@wolf359 wolf359 schrieb:ob es eine uns noch unbekannte natürliche Umgebung eine vergleichbare Funktion ausüben könnte, wie ein Labor...
Dazu müsste man schon konkreter werden. Rein hypothetisch ist vieles möglich, aber ob es auch Realität werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab, die man dann konkret benennen müsste. Spekulieren in den blauen Dunst hinein, führt da zu nichts. Wenn Du eine Idee hast, wie Polymere mit Silizium entstehen können, obwohl auf Himmelskörpern zumindest zeitweilig immer Wasser präsent ist, dann bin ich ganz Ohr.
wolf359 schrieb:Ich gehe mal davon aus, das er gute Gründe dafür hat...
Das war doch offensichtlich. Er wirbt für eine neue Titan-Mission. Und da das Reizwort "Leben" eher dazu geeignet ist, Finanzmittel bereitgestellt zu bekommen als "Methan-Kreislauf", liegt es nahe, Methan als Alternative zu Wasser in Bezug auf eventuelle Organismen ins Spiel zu bringen.
wolf359 schrieb:Vielleicht würde man aber nur im Zeitraffer erkennen, das es sich um Leben handelt...
Je langsamer eine chemische Prozesskette abläuft, um so eher läuft sie Gefahr, der wachsenden Entropie zum Opfer zu fallen. Auf der Erde haben sich sukzessive immer komplexere Reaktionsketten herausgebildet, die über eine Vielzahl von Rückkopplungen der wachsenden Entropie etwas entgegen setzen konnten.
Auf Titan ist es jedoch so kalt, dass zum einen die Reaktionsketten sehr langsam ablaufen (einschließlich der möglicherweise vorhandenen Rückkopplungen) und zum anderen die dazu nötigen Polymere nicht komplex genug sein können, um komplexe Reaktionsnetze überhaupt zu ermöglichen.
Auf das Problem mit dem Reaktionswasser bei Polykondensationen bin ich bereits eingegangen. Die Polymere würden sich über kurz oder lang verbrauchen, weil Wasser als Reaktionsstoff für weitere Reaktionen nicht zur Verfügung steht. Damit dünnen Reaktionsabläufe nach und nach aus, so dass die zur Entropietrennung erforderliche Komplexität des Reaktionsnetzwerks stetig abnimmt. Damit erliegen solche Systeme der wachsenden Entropie.
wolf359 schrieb:Es könnte ja sein, das eine Lebensform einen in (verhältnismäßig gesehen...) "wärmeren Zeiten" angelegten Energievorrat angreift, ...
Wo soll denn aber diese Lebensform herkommen? Spekulierst Du auf Transspermie? Und selbst wenn - in flüssigem Methan geht nichts mehr, weil darin selbst ein eutektisches Wasser-Ammoniak-Gemisch als Frostschutzmittel versagt. Ein paar letzte Zuckungen vielleicht, aber dann ist Ende.
wolf359 schrieb:Mobilität und Stoffwechsel. Das einzige was hier noch fehlt ist die Fähigkeit zur Vermehrung...
Frei nach dem Prinzip "Sieht aus wie ..." kann man vieles als fast-lebendig bezeichnen. Mit etwas Wohlwollen trifft das auch auf eine Kerzenflamme zu: Sie weist Stoffwechsel auf und kann auf eine Vielzahl von Kerzen vermehrt werden.
Entscheidend für Lebewesen ist die Fähigkeit zur Entropietrennung. Diese gelingt über Stoffwechsel, Membranabgrenzung und Aufteilung von Vererbung und Katalyse auf Polymere von zwei verschiedenen chemischen Stoffklassen mit Hilfe von Translation. Polymere sind notwendig, um den Stoffwechsel hinreichend komplex werden zu lassen, damit der Zustand geringer Entropie hinreichend lange aufrecht erhalten werden kann, um Vermehrung und Evolution zu ermöglichen.
Kristalle können sich zwar reorganisieren, weil jedes Teilchen seinen festen Platz einnimmt, der über die Kristallgitterstruktur vorgegeben wird, aber ein komplexer Stoffwechsel, wie er zur Entropietrennung nötig ist, kann sich nicht etablieren - einige primitive Varianten vielleicht, wie in Deinem Beispiel, aber eben nichts umfangreicheres, weil die Rückkopplung auf die Kristallstruktur ausbleibt, die ihrerseits wieder auf die Variationsbreite der Stoffwechselwege rückkoppeln müsste, um sich allmählich "hochzuschaukeln".
Was aber an diesem Beispiel interessant ist, ist die Möglichkeit, dass solche primitiven kristallgebundenen Stoffwechselwege eventuell auf der Erde stattgefunden haben, als die Chemische Evolution noch nicht sehr weit fortgeschritten war. Zu einem späteren Zeitpunkt hätten sich dann andere Systeme von der Kristallbasis "emanzipiert" und wären zu Protozellen evolviert. Aber das ist ein anderes Thema, das mit Titan nichts weiter zu tun hat.
wolf359 schrieb:Möglicherweise liegt hier der Schlüssel, alle Kriterien für Leben in einer natürlichen Umgebung zu erfüllen...
Nein, das glaube ich nicht. Ich möchte nicht ausschließen, dass die eine oder andere Reaktion über Kristallflächen katalysiert werden könnte (z.B. auch die Reaktion von Ethin mit Wasserstoff zu Methan), aber diese Art von Oberflächenmetabolismus ist von einem echten lebenden System noch sehr weit entfernt.
wolf359 schrieb:Aber ich gehe davon aus, das der Titan einmal eine dünnere Kruste gehabt hat, ...
Kurz nach der Entstehung war das sicher so, aber das Problem des nicht abführbaren Wassers unter der Eisdecke macht es unwahrscheinlich, dass dort aus eventuell dort angekommenen Aminosäuren Peptide geworden sind, die sich zu Proteinen hätten auswachsen können.
Mit den RNA-Basen ist es ähnlich. Mal abgesehen vom fehlenden Phosphat (das Rückgrat könnte auch über Peptide gebildet werden, so dass Peptid-Nucleinsäuren = PNA entstehen würden) - auch hier liefe die Verkettung über Polykondensation ab, so dass Wasser als Nebenprodukt entsteht. Das Problem der Verschiebung des chemischen Gleichgewichts in Richtung der Ausgangsstoffe wäre somit nicht umgangen.