätte niemand auch nur ein Wort über "Ermittlungsfehler" der Polizei verschwendet. (...)
Natürlich ist es der Prominenz des Opfers geschuldet, dass überhaupt mal jemand hingesehen hat. Wäre dort ein unbekannter und persönlich verzweifelter Mensch umgekommen, es hätte mutmaßlich nicht einmal zu einer Spalte in der Lokalpresse gereicht. Aber das heißt im Umkehrschluss nicht, dass dieser Unbekannte tatsächlich Suizid begangen und nicht ermordet worden wäre. Er hätte nur keine Lobby gehabt, die entsprechende Aufklärung einzufordern. Wie lange hat es gedauert, bis aus unzähligen "natürlichen Stebefällen" auf der Geriatriestation eines Krankenhauses/Pflegeheimes ein Serienmord wurde ? Es gab mehrere Fälle in denen in zweistelliger Höhe gemordet wurde, ohne das es mangels Prominenz der Opfer und unvoreingenommener Ermittlung zu den richtigen Schlüssen kam und ein Serienmord festgestellt werden konnte.
monstra schrieb:Der BND ist vorrangig eine Behörde, die der Beschaffung von Informationen über außen- und sicherheitspolitische Fragen verpflichtet ist. Jede Einflussnahme auf Ermittlungen wäre ihm verboten und für die beteiligten Beamten eine schwere Dienstpflichtverletzung. Als der BND 2004 Terrorverdächtige in US-Gewahrsam in Guantanamo oder Syrien befragt hat, war das schon ein riesiger Aufstand. Der BND hatte 1987 sicher auch einen Verbindungsbeamten in der Schweiz, aber der diente vorrangig als Kontaktmann für die Schweizer Nachrichtendienste. Eigene Spionage/Ausspähung z.B. in Genf durfte der aber nicht betreiben. Ich sehe zudem kein Interesse oder Motiv, warum der BND auf die Ermittlungen Einfluss nehmen sollte.
monstra schrieb:(...) Gäbe es Motive oder Spuren, die nicht in Richtung Mord und NICHT zugleich in Richtung Geheimdienste zeigen würden, dann wäre ich einer Alternative gegenüber aufgeschlossener. Doch alle Wege führen nur dahin und setzen deshalb ein Bild von Geheimdiensten voraus, das zumeist wenig der Realität entspricht. Natürlich kann man diese Realität auch wieder als Illusion der Dienste abtun, aber dann haben wir es mit metaphysischen Monstern zu tun, an die in VT geglaubt wird, aber selten unter Polizeibeamten und Staatsanwälten.
So steht es in den Statuten. Trotzdem sollte bei aller Geheimhaltung nicht übermäßig verwundern, dass gegebene Möglichkeiten in Geheimdiensten als Resource auch für das illegale Ausspähen von Spitzenpolitikern befreundeter Nationen und zur ebenfalls illegalen Informationsbeschaffung in der Wirtschaft (Wirtschaftsspionage) genutzt wurden und wohl auch heute noch werden. Genauso hat es immer Personen gegeben, die in "bedauerlichen Einzelfällen" ihre Kompetenzen weit überschritten und eigenmächtig Mittel und Möglichkeiten innerhalb der Dienste zweckentfremdeten. Ich persönlich bin zumindest dem BFV/BND/MAD usw. wohlgesonnen. Ich stehe den Diensten eher mit Dankbarkeit für ihre Arbeit, als mit pauschalem Misstrauen und Ablehnung gegenüber. Das tue ich, obschon ich über die Existenz der oben genannten Praktiken weiß. Denn die Existenz dieser Dienste ist unbestritten existenziell für einen Staat, der in der Welt Gehör finden möchte und sich aufgrund seiner Größe, Wirtschaftsmacht und Eigenständigkeit entsprechenden Angriffen von außen erwehren muß. Egal wie man nun zu den angewandten Methoden steht, ist das die Realität.
Ich persönlich fühle mich deshalb jedoch nicht genötigt, ein schöngefärbtes Bild der deutschen Geheimdienste zu zeichnen, deren vorderrangige Aufgabe scheinbar darin besteht, Marmelade für Waisenhäuser zu kochen. Das erscheint mir außerhalb politischer Öffentlichkeitsarbeit etwas zu naiv. Nennen wir die Dinge doch beim Namen. Natürlich ist Wissen Macht. Und natürlich verursacht schon die Information an sich gerne mal Kollateralschäden auf dem Weg zu ihrem Ziel, eigene Staatliche Interessen wahrzunehmen und zu schützen. Genauso verhält es sich, wenn -ggf. sogar ungewollt- Informationen gewonnen werden, die das Potenzial haben, die eigenen Strukturen und/oder den Staat/die Öffentlichkeit/die Sicherheitsinteressen nachhaltig zu gefährden. Der Umgang mit solchen Informationen ist dann strenge Ermessenssache und äußerst sensibel. Heraus kommt dabei dann entweder deren Vernichtung oder sie werden zunächst -unter höchster Geheimhaltungsstufe- weggeschlossen. Im besten Fall werden "nur" eigene Mitarbeiter oder Quellen gefährdet. Da wird schon eher mal archiviert und bei drohender Veröffentlichung fleißig geschwärzt. Kurz und gut: Die Geheimdienste sind per se keine Monster. Aber auch sicher keine Kuscheltiere. Das gilt im übrigen gerne auch mal für Großbanken und Konzerne. Das ist das Spiel. Man kann damit leben oder eben nicht. Nur verleugnen sollte man diese Tatsache auch nicht unbedingt.
Im vorliegenden Fall glaube ich persönlich im übrigen nicht, dass der BND seine Finger im Spiel hat. Auch wenn zur gleichen Zeit ein -nennen wir ihn- "freier Mitarbeiter" nebst Mitarbeiter und Gattin mit eigenem Flugzeug angereist vor Ort, jedoch in einem anderen Hotel war. Da ging es eher um das Treffen einiger der größten Waffenhändler und die entsprechenden Kunden oder andere außenpolitische Angelegenheiten, weniger um die persönliche "Mission" des Dr.Dr. Uwe Barschel.Außerdem ist der BND weit davon entfernt, eigene sog. Hit-Teams zu unterhalten. Dafür ist die BRD auch ein zu kleines Licht und geheimdienstlich zu abhängig. Es dürfte auch nicht im Interesse unserer Politik sein, nach all den Dingen, die im letzten Jahrhundert passiert sind, solche drastischen Dinge zu betreiben. Sicher nicht.