Ist das Christentum buddhistisch inspiriert worden?
03.01.2013 um 14:57
Mann, ist der Artikel grottenschlecht! Einschließlich der zitierten Autoren.
* "Ein Jahrhundert vor der Geburt Jesu von Nazareth waren buddhistische Apostel bereits bis in den Kaukasus nach Westen vorgestoßen"
Das immerhin ist belegt.
* "und in Alexandrien lebten viele Brüder und Laienanhänger."
Das hingegen ist schon mal arg schwammig; die "Brüder" weilten zu Ashokas Zeiten dort, aber keine Quelle bezeugt einen späteren Aufenthalt. Die "Anhänger" sind gleich gänzlich erfunden.
* "Daher kann es kaum einen Zweifel geben, daß Jesus von Nazareth [...] im Alter von zwölf bis dreißig Jahren ein Schüler buddhistischer Bettelmönche war"
Ähm, wieso jetzt? Was legt das bittschön nahe und räumt die Zweifel aus? Weil mal Buddhisten im Westen waren?
* "dessen Lehren in ihren wesentlichsten Teilen die gleichen wie die des Buddha sind"
Hattenwa schon. Buddhismusfans entdecken "Buddhistisches", Sokratesfans entdecken "Sokratisches", Ägyptenfans entdecken Altägyptisches, jeder, wie er's gern hätte. Allgemeine Parallelentwicklungen sind auch noch drin, wie sie auch sonst weltweit gut bezeugt sind...
* "eine Zeit, über die die Evangelien überhaupt nichts berichten, und daß er unter deren Leitung Arhatschaft erlangt haben muß (ein Arhat oder großer Weiser wurde). Später kehrte er in sein Geburtsland zurück und predigte die Lehre seinem Volke."
Wir wissen nichts über diese Zeit Jesu, also war er im Ausland. Super Aufweis. Und dann auch gleich ne steile Karriere bis hin zum Arhat (und später gar bis ins Nirwana).
* "Im Verlauf der Zeit wurde seine Lehre entstellt und mit vielen Irrtümern aus dem Alten Testament der Juden vermengt."
Hmmm, das ist immer wieder "beeindruckend". Wir haben also ne Überlieferung von Jesus, aber die ist nur teils authentisch, teils jedoch nachträglich abgeändert. Woher aber wissen wir denn nun, welches der authentische Teil ist und welches der abgeänderte? Richtig! Wir suchen es uns einfach aus, und zwar nach Gusto, was wir am liebsten so hätten!
Und eines ist man klar, wenn der Jude Jesus später jüdisches Gedankengut vertritt, dann muß dies natürlich das Ergebnis späterer jüdischer Einmengung sein, kann unmöglich zum Authentischen gehören. - Wie blöd ist das denn!
* "Die grundlegenden Lehrsätze jedoch und der persönliche Charakter des Begründers des Christentums sind buddhistischen Ursprungs! Jesus war ein Arhat der Nirvana erreicht hatte"
Zack! und schon is alles Tatsache. Null Aufweis, haufenweise Wunschdenken, ausgedachte historische Fakten, Umkehrung jeglicher Logik, aber Hauptsache, man ist überzeugt davon!
Kein "Könnte doch", "Denkbar wäre", "mag vielleicht", "Eventuell"... Denn eins ist man klar, je mehr Eventualitäten aneinandergereiht werden, um zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen, desto klarer wäre, daß dieses Ergebnis an historischer Wahrscheinlichkeit verlöre.
* "Die Erklärung Bhikshus, daß Jesus "in sein Geburtsland zurückkehrte", ist interessant. Abgesehen von der Möglichkeit, daß er eine Zeit lang in Alexandrien verweilte, studierte er auch in einem buddhistischen Lande? Wenn das stimmt, ist er dann vielleicht nach Indien gegangen"
Genau! Wenn ein "Bhikshu Subhádra" Jesus schon zu fiktiven Buddhisten während eines fiktiven Ägyptenaufenthalts schickt, dann ist daraus gerechtfertigt, ihn gleich nach Buddhaland reisen zu lassen!
* "wenn man sich den Lehren zuwendet und besonders in der Bergpredigt die vielen Ähnlichkeiten in den Aussprüchen von Jesus mit jenen Buddhas, wie sie in den Schriften der südlichen oder Hinayana Schule bewahrt sind, sammelt. Der sanfte Buddha lehrte in Gleichnissen. Das gleiche tat der galiläische Meister. Jeder verkündete dieselben Wahrheiten, wie die Schüler beider Religionen bestätigen können."
Wie schon gesagt, Ähnlichkeiten sind da, sie sind aber auch unabhängig voneinander denkbar. Viele Ähnlichkeiten hingegen entstehen auch im Kopf des Betrachters.
Mit Gleichnissen jedenfalls arbeiteten auch griechische Philosophen, mit Gleichnissen kamen schon die Schriftpropheten des AT daher, Gleichnispredigten finden sich sogar unter den ältesten AT-Texten aus altisraelitischer Zeit, Jahrhunderte vor Buddha.
* "Der scharfsinnige französische Gelehrte und Orientalist des letzten Jahrhunderts, Renan, bemerkt in seinem Das Leben Jesu (p. 98), daß nichts im Judaismus Jesus für den herrlichen Stil seiner Unterredungen und Gleichnisse als Muster hätte dienen können. "Ohne Zweifel sind in den buddhistischen Büchern manche Gleichnisse in genau demselben Ton und derselben Form zu finden, wie die Gleichnisse in den Evangelien (siehe besonders der Lotos des guten Gesetzes). Aber es kann ohne weiteres in Betracht gezogen werden, daß die Gleichnisse in den Evangelien irgendwie buddhistisch beeinflußt wurden."
Renan verabscheute wie viele seiner Zeit die nichtarische semitische Kultur (inc. Judentum und Islam) als etwas Minderwertiges. Ihm war es wichtig, das Christentum von seinen semitischen Wurzeln abzuheben und es auf arisches Niveau zu heben. Wie viele andere dieser Denkweise begeisterten ihn daher die arischen Religionen, zu denen natürlich auch der Buddhismus gehört, von dem Renan sehr angetan war.
Aber einfach nur mal hie und da ein "Ohne Zweifel" und "kann ohne weiteres in Betracht gezogen werden" einzuweben, ist kein Aufweis, sondern nur ein rhetorischer Ersatz wür wirklichen Aufweis.
* "Der Geist der Demut und der tiefen Empfindung, der das ursprüngliche Christentum und den Buddhismus gleicherweise beseelte, genügt, diese Ähnlichkeiten zu erklären."
Nun, solchen Geist der Demut und der tiefen Empfindung entdeckten viele dann auch im schamanistisch geprägten Umgang mit Natur und Mitmenschen nordamerikanischer Indianer. Sind die auch vom Buddhismus beeinflußt worden? Oder gibts halt parallele Entwicklungen menschlichen Geistes unabhängig voneinander?
* "Und wenn es auch wahr ist, daß Renan durchaus nicht bereit war, irgendwelche tatsächliche Verbindung zwischen Buddhismus und Christentum zuzugeben"
Ich nenn das das Gespür des Wissenschaftlers dafür, daß trotz aller persönlicher Überzeugung einer solchen Herkunft, ihm die faktischen Beweise nun mal fehlten.
* "so ist es doch bemerkenswert, daß er in der dreizehnten Ausgabe seines Werkes, die er "mit größter Sorgfalt verbesserte und korrigierte", einen recht vielsagenden Abschnitt über die Möglichkeit des Wirkens jener buddhistischen Mönche, die weit und breit umherwanderten und ihre Schritte auch nach Judäa lenkten, einfügte."
Klar, er griff halt nach jedem Strohhalm, der als vages Indiz zur Stützung seines Wunschs nach buddhistischem Einfluß auf Jesus gewertet werden könnte. Machen andere ja ebenso, wie man hier im Thread lesen kann.
* "Das dem Geiste des alten jüdischen Volkes so entgegengesetzte Einsiedlerleben, das mit den Gelübden, wie die der Nazarener und Rechabiten nichts zu tun hatte"
Also ich staune nur, woher Renan das wissen will. Die Rechabiter lebten in Gemeinschaft außerhalb der Städte, lebten nicht in festen Häusern, hatten ein Regelwerk, das ihren Alltag und ihre Lebensweise bestimmte, hatten eine Autorität, die sie "Vater" nannten. Und die Nazarener lebten asketisch, enthielten sich gewisser Speisen, bezogen sogar ihr Haupthaar in ihr Nazarenersein ein... Hingegen wissen wir selbst heute nicht wirklich, wie konkret das Leben der Essener im einzelnen wirklich aussah. Das, was wir wissen, paßt jedenfalls zu Israel wie zum Judentum.
* "Das Volk stellte sich das Haupt jeder Sekte als einen Klausner vor, der wie die Gründer religiöser Orden seine eigenen Regeln und Statuten hatte. Die Lehrer der Jüngeren waren auch zuweilen eine Art Einsiedler, die bis zu einem gewissen Grade den gurus der Brahmanen ähnelten. Könnte das nicht tatsächlich von einem schwachen Einfluß der munis Indiens zeugen?"
Für die frühe bis späte Königszeit Israels sind im mittelpalästinischen Raum Gemeinschaften bezeugt, welche zumeist "Prophetensöhne" genannt werden. Sie hatten mehrere Niederlassungen, oft in der Nähe von Heiligtümern, zuweilen aber auch fernab von menschlichen Ansiedlungen. Hier ernährten sie sich durch das Sammeln von Pflanzenkost, bauten sich Unterkünfte, pflegten religiöse Praktiken und religiöse Gesänge, und sie hatten Oberhäupter, die gelegentlich "Vater" genannt wurden, der ihnen vorstand, vor dem sie saßen. Wobei diese Autoritäten auch zeitweise gänzlich allein für sich zurückgezogen lebten.
So stehts im AT in den Königsbüchern, aber das scheint Renan ja irgendwie entgangen zu sein. Hauptsache, die Essener lassen sich nicht auf Israelitisch-Semitisches zurückführen.
* "Vielleicht könnten einige der buddhistischen Wandermönche, die, wie später die ersten Franziskaner, die Welt überrannten, predigten und die Menschen, die ihre Sprache gar nicht kannten, bekehrten, ihre Schritte nach Judäa gelenkt haben, so wie sie sicher nach Syrien und Babylonien gegangen sind. Darüber wissen wir nichts Gewisses."
Der letzte Satz sagt eigentlich alles: Renan wünscht und hofft und spekuliert nur.
* "Auf jeden Fall können wir annehmen, daß viele der externen Gebräuche des Johannes, der Essener und der jüdischen spirituellen Lehrer jener Zeit aus Einflüssen kamen, die damals erst kurz vorher aus dem fernen Osten aufgenommen wurden"
Wie denn, wenn wir nichts Gewisses wissen! Und wenn sich diese Gebräuche eben auch israelitisch-alttestamentlich herleiten lassen.
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Fazit: Wieder einmal wurde aus dem Net ein Bonmot gefischt, in dem nichts belegt, aber vieles zusammengewünscht und etliches als Tatsache verkauft wird.
Pertti