Tommy57 schrieb:Ja, sie bringen aber keine neue Arten hervor, denn Mutation ist destruktiv und das Einzige, was die Selektion
bewirkt, ist, dass sich bereits bestehende Arten stabilisieren.
Nein, Mutation ist nicht notwendigerweise destruktiv. Die meisten Mutationen sind neutral - haben also auf den Organismus gar keine Auswirkungen, weder positiv noch negativ - und reichern sich gerade deshalb im Genom an. Selbst eineiige Zwillinge unterscheiden sich in ihren Erbanlagen minimal - haben also je nach Betrachterstandpunkt Mutationen im Vergleich zum Betrachter angesammelt.
Selektion greift dann in den Evolutionsverlauf ein, wenn es eine krisenhafte Situation gibt und sich irgend eine einzelne Mutation oder ein Komplex von mehreren Mutationen begünstigend auswirkt, so dass die Nachkommen bevorzugt diese Mutationen aufweisen, während sich andere Individuen entweder gar nicht oder nur in geringerem Maße fortpflanzen, so dass die bevorzugten Mutationen sich im Genpool der Population anreichern.
Je länger man Zeit verstreichen lässt, um so stärker werden zwei verschiedene Populationen genetisch voneinander abweichen, bis sie sich so weit voneinander weg verändert haben, dass eine Fortpflanzung nicht mehr möglich ist. Zum Phänomen der Ringspezies wurde Dir bereits etwas verlinkt. Daraus resultieren dann Artaufspaltungen. Aufgespaltene Arten entwickeln sich getrennt voneinander weiter, spalten sich ihrerseits wieder in weitere Arten auf usw. - es entstehen verschiedene Gattungen, Familien, Ordnungen usw. - nach hinreichend langer Zeit also ein ganzer Stammbaum, der in seiner Wurzel mit anderen Stammbäumen verbunden ist, die sich ihrerseits auf vielfältige Art und Weise verzweigen. Das Prinzip der Stammbaumentstehung und -entwicklung ist verstanden. Makroevolution ergibt sich über längere Zeiträume aus der Kumulation von Mikroevoltion im Zuge der fortschreitenden Aufspaltungen von Arten in Gattungen, von Gattungen in Familien usw. usf.
Hier gibt es kein prinzipiell noch zu lösendes Rätsel mehr, was zum Verständnis des Ablaufs der Evolution beitragen müsste. Was noch zu klären ist, sind Detailfragen, die den konkreten Ablauf betreffen, die konkreten Verwandtschaftsverhältnisse, aus denen dann auf die konkreten Aufspaltungen rückgeschlossen werden kann usw. - aber eben nichts Prinzipielles mehr, was die Evolution zu einem wissenschaftlich nicht erkennbarem bzw. erforschbarem Rätsel werden ließe. Dieses Problem ist im Prinzip seit Darwin und Wallace gelöst und wurde seither nur noch präzisiert in den speziellen Abläufen, wobei insbesondere die Genetik hier viel beigetragen hat.
Tommy57 schrieb:Die damalige Erklärung ist mir bis heute nicht schlüssig, weil zu viele Ungereimtheiten vorliegen.
Ich sehe da überhaupt keine Ungereimtheiten - so faszinierend das Resultat auch ist, was da entstanden ist. Gern im Detail:
Tommy57 schrieb:1.) Die Wespe fliegt zu Nahrungssuche unzählige Blüten an, so besteht keine Notwendigkeit, nur diese Orchidee anzufliegen.
Es besteht aber die Möglichkeit, dass unter anderen auch diese Orchideenart angeflogen wird, so dass u.a. auch durch diese spezielle Wespenart die Orchidee sich fortpflanzen kann.
Tommy57 schrieb:2.) Die selektive Entwicklung der Orchidee würde auf drei Kombinenten beruhen, Aussehen, Blütezeit und richtiger Duftstoff.
Statt "Kombinenten" doch besser "Komponenten"?
Selektiert würde in der Folge neben Aussehen und Blütezeit natürlich auch die Duftkomposition, die auf die Wespe anziehend wirkt, wobei die Blütezeit wahrscheinlich am wenigsten eingegrenzt werden müsste.
Tommy57 schrieb:Aufgrund dieser dreier Kombination, die nur bei paralleler Entwicklung wirksam wären, schliesse ich eine selektive Entwicklung wegen dieser zu grossen Unwahrscheinlichkeit aus.
Ich nicht, denn wie schon damals beschrieben, bewirkt die Wespe zunächst nur, dass sich eine bestimmte Kombination häufiger fortpflanzt als andere Kombinationen der gleichen Art. Zu klären wäre noch, ob die Variationsbreite innerhalb eines bestimmten Genotyps dieser Orchidee solche Kombinationen im Rahmen von Modifikationen zulässt oder ob es bereits Veränderungen im Genotyp sind, die zur Merkmalskombination geführt hatten.
Nehmen wir an, es waren zunächst nur Modifikationen eines bestimmten Genotyps, die von einer Wespenart angeflogen worden sind. Dann wurden zunächst bevorzugt die Modifikationen zur Fortpflanzung gebracht, die z.B. einen bestimmten Duft oder ein bestimmtes Aussehen oder eine bestimmte Blütezeit hatten. Da die Modifikaktion noch nicht genotypisch fixiert gewesen ist, samte stets die gesamte Variationsbreite aus, wurde aber dennoch bevorzugt nur innerhalb eines engeren Variationsspielraums weiter bestäubt, während die restliche Variationsvielfalt nicht bestäubt wurde.
An dieser Stelle setzen dann Mutationen an, die - wenn sie sich auf das Bestäubungsverhalten der Wespen begünstigend auswirken - mit größerer Wahrscheinlichkeit im Genom der Orchideenart fixiert werden als die Orchideen, die diese Mutation nicht aufweisen. Auch die mutierte Orchideenart wird wieder eine bestimmte Variationsbreite aufweisen, innerhalb derer sich Modifikationen finden, die von der Wespenart bevorzugt werden, während andere leer ausgehen. Das Spiel beginnt von vorn, so dass sich sukzessive immer spezifischere Merkmale anhäufen, die die Symbiose zwischen Orchideenart und Wespenart enger werden lassen.
Tommy57 schrieb:Für mich ist gerade diese Symbiose ein wunderschönes Beispiel, ja ein Beweis für ID.
Das akzeptiere ich als Privatmeinung. Ein Beweis für ID ist es jedoch nicht, wenn man sich den Vorgang auch mittels Evolutionstheorie erklären kann.