@nocheinPoet nocheinPoet schrieb:Das wäre eigentlich zu hinterfragen, ...
Ja gut, die Gegenthese wäre dann, dass es objektive Werte gäbe, die unabhängig vom Vorhandensein wertsetzender Individuen existieren und folglich auch nach dem finalen Aussterben in irgendeiner Weise noch gültig sind. Ist das so?
Meiner Ansicht nach sind Werte nur dann als solche bestimmbar, wenn es "Adressaten" gibt, auf die sich Werte handlungsorientierend auswirken. Ohne diese verliert der Begriff "Wert" seinen Sinn. Und wie ich weiter oben schon schrieb, macht es der Kontext, was als wertvoll bzw. sinnvoll gilt und was nicht. Den Kontext liefern aber die Individuen in ihren konkreten Existenzbedingungen. Ohne Individuen kein Kontext und ohne Kontext keine Möglichkeit, einen Wert als solchen festzulegen. Ein kontextloser Wert wäre dann eine reine Beliebigkeit, weil ohne jeden Bezugspunkt, an dem er seine Werthaftigkeit entfalten könnte und damit als Wert erkennbar und bestimmbar wäre - wenn es Individuen gäbe.
nocheinPoet schrieb:Eine Wasserstelle ist für Tiere "wertvoll" und sicher mehr als nur sinnvoll, oder?
Nein, eine Wasserstelle ist für Tiere sowohl nützlich wie auch schädlich - je nachdem, aus welcher Perspektive man das betrachtet. Zum einen verhindert sie das Verdursten. Dazu ist sie nützlich. Zum anderen lauern dort bevorzugt die Beutegreifer. Hier stellt sie eine Gefahr dar. Um über Sinn und Wert einer Wasserstelle zu urteilen, benötigt es eines hinreichend komplexen Verstandes, und den besitzt nun mal ausnahmslos der Mensch mit seiner diskursiven Sprache als Kommunikationsmittel.
nocheinPoet schrieb:Jedoch was ist ein Mensch, ein Bewusstsein, das Wertende überhaupt?
Ein Vernunftwesen.
nocheinPoet schrieb:Wenn die eigene Existenz selber nicht objektiv gegeben ist, sondern auch nur vom Kontext abhängig und eine Frage der Betrachtung, dann kann darauf wenig gebaut werden.
Dazu muss man den Begriff "Existenz" möglichst exakt definieren. Das ist insofern schwierig, weil er ein umfangreiches Bedeutungsspektrum umfasst. Ein Stein existiert einfach nur, indem er da ist und verrät sich unseren Sinnen durch bestimmte Merkmale, wie Größe, Gestalt, Farbe, Gewicht, Festigkeit usw. . In gleicher Weise existieren auch Menschen, die wir als Objekte unserer Sinne wahrnehmen.
Darüber hinaus bedeutet Existenz aber auch, dass man sein Dasein als Dasein wahrnimmt - "Ich existiere" - und die Art und Weise der Souveränität, sein Dasein zu gestalten, seinen Lebensweg autonom zu führen - "Ein finanzieller Ruin gefährdet meine Existenz". Man kann also grob einteilen zwischen physischer Existenz (als Körper), subjektiver Existenz (als Person) und sozialer Existenz (als Gesellschaftsmitglied).
Objektive Existenz der eigenen Existenz ergibt sich aus der Betrachtung des Kontextes, in dem man lebt. Man hat Kontakt mit anderen Menschen und schließt daraus auf die Gleichartigkeit der eigenen Existenz. Also: Aus dem Blickwinkel der anderen wird es so sein, dass man seinerseits als objektiv existierend erscheint. Der Schluss auf die eigene objektive Existenz scheint also zumindest vordergründig nicht absurd zu sein. Und auf dieser Grundlage lässt sich gut leben und mit dem gegebenen Kontext gut zurechtkommen.
nocheinPoet schrieb:Konkret ist es dann für die Wertung selber egal, wer oder was nun wertet, wenn das Wertende selber nur subjektiv auf Grund einer Wertung gegeben ist und existiert.
Das wertende Individuum wird in seinem Attribut "wertend" durch den Akt des Wertens definiert. Der Akt des Wertens definiert jedoch nicht das Individuum in seiner Existenz, sondern bedingt das Vorhandensein eines Individuums, das zu diesem Akt des Wertens fähig ist.
nocheinPoet schrieb:Wert ist immer gegeben, wie auch nicht gegeben, fraglich ist, ob es etwas mit objektiven Wert gibt, und da sind wir wieder bei der Frage, was genau Wert ist.
Wert ist immer dann gegeben, wenn jemand wertet, denn dann muss er sich auf etwas beziehen, was er als Grundlage für die Wertung festlegt. Nehmen wir mal als Beispiel den Schutz des menschlichen Lebens als moralischen Imperativ. Dem menschlichen Leben wird hier ein Wert beigemessen, so dass es als schützenswert beurteilt wird. Aber ist dieser Wert wirklich objektiv? Wie sieht es bei Notwehr aus? Hier steht das eine menschliche Leben gegen ein anderes. Welches der beiden ist nun schützenswerter? Oder sind beide gleich schützenswert? Darf man überhaupt beide gegeneinander abwägen? Wenn ja, mit welcher Begründung? Wenn nein, warum wird derjenige, der aus Notwehr getötet hat, vor Gericht freigesprochen?
Neben den juristischen Feinheiten, die hier mit hereinspielen, zeigt sich an diesem Beispiel, dass Werte keinesfalls starr feststehen, nachdem man sie einmal als solche bestimmt hat. Sie sind immer auslegefähig und damit in ihrer unbedingten Gültigkeit verhandelbar - notfalls eben vor Gericht - und können daher nicht objektiv existieren, sondern stets kontextuell mit den Individuen, die sich des Wertbegriffs bedienen.