Wie ist die Stellung der Frau im Islam und Christentum
15.12.2006 um 15:33
@ al-chidr
Tagebuch einer modernen arabischen Frau
Die Zeit ist reif füreine menschliche Interpretation des Islam. Diese menschliche Interpretation des Islambetont, dass keine Religion in Bezug auf die
Menschenrechte perfekt ist. JedeReligion ist andererseits zur Reform fähig. Von Elham Manea
Was also war es, dasmich wütend machte? Das Lustige ist: Ich weiß zwar, es war eine Fatwa (ein von einemScheich erlassenes islamisches Rechtsgutachten),
die mich dazu brachte, das „Tagebucheiner Araberin“ zu schreiben, aber ich weiß nicht mehr genau, welche Fatwa es war. Istdas nicht seltsam? Da schrieb
ich ein Buch, und der eigentliche Grund für dieseEntscheidung ist mir entfallen.
War es vielleicht die Fatwa, in der es heißt,Ehepaare sollten nicht nackt sein, wenn sie miteinander schlafen? Und wenn sie es tun,haben sie eine Sünde
begangen, die sie zu Häretikern macht! Vielleicht war es das.Oder war es die Fatwa, mit der die Frage einer besorgten Frau beantwortet wurde, dienicht
wusste, ob sie sich vor ihrem Hund ausziehen darf? Der Scheich, der die Fragebeantwortete, hatte da noch eine ganz eigene, scharfsinnige Frage: Ist Ihr
Hundmännlich oder weiblich? Nein, das war sie auch nicht, die Fatwa; sie kam später.
Elham Manea: Für einen menschlichen Islam
Egal, welche Fatwa – ich warwütend. So wütend, dass ich sofort einen Entschluss fasste: Ende des Schweigens. Ichhatte es satt, immerzu nur Sachen zur
Kenntnis zu nehmen, ohne darauf zu reagieren.Ich hatte es satt, diesen Unfug anzuhören und ihn nicht beim Namen zu nennen: Unfug eben!Und ich hatte
es satt, das Argument zu hören: So ist der Islam nun mal, nimm’s hinoder lass es! Nun, ich lasse es nicht. Aber ich nehme es auch nicht hin. Die Zeit
istreif für einen neuen Diskurs. Am nächsten Tag begann ich, das Tagebuch zu schreiben, dasals Artikel-Serie auf der liberal-arabischen Reformisten-Website
„Middle EastTransparent“ veröffentlicht wurde. Das war im September 2005.
Eine Botschaft,die aus vier Teilen besteht
Im „Tagebuch einer arabischen Frau“ wollte ich eineBotschaft vermitteln: Wir leben in einer Zeit, in der eine Version des Islam, die aus demHerzen Saudi-Arabiens
exportiert wird, in der arabischen Welt dominiert. Siedominiert in den Moscheen, dominiert in den Medien und wird aktiv mit Unterstützung dersaudischen
Öl-Millionen verbreitet.
Eine andere Version, der schiitische Islam,den die Islamische Republik Iran exportiert, wird ebenfalls in Teilen der IslamischenWelt verbreitet, wenn
auch in einem etwas geringerem Umfang. Beide sind jedoch Formeneiner politisierten Religion.. Die beiden Länder brauchten die Religion, um ihrepolitischen
Systeme zu legitimieren. Gleichzeitig aber fand eine Re-Islamisierung dersäkularen arabischen Gesellschaften statt, eine Folge des Scheiterns der arabischen
Staaten, die ihre Versprechen nach dem Ende der Kolonialzeit nicht eingelöst hatten.
Die säkularen arabischen Staaten lösten ihre Versprechen, einen erfolgreichenEntwicklungsprozess in Gang zu setzen, nicht ein (die arabischen Staaten liegen
mitihrer Entwicklung im Vergleich zu anderen Regionen weit zurück). Sie scheiterten mit derVerbesserung des Lebensstandards (ein arabischer Bürger braucht
140 Jahre, um seinEinkommen zu verdoppeln, im Vergleich zu 10 Jahren in asiatischen Ländern). Und siescheiterten mit dem Versuch, mit Gewalt das wieder
herzustellen, was die Araber alsdie legitimen Rechte des palästinensischen Volkes betrachten (der Sechs-Tage-Krieg von1967 machte diesem Anspruch ein
Ende).
Da auch die Demokratie von denarabischen Regimen hinausgeschoben wurde, unter dem Vorwand, dass die EntwicklungPriorität habe, breitete sich in der Region
ein Gefühl aus, verraten worden zu sein.(1) Das Scheitern führte zu Unzufriedenheit, die noch verstärkt wurde durch den Mangel anZukunftsperspektiven.
Die Religion wurde zur Zuflucht.
Die Re-Islamisierungarabischer Gesellschaften bereitete den Boden für den Glauben, dass es tatsächlich nureine Version des Islam gebe, nämlich den von
Saudi-Arabien exportierten Najdi WahhabiIslam. (2) Die Menschen scheinen vergessen zu haben, wie vielfältig islamischeTraditionen waren. Der Islam in
Tunesien oder Marokko war anders in seinenInterpretationen und seiner Reichweite als der in Oman oder im Jemen. Und der ägyptischeIslam war in seiner
Spiritualität sicher ganz anders als der saudische Islam. Auchscheinen die Menschen vergessen zu haben, dass ihre Identität nur selten um ihrenreligiösen
Glauben kreiste, wie man uns heute glauben machen will. Es gab Araber oderKurden, Ägypter, Jemeniten oder Tunesier – und nicht an erster Stelle Muslime.
Diese Re-Islamisierung arabischer Gesellschaften verband sich mit ständigen Aufrufendurch islamische Parteien, die in der arabischen politischen Landschaft
einemachtvolle politische Kraft waren, um Scharia-Gesetze einzuführen. „Der Islam ist dieLösung“ hieß das neue Motto, für das diese islamischen politischen
Parteieneintraten. Und die Gesellschaft scheint diese Behauptung eingekauft zu haben. Es wurdeZeit, gegen diesen Anspruch Einspruch zu erheben. Es war
Zeit für einen menschlichenIslam.
Dieser menschliche Islam, der in dem Tagebuch vorgestellt wird, stütztseine Argumente auf vier Komponenten:
• Identität,
• ein freier und rationalerIslam,
• keine Denkverbote und
• die Frau – ein menschliches Wesen.
Erste Komponente: Eine komplexe Identität
Identität ist komplex. DieIslamisten möchten uns glauben machen, dass wir Muslime sind. Punkt. Europa und die USAhaben nach den Angriffen vom 11. September
2001 diese Vorstellung übernommen. Einemenschliche Lesart des Islam betrachtet jedoch die Identität einer Person als sehr vielkomplexer, als dass man
sie auf ihre religiöse Dimension reduzieren könnte.
Wenn ich für mich spreche, sage ich: Ich bin ein Individuum mit mehreren Identitäten.
Die erste dieser Identitäten ist einfach und redlich: Ich bin eine Humanistin.Und das sage ich nicht, weil es gut klingt. Ich glaube daran. Das heißt,
ich glaube,dass das Wohlergehen des Menschen das Endziel ist; dass es universale Werte gibt, dieüber alle Rassen, Farben, Kulturen und Religionen hinaus
gehen; dass diese Werte esmir erlauben, der Person, die zu mir spricht, in die Augen zu sehen, ohne Rücksicht aufseine oder ihre Identität, und dabei
etwas sehr Wertvolles zu sehen, etwas, was manpflegen muss.
Die zweite dieser Identitäten ist mehr kulturell orientiert: Ichbin Araberin. Sie mögen erwartet haben, dass ich sage: Ich bin Jemenitin. Das istnatürlich
auch korrekt. Meine Nationalität ist die einer Jemenitin, als die ichgeboren bin. Doch das beschreibt wiederum nicht korrekt, wer ich bin.
Alsjemenitische Diplomatentochter geboren, bin ich mit meiner Familie durch die Weltgereist. Ich habe in vielen arabischen, islamischen und auch westlichen
Länderngelebt.
Diese Erfahrung ermöglichte es mir zu erkennen, wie ähnlich die Menschensich in vielerlei Hinsicht sind. Ihr Lebensstile, ihre Sitten und Standards mögen
verschieden sein, aber am Ende lieben und hassen sie, haben ihre Sorgen und natürlichhaben sie ihre Vorurteile.
Diese Erfahrung hat mir auch zu der Erkenntnisverholfen, dass arabische Länder sich untereinander unterscheiden. Der Jemen ist nichtÄgypten, und Ägypten
ist nicht Marokko, und Marokko ist nicht Kuwait oder Syrien oderOman etc. Doch so sehr sie sich auch unterscheiden, etwas bringt sie zusammen: einereiche
Sprache, eine hohe Kultur und Zivilisation. Diese arabische Identität stelltdie zweite Schicht dessen dar, was ich bin. Ich genieße sie in der Literatur,
die ichlese, in der Musik, der ich lausche und natürlich in der Nahrung, für deren Zubereitungich mir Zeit nehme.
Nun kommt die dritte Schicht meiner Identität: Ich binMuslimin. Das ist die ganz private Identität alles dessen, was ich schon genannt habe. Esist der
Ort, wo ich meine Spiritualität erlebe und wo ich fühle, dass ich eine Seelehabe, im Gegensatz zum materiellen Fleisch. Aber das umfasst nicht das Ganze
meinerExistenz; es ist nicht „DIE Identität“. (3).
Zweite Komponente: Ein freier undrationaler Islam
Wenn also mein Muslimsein die dritte Schicht meiner Identitätdarstellt, welchen Islam nehme ich für mich an? Einen freien und rationalen Islam.
Frei heißt, dass er [der Islam] die Wahl des Menschen respektiert und das Wohlergehendieses Menschen als Endziel verortet. Der Mensch ist frei geboren,
frei, das Leben zuwählen, das er oder sie führen will; und frei, seine oder ihre Religion zu wählen. Undseine oder ihre Freiheit ist seine oder ihre
Verantwortung; es ist auch sein oder ihrRecht. Ein natürliches Recht, in ihm oder in ihr eingebettet durch die bloße Tatsache,als Mensch geboren zu sein.
Und rational heißt: Dieser Islam fordert nicht nur,die religiösen Texte auf ihrem kontextuellen und historischen Hintergrund zu lesen; erfordert auch
nicht nur eine sorgfältige und kritische Betrachtung dieser religiösenTexte und wie sie zusammengetragen wurden und zustande kamen: auch gibt er sich
nichtdamit zufrieden, Vernunft an die erste Stelle, also vor die heiligen Texte zu setzen. Erträgt diese Argumente einen Schritt weiter und verlangt,
dass die koranischen Dogmenoder die Scharia-Gesetze außer Acht gelassen werden sollten, wenn sie den Menschenrechtenwidersprechen, wie wir sie heute
verstehen, Bürgerrechte oder Gleichberechtigung vonMann und Frau.
Diese Erkenntnis erfordert, dass wir zwischen zwei Ebenen der
islamischen Religion unterscheiden:
a) eine spirituelle Seite, die diespirituelle Beziehung des Menschen mit
Gott regelt.
b) eine legalistische undScharia Seite, deren Verfügungen einer
ernsthaften Überprüfung unterzogen und inFrage gestellt werden
sollten.
Diese freie und rationale Lesart des Islamerfordert einen säkularen und demokratischen Staat, um zu gedeihen. Die Trennung vonReligion und Staat gibt
dem Menschen die Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben.Nur ein säkularer und demokratischer Staat kann den Menschen und seine oder ihre Würdeschützen,
ihn oder sie respektieren als Erwachsenen, der fähig ist, seine oder ihreeigenen Entscheidungen zu treffen und ihn oder sie als freies und rationales
Wesen zubehandeln. (4)
Dritte Komponente: Verbotene Denk-Bereiche
Eine freieund rationale Interpretation des Islam erfordert, dass wir nicht an die Existenz von„verbotenen Denk-Bereichen“ glauben. Auch sollten wir uns
nicht mit einem Denkeninnerhalb der „sicheren Grenzen des Denkens“ einengen. Im Laufe der Geschichte desislamischen Denkens sind bestimmte akzeptierte
Denkwege entwickelt worden; sie wurdenals Denkschablone ersonnen für jeden, der über eine bestimmte islamische Frage nachdenkenwollte.