@steven01 steven01 schrieb:Wenn es einen Punkt an der ganzen Geschichte gibt den ich fahrlässig nenne dann diesen, also ich meine damit kann untergehen was will wird schon einer rechtzeitig kommen und retten.
Dieser Punkt spielte in der ganzen Geschichte wohl wirklich die kleinste Rolle.
Im Vergleich zu heutigen Passagierschiffen war die Titanic, was Sinksicherheit angeht, in der oberen Liga (heutige Kreuzfahrtschiffe sind normalerweise Ein-Kompartment-Schiffe). Schiffbauingenieure müssen beim Design immer Kompromisse schließen zwischen Sicherheit und Zweckmäßigkeit. Es ist durchaus möglich, ein Schiff gegen Lecks immun und damit praktisch unsinkbar zu machen, das ist eine beliebte Prüfungsaufgabe für angehende Ingenieure, allerdings kann man mit einem solchen Schiff kein Geld verdienen.
Indem man ein Schiff als Zwei-Kompartment-Schiff konstruiert, hat man eine große Anzahl an rationell erwartbaren Leckagen unter Kontrolle gebracht. Ein Schiff wird auch so gebaut, dass es die normalen Belastungen, die auf See zu erwarten sind, überstehen kann. Die Erfahrungen mit der Olympic zeigt, dass die Konstruktion, bis auf ein paar nachträgliche Verbesserungen, gesund war (das Verhalten der Olympic in den Januarstürmen 1912 hat das gezeigt) und ich persönlich hätte keine Bedenken, auf einem Schiff dieser Klasse zu reisen.
Die Sache mit den Rettungsbooten z. B. war eine komplett andere.
Die menschliche Erfahrung in der Seefahrt hat bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gezeigt, dass man auf die Stabilität und Sinksicherheit des Schiffs setzen sollte, nicht auf Rettungsmittel. Rettungsboote waren Mittel, um Mannschaft und Passagiere auf ein anderes Schiff überzusetzen und nicht als autarke Evakuierungssysteme gedacht.
Was hätte es z.B. im ausgehenden 19. Jahrhundert gebracht, bei einem sinkenden Schiff die Besatzung auszubooten? Schiffe sinken nicht ausschließlich bei gutem Wetter und in einem offenen Boot mit kaum 50 cm Freibord hat man keine große Überlebenschance, wenn die See rauh wird. Bis heute gilt zumindest bei Yachten, dass man nicht das Schiff verlassen sollte, sondern man soll warten,bis das Schiff einen verlässt, da selbt ein sinkendes Schiff in der Regel sicherer ist als eine Rettungsinsel (siehe auch den Fall der "Marie Celeste"). Das ist jetzt natürlich nicht so ohne weiteres auf große Schiffe zu übertragen und hängt auch von der Art der Havarie ab.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hätte man hoffen müssen, dass ein Schiff in Sichtweite herankommt und die Notsignale erkennt, und das ist selbst heute ein Glücksspiel, obwohl der Verkehr heute viel dichter ist. Natürlich wurden die Menschen ausgebootet, wenn es dem Ende zuging, aber es gibt nur wenige Fälle, bei denen das schlußendlich etwas brachte (der Fall der "Medusa" fällt mir dazu ein). Havarierte Schiffe blieben gewöhnlich auf dem Meer, wie man das nannte, also sie blieben verschollen mitsamt der Besatzung. Somit hatten Boote an Bord nur Sinn, wenn es ein anwesendes Schiff gab, was diese auch aufnehmen konnte.
Dies änderte sich erst mit der Einführung der Funktelegraphie, 12 Jahre vor dem Untergang der Titanic. Von da ab bekamen Rettungsboote als autarke Überlebensmittel einen Sinn. 1909 gab es dann allerdings den Fall der "Republic", bei der der Funker Hilfe herbeiholte und das Schiff solange schwimmfähig blieb, bis alle Menschen in einer siebenstündigen Aktion auf die "Baltic" übergesetzt worden waren. Dies war sozusagen die Blaupause, wie man sich in Zukunft die Evakuierung eines Schiffs vorstellte.
Dass die Titanic so schnell sank, war der großen Beschädigung durch den Eisberg geschuldet und war kein Versagen der Konstrukteure. Auch mit Rettungskapazität für alle Menschen an Bord wären nicht wesentlich mehr gerettet worden.