RayWonders schrieb:also ist alles rein physikalisch/chemisch?
Auf der basalen Ebene ja, da laufen dann nur noch physikalische Prozesse ab (Chemie ist streng genommen auch Physik).
RayWonders schrieb:ich nehme jetzt einfach mal den Prozess der Zellteilung bei dem DNA kopiert wird. irgendwie muss das doch ausgelöst werden.
Richtig. Es gibt auf der DNA Erkennungsregionen, an die sich bestimmte Proteine anlagern. Während der Anlagerung verformt sich die Doppelhelix und "schmilzt" an einigen Stellen auf - also, sie teilt sich in die beiden Einzelstränge auf. An diesen Stellen lagert sich dann die DNA-Replicase (wieder ein spezifisches Protein) an und trennt die Doppelhelix weiter auf, so dass eine gabelförmige Struktur entsteht (Replikationsgabel). Entlang der Einzelstränge werden nun DNA-Nucleotide angelagert, so dass am Ende dann zwei vollständige DNA-Doppelhelices entstanden sind.
Der Auslöser für das Anlagern ist mit dem Zellzyklus verknüpft. Auch hier spielen bestimmte Proteine (Proteinkinasen) eine regulierende Rolle. Details dazu finden sich hier zum Nachlesen:
Wikipedia: Zellzyklus#RegulationInsgesamt also ein recht komplexer Prozess, der nie abgeschlossen ist, sondern über Rückkopplungen im steten Fluss gehalten wird. Ändern sich die Rahmenbedingungen, wird der Fluss modifiziert, so dass eine weitere Zellteilung initiiert wird. Es läuft also alles auf der Ebene der molekularen Wechselwirkungen ab, die sich dann auf makroskopischer Ebene in ihren Folgewirkungen aufsummieren.
RayWonders schrieb:Das klingt für mich nach einer mentalen Komponente was die Funktionen innerhalb eines Organismus betrifft.
Das betrifft die Rückkopplung äußerer Faktoren des zweiten Signalsystems (Sprache, Denken) sowie des soziokulturellen Kontextes (Beruf, Arbeitsumfeld, Familie, finanzielle Verpflichtungen usw.) auf somatische Prozesse. Man kann sich das damit erklären, dass bestimmte Stressfaktoren auf den Hormonhaushalt rückkoppeln (Angst löst eine körperliche Reaktion aus, z.B. Fluchtreflex oder Aggression), der dann wiederum auf das Zusammenspiel der einzelnen Organe rückkoppelt.
Wenn der Organismus ständig in Aufmerksamkeit gegenüber der Umwelt gehalten wird, geraten andere Signale, die auf Krankheiten hindeuten, ins Hintertreffen. Mit dem Wegfall des Stressfaktors Beruf kommen dann die aufgehäuften Schädigungen des Organismus oft zum Durchbruch und "fordern ihr Recht auf Beachtung ein". Leider oft auch mit tragischem Ausgang ...
Die mentale Komponente ist hier durchaus gegeben, aber die wirkt sich nicht auf die Zusammensetzung des Genoms aus, sondern auf die Reaktion des Gesamtorganismus. Das Feld "psychsomatische Erkrankungen" ist voll mit solchen Effekten, bei denen eine mentale Komponente verursachend beteiligt ist. Die Effekte laufen dann aber wieder auf der Ebene der molekularen Wechselwirkungen ab, welche dann die Krankheitssymptome bewirken.
RayWonders schrieb:erst spätere Organismen haben dann sozusagen den Sauerstoff für sich entdeckt und nutzten ihn.
Ja, aber eben nicht ohne evolutionäre Vorleistungen. Die in der Atmungskette beteiligten Proteine ähneln sehr den in der Photosynthese beteiligten Proteinen. Ein bestimmtes Grundmuster hatte sich also bereits mit dem Aufkommen der Photosynthese in den Organismen etabliert. Mit dem Einsetzen der Sauerstoffkrise machte sich die zuvor angehäufte Variantenvielfalt selektiv bezahlt. Übrig blieben die Varianten, die mit dem Überangebot an Sauerstoff etwas Produktives anfangen konnten. Und ein Teil dieser Varianten findet sich heute in den kernhaltigen Zellen als Mitochondrien wieder.
Man darf sich Evolution nicht so vorstellen, dass da erst ein Bedarf entsteht und dann zielgenau eine Nutzmöglichkeit produziert wird. Es ist eher so, dass da im Überschuss auf Halde produziert wird, und sobald ein Engpass entsteht, räumt die Selektion alles Überflüssige weg und legt das frei, was schon lange in der Halde herumgelegen hat. Die Prozesse laufen parallel ab, ohne dass es da irgendeine Zielvorgabe gäbe. Die Eignung für bestimmte Bedürfnisse ergibt sich erst im Nachhinein nach dem "Aufräumen" - sofern etwas da ist, was "gefunden" werden kann. Darum ist die Erhaltung der Biodiversität ja auch so wichtig.
RayWonders schrieb:dass Photosynthese ein relativ einfacher rein physikalisch/chemischer Prozess ist
Rein chemisch gesehen ist Photosynthese Wasserspaltung in die Elemente (Wasserstoff und Sauerstoff) sowie die Anlagerung des Wasserstoffs an Kohlenstoffdioxid zu Glucose. Im Prinzip also ganz simpel. Die Umsetzung auf molekularer Ebene mittels Chlorophyll sowie mehrerer Proteine ist es jedoch nicht. Dazu bedarf es schon eines gewissen Vorlaufs an Evolution, bevor hier passende Proteine für die vollständige Reaktionskette gefunden werden.
Aber dieser Vorlauf ist nun mal kein Mysterium, sondern ein Prozess, der mit den bekannten Mechanismen abläuft und immer spezifischere Lösungen findet, solange die Keimbahn erhalten bleibt. Sobald dieser Prozess erstmalig etabliert gewesen war, lieferte er immer spezifischere Proteine, die für immer spezifischere Funktionen geeignet waren.
Es war nur eine Frage der Zeit, dass eine Lösung für das skizzierte simple chemische Problem (Wasserspaltung und Glucose-Synthese) gefunden wurde - wenn nicht mit den bekannten Proteinen, dann eben mit anderen, die von Struktur und Funktion her ähnlich sind. Die Vielfalt an verfügbaren Sequenzmustern ermöglicht eine Vielfalt von Lösungsansätzen, von denen irgend einer dann in die Nutzung gelangt und über die Keimbahn vererbt wird. Man muss also nicht eine einzige ganz bestimmte Sequenz finden, sondern man muss nur irgend eine Sequenz finden, die sich als praktikabel erweist und kann diese dann sukzessive über Mutationen und Selektion optimieren.
Damit komme ich zum "unendlichen Affen":
RayWonders schrieb:Hier wird dann im Allgemeinen gern das Infinite-Monkey-Theorem ... herangezogen, um Jugendlichen und Interessierten nahezulegen, wieso so etwas möglich ist.
Ich weiß zwar nicht, in welchem Biologie-Lehrbuch oder in welchem einschlägigen Sachbuch Du solche Nahelegungen gefunden hast, aber abgesehen davon, dass dieses "Theorem" unzutreffend ist, finde ich diese Argumentation in den mir zur Verfügung stehenden Schulbüchern und sonstigen Sachbüchern nirgends. Stattdessen finde ich immer wieder in einschlägig kreationistischen Publikationen die Behauptung, dass man so argumentieren würde.
Aber egal, es ist auf jeden Fall falsch und unzutreffend, hier mit statistischen Wahrscheinlichkeitswerten zu operieren, die auf dem reinen Zufall basieren. Ein beliebter Wert ist 1 zu 10^130 als Wahrscheinlichkeit, ein Protein mit 100 Aminosäuren einer bestimmten Sequenz zu finden. Wie ich eben geschrieben hatte, kommt es aber gar nicht darauf an, eine ganz bestimmte Sequenz zu finden, sondern lediglich eine geeignete. Und bei einem Auswahlspielraum von 10^130 Möglichkeiten findet sich eine Fülle von Sequenzen, die für irgendeine Funktion geeignet sind.
Vom Zufall ist es lediglich abhängig, welche Sequenzen man findet und für welche Funktionen sie sich eignen. Aber das ergibt sich aus dem Kontext, über den ein biochemisches Reaktionssystem hochwächst und kann nicht vorab bestimmt werden. Sobald aber irgendeine Sequenz für eine Funktion irgendwie geeignet ist, wird sie über Evolution optimiert und damit immer spezifischer in Form und Funktion - und damit dann auch spezifischer in der Sequenz.
Um auf den Affen zurückzukommen: Er muss also nicht auf einen Ruck einen Harry-Potter-Roman schreiben. Es genügt bereits, das erste Wort des Romans zu finden. Im zweiten Durchlauf bekommt er das Blatt mit dem ersten Wort vorgedruckt und muss dann das zweite Wort finden usw. usw. ... Sukzessive arbeitet man sich dann durch den Text, bis er fertig ist. Im Unterschied zu einem Text ist ein Organismus jedoch niemals "fertig". Auch wenn er stirbt, entwickelt sich seine stoffliche Grundlage in anderen Organismen weiter ...