Ist Gott ein Träumer und Alles, oder nur ein Maler?
06.06.2007 um 09:25
Auf die Frage, wo sind wir, wenn wir träumen, stelle ich mal die Gegenfrage, wosind wir, wenn wir nicht träumen.
Du bist ja ein richtiger gewiefter FuchsnocheinPoet… die Chronologie ist eigentlich eine andere… ;)
Ausgehend von DeinemBild „Gott ist ein Träumer“, hat es mich nun durchaus zu dieser Frage inspiriert, wosind wir, wenn wir denken?
Stimmt es nicht, dass das denkende Ich, was immeres erreichen mag, niemals zur Wirklichkeit als Wirklichkeit durchdringen oder sich davonüberzeugen wird, dass überhaupt etwas wirklich existiert und das Leben, das menschlicheLeben, mehr als ein blosser Traum ist?
Dieser Verdacht, dass das Leben nur einTraum sei, gehört natürlich zu den hervorstechendensten Zügen der asiatischenPhilosophie; aus der indischen Philosophie gibt es zahlreiche Beispiele. Ein chinesischesBeispiel, das durch seine Knappheit besticht, ist die Geschichte von dem taoistischen(d.h. anti-konfuzianischen) Philosophen Tschuang Tsu.
Dieser „träumte einmal, ersei ein Schmetterling, der, glücklich mit sich selbst, umherflatterte und tat, was ihmgefiel. Er wusste nicht, dass er Tschuang Tsu war. Auf einmal wachte er auf, und nun warer unverkennbar der Tschuang Tsu aus Fleisch und Blut. Aber er wusste nicht, ob erTschuang Tsu sei, der geträumt hatte, er sei ein Schmetterling, oder ob er einSchmetterling sei, der träumte, er sei Tschuang Tsu. Aber zwischen Tschuang Tsu und einemSchmetterling muss es doch irgendeinen Unterschied geben!“
Die Intensität derDenkerfahrung kann sich dagegen in einer Leichtigkeit zeigen, mit der der Gegensatzzwischen Denken und Wirklichkeit umgekehrt werden kann, derart, dass nur das Denken alswirklich erscheint, alles bloss Seiende aber als so flüchtig, dass es ist, als wäre esgar nicht: „Was gedacht ist, ist; und was ist, ist nur insofern es Gedankeist“.
Das Entscheidende aber hier ist, dass alle diese Zweifel verschwinden,sobald das Alleinsein des Denkens durchbrochen wird und der Ruf der Welt und derMitmenschen die innere Dualität der Zwei-in-einem wieder zum Einen macht. Daher ist dieVorstellung, dass alles Seiende ein blosser Traum sein könnte, entweder der aus derDenkerfahrung entspringende Alptraum oder der tröstliche Gedanke, der beschworen wird,nicht wenn man sich von der Welt zurückgezogen hat, sondern wenn die Welt sichzurückgezogen hat und unwirklich geworden ist.
Nun ergänzend zu Deiner gestelltenGegenfrage nocheinPoet, so kommt mir als geeignetes Beispiel die alte Geschichte vonSokrates in den Sinn, in der Beschrieben wird, dass er die Gewohnheit hatte, plötzlich„seinen Geist auf sich selbst zu richten“, den Kontakt mit anderen abzubrechen und, wo ersich gerade befand, „taub gegen die nachdrücklichsten Ansprache“ zu werden und dasfortzusetzen, was er vorher getan hatte. Einmal, so erzählt Xenophon, blieb er in einemMilitärlager 24 Stunden lang völlig unbeweglich, tief in Gedanken versunken, wie wirsagen würden.
Daraus ersehen wir, dass das (reine) Denken stets ausser der Ordnungist, es unterbricht alle gewöhnlichen Tätigkeiten und wird durch sieunterbrochen.
Auch die authentischen Erfahrungen des denkenden Ichs äussern sichauf vielfältige Art und Weise, wie z.B. die metaphysischen Trugschlüsse, wie etwa dieZwei-Welten-Theorie, oder die –interessanteren- nichttheorethischen Beschreibungen desDenkens als eine Art Sterbens, oder umgekehrt die Vorstellung, dass man beim Denken zueiner anderen, noumenalen (aus der Vernunft zum „Ding an sich“ = Abstraktion) Weltangehöre- die uns andeutungshaft selbst in der Finsternis des wirklichen Hier und Jetztgegenwärtig ist-, oder die Aristotelische Definition des „bios theoretikos“ (dievollkommene Glückseeligkeit im kontemplativen Leben) als bios xenikos, als das Leben desFremden.
All diese merkwürdigen Verhältnisse beim Denken ergeben sich aus demRückzug, der eigentlich allen Geistestätigkeiten eigen ist; das Denken beschäftigtsich immer mit Abwesendem und entfernt sich vom gegenwärtigen undZuhandenen.
Klar könnte es durchaus sein, dass die Frage nach dem Ort desdenkenden Ichs abwegig erscheint, doch aus der Sicht der alltäglichen Erscheinungsweltist das Überall des denkenden Ichs – das alles vor sein Angesicht lädt, was es nur will,aus jeder zeitlichen oder räumlichen Entfernung, die der Gedanke ja rascher als mitLichtgeschwindigkeit durchmisst – ein Nirgends.
Und es erscheint auch so,dass dieses Nirgends nimmer identisch ist mit jenem zwiefachen Nirgends, aus dem wir mitder Geburt plötzlich auftauchen und in das wir fast ebenso plötzlich mit dem Tode wiederhinabtauchen, so lässt es sich höchstens als die Leere begreifen. Nun kann dieabsolute Leere ein letzter Grenzbegriff sein; sie ist zwar nicht unvorstellbar, aberundenkbar.
Weil wir solche Grenzbegriffe haben, welche unser Denken alsunüberwindbare Mauern einschliessen – auch gehört dazu der Begriff eines absolutenAnfangs oder eines absoluten Endes-, zeigt uns dies lediglich, dass wir in der Tatendliche Wesen sind und wollten wir nun aus diesen Grenzen einen Ort für dasdenkende Ich herleiten, so wäre das bloss eine weitere Form derZwei-Welten-Theorie…
So ist die Endlichkeit des Menschen, welche unwiderruflichgegeben ist durch seine kurze Dauer in einer unendlichen Zeit, die sich in dieVergangenheit und in die Zukunft erstreckt, so bildet sie gewissermassen dieInfrastruktur aller geistigen Tätigkeiten; sie zeigt sich als die einzige Wirklichkeit,die das Denken als Denken erfassen kann, wenn sich das denkende Ich von derErscheinungswelt zurückgezogen hat und das dem sensus communis (Gemeinsinn) eigeneWirklichkeitsempfindungen verloren hat, mit dem wir uns in dieser Weltorientieren.
Wenn nun unser Wirklichkeitsempfinden völlig von unserer räumlichenExistenz bestimmt wäre, [b]so sind wir nicht, wenn wir denken – wäre richtig und dasÜberall des Denkens wäre in der Tat ein Nirgends.
Aber wir sind doch nicht nurRaum, wir sind auch in der Zeit, wir können uns erinnern, wir sammeln und holen wiederaus dem Gedächtnis, was nicht mehr gegenwärtig ist, wir denken voraus und planen in derWeise des Wollens, was noch nicht ist.
Wenn wir auch Kant’s berühmte Erkenntnisnicht vergessen, dass „die Zeit nichts anderes (ist) als die Form des inneren Sinnes,d.i. des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes“.
Die Bedeutungfür Kant liegt darin, dass die Zeit nichts mit den Erscheinungen als solchen zu tun hat–„weder (mit) einer Gestalt oder Lage“, wie sie unseren Sinnen gegeben ist-, sondern nurmit den Erscheinungen, sofern sie unseren „inneren Zustand“ beeinflusen, in welchem dieZeit „das Verhältnis der Vorstellungen“ bestimmt und diese Vorstellungen –mit denen wirvergegenwärtigen, was in der Erscheinung nicht gegenwärtig ist – sind natürlichGedankendinge, d.h. Erfahrungen oder Begriffe, die die Entmaterialisierung durchgemachthaben, mit der der Geist seine Gegenstände zubereitet und durch „Verallgemeinerung“ auchihrer räumlichen Eigenschaften entkleidet.
Die Art, wie diese Vorstellungen nunzueinander in Beziehung stehen, bestimmt die Zeit, indem sie in eine Reihenfolge zwingtund wir nennen für gewöhnlich diese Gedankengänge. So wäre alles Denken diskursiv undsofern es einem Gedankengang folgt, so könnte man es analog durch eine „sich insUnendliche erstreckende Gerade“ darstellen, mit der wir uns gewöhnlich auch denAbfolgecharakter der Zeit veranschaulichen.
Indem wir nun das Nebeneinander, indem uns die Erfahrungen gegeben sind, in ein Nacheinander lautloser Worte verwandeln –daseinzige Medium, in dem wir denken können- so können wir eine solche Gedankenlinieherstellen und das bedeutet, dass die ursprüngliche Erfahrung nicht nur entsinnlichtwird, sondern auch enträumlicht.
Nun nocheinPoet, wenn wir nun auf DeineGegenfrage zurückkommen und eine mögliche Antwort versuchen, so wäre dieser Ort:[b] Hierund Jetzt. ;)[/b][/b]