Gott & die Welt
12.08.2007 um 18:27
Da ihr noch die schöne Welt regiertet,
An der Freude leichtem Gängelband
Selige Geschlechter noch geführet,
Schöne Wesen aus dem Fabelland!
Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,
wie ganz anders, anders war es da!
Da man deine Tempel noch bekränzte,
Venus Amathusia!
Da der Dichtung zauberische Hülle
Sich noch lieblich um die Wahrheit wand -
Durch die Schöpfung floß da Lebensfülle,
Und was nie empfinden wird, empfand.
An der Liebe Busen sie zu drücken,
Gab man höhern Adel der Natur,
Alles wies den eingweihten Blicken
Alles eines Gottes Spur.
Wo jetzt nur, wie unsre Weisen sagen,
Seelenlos ein Feuerball sich dreht,
Lenkte damals seinen goldnen Wagen
Helios in stiller Majestät.
Diese Höhen füllten Oreaden,
Ein Dryas lebt in jenem Baum,
Aus den Urnen lieblicher Najaden
Sprang der Ströme Silberschaum.
Zu Deukalions Geschlechte stiegen,
Damals noch die Himmlischen herab;
Pyrrhas schöneTochter zu besiegen,
Nahm der Leto Sohn den Hirtenstab.
Zwischen Menschen, Göttern und Heroen
Knüpfte Amor einen Bund, Sterbliche mit Göttern und Heroen
Huldigten in Amathunt.
Finstrer Ernst und trauriges Entsagen
war aus eurem heitren Dienst verbannt.
Glücklich sollten alle Herzen schlagen,
Denn euch war der Glückliche verwandt.
Damals war nichts heilig als das Schöne,
Keiner Freude schämte sich der Gott,
Wo die keusch errötende Kamöne,
Wo die Grazie gebot.
Damals trat kein häßliches Gerippe
Vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuß
Nahm das letzte Leben von der Lippe.
Seine Fackel senkt ein Genius.
Selbst des Orkus strenge Richterwaage
Hielt der Enkel einer Sterblichen.
Und des Thrakers seelenvolle Klage
Rührte die Erinnyen.
Schöne Welt wo bist du? Kehre wieder,
Holdes Blütenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feenland der Lieder
Lebt noch fabelhafte Spur.
Ausgestorben trauert dasGefilde,
Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick.
Ach, von jenem lebenswarmen Bilde
Blieb der Schatten nur zurück.
Alle jene Blüten sind gefallen
Von des Nordes schauerlichem Wehn:
Einen zu bereichern unter allen,
Mußte diese Götterwelt vergehn.
Traurig such ich an dem Sternenbogen,
Dich, Selene, find ich dort nicht mehr;
Durch die Wälder ruf ich, durch die Wogen,
Ach, sie widerhallen leer!
Unbewußt der Freuden die sie schenket,
Nie entzückt von ihrer Herrlichkeit,
Nie gewahr des Geistes der sie lenket,
Selger nie durch meine Seligkeit,
Fühllos selbst für ihres Künstlers Ehre,
Gleich dem toten Schlag der Pendeluhr,
Dient sie knechtisch dem Gesetz der Schwere, Die entgötterte Natur.
Morgen wieder neu sich zu entbinden,
Wühlt sie heute sich ihr eignes Grab,
Und an ewig gleicher Spindel winden
Sich von selbst die Monde auf und ab.
Müßig kehrten zu dem Dichterlande
Heim die Götter, unnütz einerWelt
Die, entwachsen ihrem Gängelbande
Sich durch eignes Schweben hält.
Ja, sie kehrten heim und alles Schöne,
Alles Hohe nahmen sie mit fort,
Alle Farben alle Lebenstöne,
Und uns blieb nur das entseelte Wort.
Aus der Zeitflut weggerissen schweben
Sie gerettet auf des Pindus Höhn:
Was unsterblich im Gesang soll leben,
Muß auf Erden untergehn.
Friedrich Schiller