Vielleicht sind meine persönlichen Erfahrungen zum Thema Leid bzw. Schmerz für jemanden hilfreich:
Welche Emotion oder welches Gefühl auch immer erfahren wird, es handelt sich stets um eine Bewegung im Bewusstsein. Wenn ich Leid und Unglücklichsein empfinde, dann bedeutet das, dass ein Ereignis nicht meinen Wünschen und Bedürfnissen in der betreffenden Situation entspricht. Wie auch immer, ein solches Ereignis mag für mich als leidvoll oder schmerzlich empfunden werden, so kann dasselbe Ereignis für jemand anderen Freude und Glück bedeuten, und umgekehrt.
Was sind nun die Faktoren, die gegeben sein müssen und in die ich involviert sein muss, um zu bemerken, dass ich etwas Leidvolles oder Schmerzliches erfahre?
Erstens muss das Wach-Bewusstsein vorhanden sein. Denn während ich schlafe und nicht träume, dann gibt es für mich auch nichts Leidvolles oder Schmerzliches. Das ist übrigens die Bedeutung des 7. Punktes, den
@lahiri in ihrem Posting aufgelistet hat "Leid ist wenn DU bist". Das heißt: Es mag ein Ereignis stattfinden und eine Person mit ihren Bedürfnissen darin involviert sein, doch wenn kein Bewusstsein vorhanden ist, dann wird die Person weder von dem Ereignis noch von einem Leid betroffen sein. Deswegen ist das Bewusstsein der erste unabdingbarer Faktor.
Zweitens muss es das Konzept einer Entität als Person geben, die das Leid und den Schmerz empfindet. Das heißt: In dem Zustand "das-was-ich-war-bevor-ich-Bewusstheit-erlangte" gab es für mich noch kein Wissen um meine Person. In diesem Originalzustand gibt es keine Bedürfnisse oder Wünsche, und deswegen auch kein Leid oder Schmerz. All dies entsteht erst mit dem Herausbilden eines Körpers. Erst nach der Identifizierung mit der "äußeren Form", dem Körper, entsteht auch das Wissen um die eigene Anwesenheit. Und diese Anwesenheit ist nichts weiter als ein Konzept. Sie besitzt keine unabhängige Existenz ihrer selbst. Deswegen ist das Konzept der Person der zweite Faktor, der vorhanden sein muss, um Leid zu erfahren.
Und drittens muss es ein Ereignis in der Raumzeit geben, welchem ich das Attribut Leid oder Freude zuordnen kann. Mit der vorgenannten Entstehung des Bewusstseins über die eigene Anwesenheit entstehen darauf die weiteren Konzepte der Raumzeit, ohne die keine Manifestation möglich und somit bemerkbar wäre. Denn um eine Manifestation zu erfahren, welche auch immer, bedarf sie eines Volumens, einer Form, welche es ohne das Konzept der Raumzeit nicht gäbe. Und sie bedarf einer zeitlichen Dauer, innerhalb derer eine Manifestation als solche sein kann.
Leid und Unglücklichsein, sowie sämtliche Varianten und Ausprägungsformen wie auch ihre Gegensätze, können nicht allein und für sich existieren. Und zwar deswegen nicht, weil sie objektivierte Konzepte der Raumzeit sind. Deswegen ist ein Ereignis der dritte Faktor in diesem Bunde.
Zusammengefasst:
Um etwas Leidvolles zu erfahren, bedarf es dem Wach-Bewusstsein, dem Gefühl der Anwesenheit und einem Ereignis. Freude ist die Lücke in der anhaltenden Flut von Schmerz. Ich suche deswegen das Freudvolle, weil ich ohne es leiden würde. Und Wünsche entstehen aus der Erinnerung an Freude, während Angst die Erinnerung an Schmerz ist. Beides wechselt sich ständig ab und macht den Geist ruhelos.
Um auf die Threadfrage direkt zu antworten: Leid ist eine Illusion, jedoch nicht im Sinne einer Täuschung. Sie ist notwendig, aber es handelt sich lediglich um eine vergängliche Erscheinung und hat keine andere Qualität als genau diese.