PrivateEye schrieb:teils im wortwörtlich finsteren Mittelalter
Das vergiß besser schnell mal. Das "Finstere Mittelalter" ist eine neuzeitliche Erfindung, ein konstruierter Buhmann, um die eigene Zeit in ein besseres Licht zu rücken. Mittlerweile werden zum Glück nach und nach alle möglichen Lügen im Umfeld des "finstern Mittelalters" abgebaut, siehe "flache Erde, von der Kirche gelehrt, Kugelerdler verfolgt". Hexenverfolgung war z.B. auch ne Angelegenheit der frühen Neuzeit. Da ließe sich noch einiges zu sagen, aber hier gehts um was anderes. In verschiedenen Threads kannste dazu so einiges finden.
Die Tradition eines Familiennamens kam in vielen Bereichen Europas, namentlich im Deutschen Raum, erst im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit in Schwung. In Mitteleuropa erst mit der Bevölkerungszunahme im 15.Jh., und hier erst im Süden, dann nach Norden ausbreitend. Und vor allem in den Städten. In ländlichen Gebieten gab es bis ins 18.Jh. viele Menschen ohne Familiennamen.
Beinamen, aus denen sich der Familienname entwickelte, bezeichneten oft den Vatersnamen, den Beruf oder die Herkunft. Namen wie Bauer, Bouver, Pawer etc. finden wir aus den zuvor angesprochenen Gründen also zumeist erst ab der deutschen Renaissance bei Menschen bäuerlicher Herkunft, die Städter geworden sind. Ebenfalls typisch für die Renaissance sowie spätere Epochen war die Übersetzung des Namens ins Lateinische. Daher Agricola.
Das vermehrte Aufkommen von Menschen mit "Bauer" im Namen spiegelt also keine besseren frühneuzeitlichen Aufstiegschancen für Bauern. Tatsächlich verschlechterte sich die rechtliche und auch soziale Lage der Bauern in der Frühneuzeit, was zum Deutschen Bauernkrieg führte.
So, nu aber jut.
PrivateEye schrieb:Da haben die Finnen aber relativ spät eine eigene Schriftsprache bekommen. :ask:
mitH2CO3 schrieb:Ich war mir nicht 100% sicher mit der DeepL-Übersetzung. Da ich es aber auch nicht besser wusste, hatte ich es bei der Übersetzung ‚Schriftsprache‘ belassen.
Im Hesari stand.
Näillä kirjoillaan vuosina 1543−1552 hän loi suomen kirjakielen perustan.
https://www.hs.fi/tiede/art-2000011153444.html
kirjakieli heißt soviel wie ‚Buchzunge‘ also ‚Buchsprache‘. Dazu passt Schriftsprache schon, aber vermutlich trifft es der Ausdruck ‚Literatursprache‘ inhaltlich besser.
Also mir ist das schon seit Ewigkeiten bekannt. Meine, sogar im Theologiestudium in den Achtzigern was dazu gehört zu haben. Vor Michael Agricola gab es nicht nur keine Literatursprache, sondern überhaupt keine Schriftsprache finnischer Zunge. Ich zitier mich mal aus nem anderen Thread von vor zehn Jahren:
perttivalkonen schrieb am 20.03.2015:Nachdem Martin Luther zu Wittenberg seine Prothesen an die Tür der Schloßkirche filmreif rangenagelt hatte, studierte ein finnischer Bauer Michel in Deutschland Theologie. Der fand das geil und schleppte die Revoluzzer-Idee als fertig studirter Theologus Mikael Agricola daheim im finnischen Land der Sümpfe und Depressionen ein. Und da die Finnen, wenn sie schreiben wollten (und konnten), schwedisch schrieben, fehlte es ihnen an einer finnischen Schrift für eine landestypische Bibelübersetzung lutherscher Manier. Also schleppte Agricola nicht nur Luthers Geist ein, sondern auch Luthers Schnauze.
Finnisch kann man nicht lesen. Finnisch kann man noch weniger sprechen! Aber wenn man's könnte, dann hätte man die fast perfekte Lautungsregel Luthers im Gehör. Da klingt jedes I gleich, jedes S gleich stimmlos (und leicht ins SCH genuschelt). Und hedes H wird hörbar gesprochen, sogar ein bisserl schärfer als unser anlautendes, weswegen wir die finnische Stadt Lahti immer gleich als Lachchti aussprechen müssen. War im Mittel- und Frühneuhochdeutschen auch noch so, weswegen eine damals geschriebene "naht" nix mit Nadel und Faden Gemachtes ist und keine Annäherung, sondern das Gegenteil vom hellen Tag. H war immer das anlautende, leicht ins CH spielende H. Und ist es bei den Finnen noch heute, wohingegen wir die Lautregeln seit Luther kräftig verändert und vermischt haben.
Ein finnisches Ohr wird wenig Verständnis dafür haben, wenn ein deutsches Ohr sich beschwert, wieso die Franzen für ein O gleich drei Vokal-Buchstaben schreiben müssen, manchmal noch ein X ranhängen, und wieso die Britzen ein langes I mal ie schreiben, mal ee, mal ea. Ein Finne würde sagen "Wieso? Das machen die doch selber, die Sachsen!" Wenn eine Lautungsregelung für das verwendete Buchstabensystem eindeutig ist, dann das der Finnen: das deutsche System, das wir nicht mehr haben.
Ja die Finnen haben sich sogar vom wanha wee getrennt, haben das "alte W" abgeschafft. Gibt nur noch V als Buchstaben für den W-Laut.