@continuum Wikipedia ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Die ziemlich junge Lilithlegende stellt in der Tat diese beiden "Frauenkonzepte" gegenüber und bewertet das durch Lilith repräsentierte negativ. Zu sagen, das sei auch schon im biblischen Edenbericht ein Versuch der Männer, Frauen mittels einer höheren Autorität zu unterdrücken, ist allerdings ziemlich naiv und geht gehörig am Text da. Es verhält sich anders - und ist auch leicht zu erkennen.
A) Der Sündenfall
Streng genommen war die Frau noch gar nicht vorhanden, als Gott dem Menschen (ha-'adam) das Essen vom Baum in der Gartenmitte untersagte. Daß dies verboten war, wußte die Frau letztlich nur vom Hörensagen, nicht von der Quelle.
B) Die Versuchung/Verführung
Nicht der Mann wurde verführt, sondern die Frau. Die Schlange mußte mehrmals ansetzen, bis sie die Frau dazu bringen konnte, von der Frucht des Baumes zu essen. Der Mann hingegen nahm die Frucht und biß hinein, kaum daß die Frau sie ihm vor die Nase gehalten hat.
C) Die Unterdrückung der Frau
"Nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen!" Der Satz schreibt die Unterordnung der Frau in einer patriarchalen Gesellschaft fest, es handelt sich um eine göttliche Ordnung als Strafe. So weit stimmt es. Doch ist das nicht die einzige Strafe, die Gott verteilt. Da wäre zum Beispiel die Strafe des Schwitzens bei der Arbeit, des Sterbens, des Geburtsschmerzenhabens, der Gefährdung durch Schlangenbisse und des spärlichen Ernteerfolgs. Alles Strafen. Alle diese Dinge sind geradezu "naturgegeben", ein "so ist es eben in der Welt". Vor allem aber ist es ein "So ist es in der Welt, aber es ist nicht gut, daß es so ist". Hier werden Sachen benannt, die nach menschlichen Wertmaßstäben etwas Schlechtes sind. Sowas will keiner. Is scheiße, das! Und wenn ein Mensch ne Arbeit hat, bei der er nicht schwitzt, dann gönnt man in Alt-Israel ihm das sicher und steinigt ihn nicht gleich als Sünder, der sich zu schwitzen weigert. Denn nicht zu schwitzen, ist keine Sünde, sondern nur ein glückliches Vermeiden einer als ungut bewerteten Angelegenheit.
Daß die Frau unter der Herrschaft des Mannes steht, war zu der Zeit, als Israel entstand, längst zur gesellschaftlichen Tatsache geworden. Man glaubte, daß dies wie alle Weltordnung von Gott herrührt. Aber man sagte auch, daß so etwas eigentlich "schlecht" ist wie Sterben, Schmerzen, Gefahr und Mühsal. Als Gott die Welt schuf, da schuf er sie doch sicher ganz toll und ohne Negatives. Wenn es Negatives gibt, dann muß das später hinzugekommen sein, wahrscheinlich als Strafe für irgendwas. Es ist zwar auch "Weltordnung", aber nicht von Gott wirklich so gewollt. Es ist vielmehr die Störung der guten Weltordnung. Genau diese Art "Zweiteilung der Schöpfung" in erst gut, dann aufgrund von "Sünde" schadhafte "Nachbesserung" findet sich auch bei anderen Kulturen. Durch Kains Brudermord entstehen die Nomaden, die von den Bauern vertrieben werden, durch den Turmbau entstehen die (sich gelegentlich bekriegenden) Völker mit ihren unverständlichen Sprachen, und durch die Schuld der Sintflutgeneration wird das Lebensalter der Menschen verkürzt. Alles Sachen, die Doof sind, die von den Menschen nicht gutgeheißen werden, aber als "das ist nun mal leider so" erfahren und hingenommen werden. Aber diese Sachen werden damit nicht aktiv festgeklopft, niemand hat ein Interesse, mit der Erzählung dafür zu sorgen, daß das auch so bleibt.
Wieso sollte das mit der Unterordnung der Frau anders sein?
Als die beiden aus dem Paradies rausgeschmissen waren, nannte der Mann seine Frau "Eva" (Chawwah = Lebewesen/Lebende) "denn sie wurde die Mutter aller Lebenden". Das ist ein Ehrentitel. Und als dann die ersten Kinder geboren wurden, war es die Frau, die den Kindern die Namen aussuchte und gab.
Nicht einmal die Erschaffung der Frau aus der Rippe ist ehrenrührig. Die Rippen umschließen das Herz und die Lunge, Sitz des Lebens und der Seele. So wurde die Frau auch nicht als Gehilfin des Mannes erschaffen, sondern als Hilfe ('esär). Hilfe, damit ist das gemeint, wenn Menschen es laut ausrufen "Hilfe!". Etwas Lebensnotwendiges, eine Rettung. Der Retter ist nicht der Hilfsarbeiter, sondern der Held. Darum wird Gott "
'esär" genannt. Asarja: Hilfe ist Jah(we); Asriel: meine Hilfe ist Gott. Eleasar: Gott ist Hilfe. Der Edenschöpfungsbericht steht bekannterweise in Beziehung zu einem ähnlichen sumerischen Bericht. Nach der Schöpfung lebt der Gott Enki mit seiner Gemahlin Ninhursag im "Paradies" Dilmun. Er will einen Sohn, doch sie gebiert nur Töchter. Enki schwängert die Tochter, wieder kein Mann. Als er es auch mit der Urenkelin treibt, reicht es Ninhursag. Sie vergiftet Enki mit dessen Samen. Als dieser dahinsiecht, erschafft Ninhursag schließlich acht Herrinnen, jede für die Heilung eines der acht kranken Körperteile Enkis. So auch Ninti, wörtlich "Herrin der Rippe", was zugleich auch "Herrin des Lebens" heißt. Diese Ninti ist nur eine unter acht, die Enki heilen. Aber die eigentliche Heilung geschieht ja durch Ninhursag, Enkis Frau (die ihm freilich überhaupt erst was Tödliches zu essen gegeben hatte). Und so verwundert es nicht, daß Ninti auch einer der Titel von Ninhursag selbst ist.
Als Israel entstand, da war die gesamte Levante längst massiv partriarchalisch organisiert. Israel kannte es seit seiner Existenz nicht anders und nahm dies als Weltordnung wahr und hin. Und schuf mit der Sündenfallsgeschichte eine Erklärung dafür. Aber nur dafür, daß es so ist, nicht daß es toll so ist, und daß man es nicht anders haben will, und daß der, der sich dagegen wehrt, böse wäre. Eva ist Mutter allen Lebens, Hilfe wie Gott, die Mächtige in der Familie, die die Nachkommenschaft benennt, wie Adam die Tiere. Sie besteht aus dem, was das Leben schützt und stabilisiert. Sie ist nicht Nebenprodukt aus irgendnem Knöchelchen, sondern "Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein", ein echtes Gegenüber auf Augenhöhe, was "niedere" Tiere (Gottes erster Versuch, Adams Einsamkeit zu lindern) nie sein können. Die Bibel singt ein Loblied auf Eva - wenn man mal mit dem Frauenbild manch anderer Kultur vergleicht. Jedenfalls unter den vorgegebenen Bedingungen einer durch und durch patriarchalen Gesellschaft.
Ab der hellenistischen Zeit begegnet uns dann die Interpretation der Adam-Eva-Geschichte, wie wir sie heute kennen. Eva, die Gehilfin, die schwache Sünderin und Verführerin des Mannes, die devote, die Untenliegerin. Erst in dieser Zeit kam die Geschichte mit der Lilith auf, die erste Frau des Adam, die beim Sex nicht automatisch unten liegen wollte, sondern gleichberechtigt sein wollte, was Gott von vornherein ablehnte. Aber das ist erst spätere Interpretation. Der biblische Text selbst zeigt es, daß es anders gemeint war.
Pertti