5. Vrittayah pañchatayyah klistâklistâh
vrittayah (Mehrzahl von vritti) = Gedankenwellen; pañcatayyah = fünffältig; klistâ = schmerzlich; aklistâh = nicht schmerzlich
Es gibt fünf Arten von Gedankenwellen, von denen einige schmerzvoll sind und einige nicht.
Alle Gedanken sind entweder klistâh, schmerzvoll, oder aklistâh, nicht schmerzlich. Es gibt also keine freudvollen Gedanken. Freude, Ananda, ist nur im Selbst. Die Gedanken an sich sind nicht freudvoll. Wenn Patanjali von Gedanken spricht, beinhaltet das immer auch die Emotion. Vritti ist Gedanke plus Worte, Bilder und Gefühle. Gedanken und Emotionen sind zwei Aspekte von Vritti, die eigentlich nicht so unterschiedlich sind, wie es in der westlichen Psychologie angenommen wird. Wenn ich zum Beispiel „Baum“ sage oder denke, ist das mit bestimmten Gefühlen verbunden. Wenn ich „Panzer“ sage, fühlt sich das ganz anders an, und „Maikäfer“ gibt wieder einen ganz anderen Eindruck. Es gibt also eigentlich kei-ne Gedanken, die gänzlich vom Gefühl losgelöst sind. Mit Worten und Gedanken kann man Gefühle her-vorrufen, die man nicht in Worte fassen kann, aber grundsätzlich sind immer alle drei Aspekte vorhanden. Manchmal weiß man nicht, was zuerst da ist. Man kann Worte sagen oder denken, beispielsweise Affirma-tionen, das kann zu Bildern und Gefühlen führen. Oder ein Gefühl kommt auf, das bestimmte Bilder er-zeugt, die wiederum mit Worten verbunden sind.
Man unterscheidet hier auch verschiedene Menschentypen. Es gibt Menschen, bei denen Worte überwie-gen, bei manchen Bilder, für wieder andere sind Gefühle besonders wichtig. Je nachdem fällt es einem leicht, Affirmationen zu wiederholen oder logisch nachzudenken (Worte), etwas zu visualisieren (Bilder) oder man kann sich leicht auf das Herz bzw. eine andere Körperregion konzentrieren (Fühlen). Dies merkt man auch im Sprachgebrauch: „Das fühle ich halt, ich kann es nicht in Worte fassen.“, „Siehst du das denn nicht ein?“ „Das klingt gut, oder?“ Bei manchen Menschen haben alle drei Anteile gleiches Gewicht oder auch nur zwei davon.
Alle Meditations-, Enspannungs- und Energielenkungstechniken arbeiten mit diesen drei Anteilen, so daß sie auf alle Menschen wirken. Es gibt zum Beispiel Entspannungstechniken, die mehr über Worte funkti-onieren („Ich entspanne meine Füße ...“), über Bilder (Traumreisen) oder rein über das Fühlen (in die verschiedenen Körperteile hineinfühlen). Die verschiedenen Meditationtechniken arbeiten mit Worten (vor allem Mantras), Bildern (sich Shiva, Krishna, das Symbol für Om oder Yantras vorstellen) und dem Ge-spür (ins Herz oder in den Punkt zwischen den Augenbrauen hineinfühlen). Meistens macht man Kombi-nationen, um den Geist als Ganzes anzuspechen.
All das ist gemeint, wenn man von Vrittis spricht. Und weil eben die Gefühle mit eingeschlossen sind, kann man sagen, Gedanken sind entweder schmerzvoll oder nicht. Wenn der Gedanke die Freude des Selbst nicht widerspiegelt, kann er schmerzhaft sein. Ist ein Gedanke schön, erhaben, freudvoll, dann ist er Spiegel unseres eigenen Selbst.
Nagt ein Hund an einem Knochen, der nicht ganz glatt ist, verletzt er sich die Zunge und blutet. Da er Blut liebt, leckt er noch mehr und je länger er leckt, desto besser schmeckt es ihm, weil er immer mehr Blut bekommt. Er denkt, es ist der Knochen, der ihm schmeckt, aber in Wirklichkeit kommt sein Genuß von seiner eigenen Zunge. Ähnlich ist es bei uns. Wir denken, wir erhalten Freude von äußeren Objekten, aber in Wahrheit kommt die Freude nur aus uns selbst heraus.
Ein anderes Beispiel ist die Geschichte von der Frau, die einen wertvollen Ring von ihrem Mann ge-schenkt bekommt, den sie sich schon lange gewünscht hat und der ihr immer besonders gut gefallen hat. Warum ist die Frau in dem Moment glücklich, wo sie das Geschenk auspackt und den Ring sieht? Nicht wegen des Rings an sich – sonst bräuchte sie künftig nur noch den Ring zu tragen und ihn anzuschauen, um immer glücklich zu sein. Auch nicht, weil der Mann, an sie gedacht hat („Er liebt mich doch...!“), denn sonst bräuchte sie ja nur immer mit ihm zusammenzusein. Natürlich ist sie auch darüber glücklich, denn es nimmt ihre Ängste und befriedigt ihr Bedürfnis nach Liebe. Aber das allein ist es nicht. In Wirklichkeit ist sie glücklich, weil ihr Wunsch erfüllt ist. Und weil ein großer Wunsch erfüllt ist, sind im Moment keine anderen Wünsche da und sie kommt zur Ruhe. Die anderen Vrittis kommen weitgehend zum Stillstand, so daß die Freude des wahren Selbst durchscheinen kann. Weil wenig Gedanken da sind, strahlt das Glück des Selbst heraus. Und das Selbst ist Sat-Chit-Ananda, Sein, Wissen undGlückseligkeit, wobei in Ananda (Wonne) immer auch Prema (Liebe) enthalten ist.
Man kommt mit einer gewissen Zusammensetzung der Vrittis, mit einem bestimmten Temperament, zur Welt, aber man kann daran arbeiten, das zu verändern. Das Grundtemperament kann man schon beim Baby erkennen. Gewisse Dinge sind angeboren und vieles wird durch Erziehung und Erfahrung geprägt. Und nicht nur dieses Leben, sondern auch frühere Leben haben uns geprägt. Aber im Raja Yoga wollen wir etwas verändern. Man muß nur wissen, daß bestimmte Veränderungen länger dauern. Manches geht sehr schnell, wenn im früheren Leben schon etwas in dieser Richtung vorhanden war und nur noch Karma aus früheren Leben abzuarbeiten war. Diese Phase kann durchaus auch Jahrzehnte dauern. Kommt man dann wieder ins Yoga hinein, können Veränderungen sehr schnell und sehr gründlich eintreten. Oder der Fortschritt ist etwas bedächtiger, nicht in so großen Schritten, je nachdem, was man im früheren Leben war und gemacht hat.
http://www.yoga-vidya.de/Yoga--Buch/Rajayoga/Art_ErstesKap_Raja.htmlDer Narr