Warum man so gerne Gott abstreitet
25.04.2007 um 18:36Immer wieder schön und wichtig zum Verständnis einer solchen Debatte istfolgender
Beitrag - auch er stammt von Hans Peter Duerr:
DAS NETZDES
PHYSIKERS
Lassen Sie mich diese Beziehung zwischen den Erkenntnissender
Naturwissenschaft über die Wirklichkeit zur „eigentlichen“ Wirklichkeit miteiner
einprägsamen Parabel beschreiben, die von dem berühmten englischen AstrophysikerSir
Arthur Eddington in seinem 1939 erschienenen Buch The Philosophy of PhysicalScience
angeführt wird.
Eddington vergleicht in dieser Parabel denNaturwissenschaftler
mit einem Ichthyologen, einem Fischkundigen, der das Leben imMeer erforschen will. Er
wirft dazu sein Netz aus, zieht es an Land und prüft seinenFang nach der gewohnten Art
eines Wissenschaftlers. Nach vielen Fischzügen undgewissenhaften Überprüfungen gelangt
er zur Entdeckung von zwei Grundgesetzen derIchthyologie:
1. Alle Fische sind
größer als fünf Zentimeter,
2. AlleFische haben Kiemen.
Er nennt diese
Aussagen Grundgesetze, da beide Aussagensich ohne Ausnahme bei jedem Fang bestätigt
hatten. Versuchsweise nimmt er deshalb an,daß diese Aussagen auch bei jedem künftigen
Fang sich bestätigen, also wahr bleibenwerden.
Ein kritischer Betrachter – wir
wollen ihn einmal den Metaphysikernennen – ist jedoch mit der Schlußfolgerung des
Ichthyologen höchst unzufrieden undwendet energisch ein:
Dein zweites
Grundgesetz, daß alle Fische Kiemen haben,lasse ich als Gesetz gelten, aber dein erstes
Grundgesetz, über die Mindestgröße derFische, ist gar kein Gesetz. Es gibt im Meer sehr
wohl Fische, die kleiner als fünfZentimeter sind, aber diese kannst du mit deinem Netz
einfach nicht fangen, da deinNetz eine Maschenweite von fünf Zentimetern
hat!“
Unser Ichthyologe ist abervon diesem Einwand keineswegs beeindruckt und
entgegnet: „Was ich mit meinem Netznicht fangen kann, liegt prinzipiell außerhalb
fischkundlichen Wissens, es beziehtsich auf kein Objekt der Art, wie es in der
Ichthyologie als Objekt definiert ist. Fürmich als Ichthyologen gilt: Was ich nicht
fangen kann, ist kein Fisch.“
Soweitdie Parabel. Sie läßt sich als Gleichnis für
die Naturwissenschaft verwenden. BeiAnwendung dieses Gleichnisses auf die
Naturwissenschaft entspricht dem Netz desIchthyologen das gedankliche und methodische
Rüstzeug und die Sinneswerkzeuge desNaturwissenschaftlers, die er benutzt, um seinen
Fang zu machen, d. h.naturwissenschaftliches Wissen zu sammeln, dem Auswerfen und
Einziehen des Netzes dienaturwissenschaftliche Beobachtung.
Wir sehen sofort, daß
dem Streit zwischendem Ichthyologen und dem Metaphysiker kein eigentlicher Widerspruch
zugrunde liegt,sondern dieser nur durch die verschiedenen Betrachtungsweisen der
Kontrahentenverursacht wird. Der Metaphysiker geht von der Vorstellung aus, daß es im
Meer eineobjektive Fischwelt gibt, zu denen auch sehr kleine Fische gehören können.
Vielleichtgibt es für ihn dafür auch gewisse Hinweise, wenn er etwa vom Ufer aus ins
Wasserschaut. Aber er hat Schwierigkeiten, deren „Objektivität“ im Sinne des
Ichthyologen zubeweisen, denn im Sprachgebrauch des Ichthyologen ist ein Objekt etwas,
was er mit demNetz fangen kann. Der Metaphysiker empfindet diese Bedingung der
Fangbarkeit alsunzulässige subjektive Einschränkung der für ihn objektiven Wirklichkeit
undbestreitet dem Ichthyologen deshalb die Relevanz seinerAussage.
Der
Ichthyologe ist hier anderer Meinung. Es ist für ihnuninteressant, ob er mit seinem Fang
eine Auswahl trifft oder nicht. Er bescheidetsich mit dem, was er fangen kann und hat
deshalb gegenüber dem Metaphysiker denVorteil, daß er nirgends vage Spekulationen
anstellen muß. Die Schärfe seiner Aussagenberuht wesentlich auf dieser
Selbstbescheidung. Seine Beschränkung auf das Fangbareerscheint darüber hinaus, vom
praktischen Standpunkt aus, ohne große nachteiligeKonsequenzen. Für die Fischesser ist
das Wissen, das der Ichthyologe etabliert, völligausreichend, da ein nicht fangbarer
Fisch für ihn uninteressant ist.
Einzweiter Betrachter, den wir den
Erkenntnistheoretiker nennen wollen, versucht imStreit des Ichthyologen und
Metaphysikers zu vermitteln. Er stimmt dem Metaphysikerzu, daß das erste Grundgesetz des
Ichthyologen über die Minimalgröße der Fische einensubjektiven Charakter hat, aber er
geht nicht so weit, daß er diesem Grundgesetzdeshalb seine Relevanz abspricht. Er weist
den Ichthyologen aber darauf hin, daß erdieses Grundgesetz nicht nur auf dem
langwierigen und mühsamen Umweg des wiederholtenFischfangs und Ausmessens der Fische
entdecken kann, sondern viel unmittelbarer undüberzeugender durch eine Messung der
Maschenweite des Netzes. Diesererkenntnistheoretische Zugang verschafft dem Gesetz
absolute Gültigkeit. Diesentspricht der Kantschen Aussage, daß die grundlegenden
allgemeinen Einsichten derPhysik sich deshalb in der Erfahrung bewähren, weil sie
notwendige Bedingungen für dieErfahrung aussprechen. Für das zweite Grundgesetz „Alle
Fische haben Kiemen“ kann imGegensatz dazu eine solch strenge Allgemeingültigkeit nie
gefordert werden.Prinzipiell besteht hier immer die Möglichkeit, daß man durch Fischen
in anderenBereichen einmal auch einen Fisch ohne Kiemen zutage fördert. Dieses Gesetz
giltdeshalb immer nur im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsaussage. Dies ist die Artvon
Erfahrung, wie sie uns von den Empiristen gepredigt wird.
Das Gleichnisunseres
Ichthyologen ist selbstverständlich zu einfach, um die Stellung desNaturwissenschaftlers
und seine Beziehung zur Wirklichkeit angemessen zu beschreiben.Aber das Gleichnis ist
doch differenziert genug, um wenigstens die wesentlichenMerkmale einer solchen Beziehung
zu charakterisieren. Die Naturwissenschaft handeltnicht von der eigentlichen
Wirklichkeit, der ursprünglichen Welterfahrung oderallgemeiner: was dahinter steht!,
sondern nur von einer bestimmten Projektion dieserWirklichkeit, nämlich von dem Aspekt,
den man, nach Maßgabe detaillierter Anleitungenin Experimentalhandbüchern, durch „gute“
Beobachtung herausfiltern kann. Dieser Aspektder Wirklichkeit kann dann auch von
jedermann, der sich an die gleichen Vorschriftenhält, nachgeprüft werden. (...)
Beitrag - auch er stammt von Hans Peter Duerr:
DAS NETZDES
PHYSIKERS
Lassen Sie mich diese Beziehung zwischen den Erkenntnissender
Naturwissenschaft über die Wirklichkeit zur „eigentlichen“ Wirklichkeit miteiner
einprägsamen Parabel beschreiben, die von dem berühmten englischen AstrophysikerSir
Arthur Eddington in seinem 1939 erschienenen Buch The Philosophy of PhysicalScience
angeführt wird.
Eddington vergleicht in dieser Parabel denNaturwissenschaftler
mit einem Ichthyologen, einem Fischkundigen, der das Leben imMeer erforschen will. Er
wirft dazu sein Netz aus, zieht es an Land und prüft seinenFang nach der gewohnten Art
eines Wissenschaftlers. Nach vielen Fischzügen undgewissenhaften Überprüfungen gelangt
er zur Entdeckung von zwei Grundgesetzen derIchthyologie:
1. Alle Fische sind
größer als fünf Zentimeter,
2. AlleFische haben Kiemen.
Er nennt diese
Aussagen Grundgesetze, da beide Aussagensich ohne Ausnahme bei jedem Fang bestätigt
hatten. Versuchsweise nimmt er deshalb an,daß diese Aussagen auch bei jedem künftigen
Fang sich bestätigen, also wahr bleibenwerden.
Ein kritischer Betrachter – wir
wollen ihn einmal den Metaphysikernennen – ist jedoch mit der Schlußfolgerung des
Ichthyologen höchst unzufrieden undwendet energisch ein:
Dein zweites
Grundgesetz, daß alle Fische Kiemen haben,lasse ich als Gesetz gelten, aber dein erstes
Grundgesetz, über die Mindestgröße derFische, ist gar kein Gesetz. Es gibt im Meer sehr
wohl Fische, die kleiner als fünfZentimeter sind, aber diese kannst du mit deinem Netz
einfach nicht fangen, da deinNetz eine Maschenweite von fünf Zentimetern
hat!“
Unser Ichthyologe ist abervon diesem Einwand keineswegs beeindruckt und
entgegnet: „Was ich mit meinem Netznicht fangen kann, liegt prinzipiell außerhalb
fischkundlichen Wissens, es beziehtsich auf kein Objekt der Art, wie es in der
Ichthyologie als Objekt definiert ist. Fürmich als Ichthyologen gilt: Was ich nicht
fangen kann, ist kein Fisch.“
Soweitdie Parabel. Sie läßt sich als Gleichnis für
die Naturwissenschaft verwenden. BeiAnwendung dieses Gleichnisses auf die
Naturwissenschaft entspricht dem Netz desIchthyologen das gedankliche und methodische
Rüstzeug und die Sinneswerkzeuge desNaturwissenschaftlers, die er benutzt, um seinen
Fang zu machen, d. h.naturwissenschaftliches Wissen zu sammeln, dem Auswerfen und
Einziehen des Netzes dienaturwissenschaftliche Beobachtung.
Wir sehen sofort, daß
dem Streit zwischendem Ichthyologen und dem Metaphysiker kein eigentlicher Widerspruch
zugrunde liegt,sondern dieser nur durch die verschiedenen Betrachtungsweisen der
Kontrahentenverursacht wird. Der Metaphysiker geht von der Vorstellung aus, daß es im
Meer eineobjektive Fischwelt gibt, zu denen auch sehr kleine Fische gehören können.
Vielleichtgibt es für ihn dafür auch gewisse Hinweise, wenn er etwa vom Ufer aus ins
Wasserschaut. Aber er hat Schwierigkeiten, deren „Objektivität“ im Sinne des
Ichthyologen zubeweisen, denn im Sprachgebrauch des Ichthyologen ist ein Objekt etwas,
was er mit demNetz fangen kann. Der Metaphysiker empfindet diese Bedingung der
Fangbarkeit alsunzulässige subjektive Einschränkung der für ihn objektiven Wirklichkeit
undbestreitet dem Ichthyologen deshalb die Relevanz seinerAussage.
Der
Ichthyologe ist hier anderer Meinung. Es ist für ihnuninteressant, ob er mit seinem Fang
eine Auswahl trifft oder nicht. Er bescheidetsich mit dem, was er fangen kann und hat
deshalb gegenüber dem Metaphysiker denVorteil, daß er nirgends vage Spekulationen
anstellen muß. Die Schärfe seiner Aussagenberuht wesentlich auf dieser
Selbstbescheidung. Seine Beschränkung auf das Fangbareerscheint darüber hinaus, vom
praktischen Standpunkt aus, ohne große nachteiligeKonsequenzen. Für die Fischesser ist
das Wissen, das der Ichthyologe etabliert, völligausreichend, da ein nicht fangbarer
Fisch für ihn uninteressant ist.
Einzweiter Betrachter, den wir den
Erkenntnistheoretiker nennen wollen, versucht imStreit des Ichthyologen und
Metaphysikers zu vermitteln. Er stimmt dem Metaphysikerzu, daß das erste Grundgesetz des
Ichthyologen über die Minimalgröße der Fische einensubjektiven Charakter hat, aber er
geht nicht so weit, daß er diesem Grundgesetzdeshalb seine Relevanz abspricht. Er weist
den Ichthyologen aber darauf hin, daß erdieses Grundgesetz nicht nur auf dem
langwierigen und mühsamen Umweg des wiederholtenFischfangs und Ausmessens der Fische
entdecken kann, sondern viel unmittelbarer undüberzeugender durch eine Messung der
Maschenweite des Netzes. Diesererkenntnistheoretische Zugang verschafft dem Gesetz
absolute Gültigkeit. Diesentspricht der Kantschen Aussage, daß die grundlegenden
allgemeinen Einsichten derPhysik sich deshalb in der Erfahrung bewähren, weil sie
notwendige Bedingungen für dieErfahrung aussprechen. Für das zweite Grundgesetz „Alle
Fische haben Kiemen“ kann imGegensatz dazu eine solch strenge Allgemeingültigkeit nie
gefordert werden.Prinzipiell besteht hier immer die Möglichkeit, daß man durch Fischen
in anderenBereichen einmal auch einen Fisch ohne Kiemen zutage fördert. Dieses Gesetz
giltdeshalb immer nur im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsaussage. Dies ist die Artvon
Erfahrung, wie sie uns von den Empiristen gepredigt wird.
Das Gleichnisunseres
Ichthyologen ist selbstverständlich zu einfach, um die Stellung desNaturwissenschaftlers
und seine Beziehung zur Wirklichkeit angemessen zu beschreiben.Aber das Gleichnis ist
doch differenziert genug, um wenigstens die wesentlichenMerkmale einer solchen Beziehung
zu charakterisieren. Die Naturwissenschaft handeltnicht von der eigentlichen
Wirklichkeit, der ursprünglichen Welterfahrung oderallgemeiner: was dahinter steht!,
sondern nur von einer bestimmten Projektion dieserWirklichkeit, nämlich von dem Aspekt,
den man, nach Maßgabe detaillierter Anleitungenin Experimentalhandbüchern, durch „gute“
Beobachtung herausfiltern kann. Dieser Aspektder Wirklichkeit kann dann auch von
jedermann, der sich an die gleichen Vorschriftenhält, nachgeprüft werden. (...)